Close Babelli.deBabelli.de

„Hauptsache, dem Baby geht’s gut!“ – und was ist mit mir?

Mutter sitzt mit Händen vorm Gesicht vorm Babybett.
„Hauptsache, dem Baby geht’s gut!“ – wir sagen: Das stimmt nicht ganz. / Bild © kieferpix, Adobe Stock.

Was dieser Satz bei werdenden oder frischgebackenen Eltern auslösen kann – und welche Alternativen wertschätzender und aufmerksamer sind!

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Satz „Hauptsache, dem Baby geht’s gut!” ignoriert belastende Schwangerschaften, traumatische Geburten oder etwa auch postnatale Depressionen.
  • Er vermittelt (unbewusst), dass einzig das Wohlbefinden des Kindes zählt und die Gefühle und Erlebnisse der Eltern nichtig oder unwichtig sind.
  • Eltern – insbesondere die Mütter – mit schwierigen Schwangerschaftsverläufen oder traumatischen Geburtserfahrungen fühlen sich dadurch oft unsichtbar gemacht und als würde ihnen ihr Gefühl abgesprochen werden.
  • Eltern können traumatische Erlebnisse vor, während oder nach der Geburt nicht einfach “weglächeln” oder ignorieren.
  • Sprache prägt unser gesellschaftliches Denken. Sensible, inklusive Sprache kann ein liebevollerer Weg sein, einander zu begegnen.

Wichtig: Die Rubrik “Das Wichtigste in Kürze” ist nur ein Überblick. Sie kann niemals die Komplexität von Themen widerspiegeln. Themen sollten immer individuell und ganzheitlich betrachtet werden. Wir möchten dich daher dazu ermutigen, dir den ganzen Artikel durchzulesen, für alle Infos zu diesem Thema.

Es ist ein Satz, der fast automatisch fällt, kurz vor oder nach einer Geburt. Doch so gut gemeint dieser Satz auch sein mag – er ist nicht so harmlos, wie er klingt.

Wieso der Satz verletzen kann

Um das zu verstehen, hier ein kleiner Perspektivwechsel:

  • Die Schwangerschaft ist furchtbar, aber: “Hauptsache, dem Baby geht’s gut!”
  • Die Geburt war traumatisch für dich als Mutter, aber: “Hauptsache, dem Baby geht’s gut!”
  • Du hast eine postnatale Depression als Vater, aber: “Hauptsache, dem Baby geht’s gut!”
  • Der andere Elternteil und du erlebt vor, während oder nach der Geburt eine große Belastung oder euch begegnet ein Schicksalsschlag. Aber: “Hauptsache, dem Baby geht’s gut!”

Du siehst bereits: Dieser Satz, so guter Absicht er auch ist, kann immens verletzen. 

Bedenke: Jede Schwangerschaft, jede Geburt, jede Erfahrung ist anders

Denn nicht immer erleben Eltern eine Schwangerschaft als “schönste Erfahrung” ihres Lebens. Und wie oft fühlen sich Frauen während der Geburt übergangen oder erleben die Entbindung als belastend:

Ob Notkaiserschnitt, