Blankes Entsetzen, Abwinken und trotzige Worte, wenn der Vorschlag kommt, über eine einzelne (oder gemeinsame) Therapie nachzudenken. Besonders schwierig, wenn sie ein Elternteil sagt, obwohl sich die Probleme schon auf die gesamte Familie auswirken. Was dahintersteckt und wie du damit umgehen kannst.
„Ich doch nicht!“ als Antwort auf die Frage „Wie wäre es mit einer Paartherapie?“: Wenn sich Eltern vehement gegen Hilfe von außen sperren, obwohl die Familie und die Person selbst sichtlich leidet, gerät das Familiensystem (noch mehr) ins Wanken. Schließlich bewegen wir uns nicht im luftleeren Raum, sondern sind wie in einem Mobile miteinander verbunden. Streben alle in dieselbe Richtung, läuft es rund. Bleibt jemand trotzig stehen, entwickeln sich Elternteile in verschiedene Richtungen, wird es mühsam, sich weiterzudrehen.
Hinter der Ablehnung einer Einzel- oder Paartherapie stehen über Generationen hinweg verinnerlichte Vorurteile. Dazu gleich mehr. Hinzu kommt das Missverständnis darüber, was Therapie ist. Und über allem schwebt ein unterdrücktes, oft unbewusstes Gefühl: Angst.
Angst, etwas in sich zu entdecken, das unbequem ist.
Angst vor alten Wunden, die schmerzen könnten.
Angst, anders gesehen zu werden, als man sich selbst sehen möchte.
Angst davor, schwach zu wirken oder zu sein.
Woher die Angst vor Schwäche kommt
Nichts ist hierzulande so stigmatisiert wie Therapie und „Schwäche“. Die Ablehnung hat einen erschreckenden, historischen Hintergrund. Denn in der NS-Zeit wurden Menschen, die psychisch oder körperlich krank oder behindert waren, also als „schwach“ galten, systematisch ermordet. Das war 1939 und nannte sich “Euthanasie-Programm“. Es war also gefährlich, Schwäche zu zeigen. Dieses Erbe tragen viele von uns noch mit sich herum, meist ohne sich dessen bewusst zu sein.
Abwehrend zu reagieren ist also erst einmal menschlich, und zwingen kann und sollte man niemanden. Aber es hilft, sich der Gründe für die Angst vor Schwäche bewusst zu werden, und professionelle therapeutische Hilfe in einem neuen Licht zu sehen:
Therapie ist ein Zeichen von Mut
Gesellschaftlich definierte „Schwäche“ zu hinterfragen und sich nicht immer stark fühlen zu müssen, ist also im ersten Schritt hilfreich. Im zweiten Schritt dürfen wir unser Bild von „Therapie“ geraderücken. Denn Therapie ist kein letzter Ausweg – manchmal natürlich auch das –, sondern sie kann vorbeugend wirken und ist immer ein Weg nach vorn.
Sie kann Leichtigkeit ins Leben zurückbringen.
Sich auf Therapie einzulassen, bedeutet, sich selbst, die psychische Gesundheit, die eigenen Gedanken und das Leben wichtig genug zu nehmen, um genauer hinzusehen.
Sie hilft, Reaktionen und Verhaltensmuster zu verstehen, die einen vielleicht schon lange ausbremsen. Sie hilft, Dinge und Glaubenssätze loszulassen, die längst nicht mehr dienlich sind.
Und: Therapie kann das Leben mit der Familie viel angenehmer machen. Denn positive Veränderung beginnt immer bei einem selbst.
Und ja, das braucht Mut. Den Mut, ehrlich mit sich selbst (und anderen) zu sein. Mut, den nicht jeder oder jede sofort aufbringen kann.
Vielleicht hilft ein wenig Klarheit über das, was Therapie kann und will, damit wir Vorurteile überdenken können?
Wege zur Therapie
Eine Psychotherapie wird von den Krankenkassen je nach Leistungskatalog ganz oder teilweise übernommen. Therapiepraxen bieten psychotherapeutische Sprechstunden an, in denen ein Bedarf festgestellt werden kann. Aber auch Hausarztpraxen sind eine gute Anlaufstelle. Termine mit einer Therapiepraxis kann man selbst vereinbaren (zeitaufwändig) oder über den Terminservice der kassenärztlichen Bundesvereinigung gehen.
Da es viel zu wenige Therapieplätze gibt, zahlen viele gesetzliche Krankenkassen auch eine Privattherapie, wenn genügend schriftliche Absagen nachgewiesen werden können (bitte nachfragen!). Es ist auch möglich, eine Therapie als Selbstzahlerleistung in Anspruch zu nehmen und die Kosten dann bei der Steuererklärung mitanzugeben.
Kostenlose Alternativen wie die Elternberatung der Caritas oder Hilfetelefone (Elterntelefon: 0800/1110550) ersetzen zwar keine Therapie, können jedoch eine helfende Hand reichen und bei der Suche unterstützen.
Vorurteile und was wirklich stimmt
Viele Menschen wehren sich gegen den Gedanken an Therapie, weil sie bestimmte Bilder im Kopf haben, die wie oben beschrieben noch aus der NS-Zeit beziehungsweise der unhinterfragten, weitergegebenen familiären Prägung stammen:
- „Ich bin doch nicht krank, nur Psychos gehen zur Therapie!“
Zuerst einmal: Niemand muss eine „Diagnose“ haben, um sich professionelle Begleitung zu erlauben. Es geht vordergründig um persönliche Entwicklung, Beziehungen, Stress, Überforderung. Also ganz normale Themen im Leben. Und selbst wenn etwas anderes dahinterstecken würde: Eine psychische Erkrankung kann jeden treffen. Sie ist kein Makel, sondern wie eine Infektion, die ernst genommen und behandelt werden darf, und kann! Die Seele teilt sich uns über körperliche und psychische Reaktionen mit. Gut, wenn wir die Botschaften verstehen lernen. - „Ich will mich nicht vor jemandem ausheulen!“
Therapie ist ein strukturiertes, professionelles Gespräch in einem geschützten Raum, das hilft, Klarheit zu gewinnen, Entscheidungen zu treffen und neue Perspektiven zu entdecken. Natürlich kann es sein, dass Tränen fließen. Und das ist gut so. Unterdrückte Gefühle stauen sich auf und es ist wichtig, sie ziehen zu lassen, damit sie unser System, also uns, nicht mehr belasten. Viel zu viele von uns haben gelernt, dass wir immer stark sein müssen. Mit diesem Blödsinn muss endlich Schluss sein! Nicht zu weinen, heißt nicht, dass man stark ist. Warum sagen wir Kindern, sie sollen aufhören zu weinen? Warum erlauben Erwachsene es sich nicht? Warum spüren so viele nicht, wenn sie traurig sind? Das System, in dem wir leben, hat Gefühle entmenschlicht. Zeit, das zu ändern. - „Ich krieg das allein hin!“
Natürlich, die meisten Menschen schaffen vieles allein. Bis es nicht mehr geht und auch das direkte Umfeld von der Negativspirale erfasst wird. Manchmal ist es eben klug und verantwortungsvoll, sich Unterstützung zu holen. Niemand käme auf die Idee, mit einem gebrochenen Bein zu joggen, statt zum Arzt zu gehen, oder?
Der entscheidende Punkt ist: Es geht nicht darum, ob man überhaupt „krank“ oder “krank genug” ist. Es geht darum, ob man bereit ist, SICH SELBST und seine Mitmenschen ernst zu nehmen, zu wachsen und sich weiterzuentwickeln.
Es ist völlig in Ordnung, (noch) keine Therapie zu wollen. Aber sich reflexartig dagegen zu sperren, ohne genau hinzuschauen, kann bedeuten, dass da etwas in uns arbeitet, das unsere Aufmerksamkeit verdient hätte.
Manchmal hilft übrigens auch ein Coaching weiter. Was besser passt, hängt vom Thema und konkreten Ziel ab.
Fazit: Stärke zeigt sich nicht im Aushalten, sondern im Hinschauen
„Ich mach doch keine Therapie!“, ist ein Schutzschild gegen die Angst vor Schwäche. Doch es lohnt sich, dahinterzublicken.
Was wäre, wenn genau dort, wo wir den größten Widerstand spüren, der größte Entwicklungsschritt wartet? Wenn das, was unser Kopfkino uns einflüstert, gar nicht war wäre?
Sich helfen zu lassen, bedeutet nicht, zu verlieren. Es bedeutet, Verantwortung für sich selbst und im Elternkontext für seine Kinder und die Partnerschaft zu übernehmen. Damit das Mobile wieder rund läuft. Und das ist vielleicht die stärkste Entscheidung überhaupt.
Es gibt nur Gewinner.
Quellen
- Gesundheitsinformation.de: Psychische Probleme: Wo gibt es Hilfe? https://www.gesundheitsinformation.de/psychische-probleme-wo-gibt-es-hilfe.html (abgerufen am 21.05.2025)
- NDR: „Euthanasie“-Programm: Die „Rassenhygiene“ der Nationalsozialisten: https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Euthanasie-Programm-Die-Rassenhygiene-der-Nationalsozialisten,euthanasie100.html (abgerufen am 21.05.2025)













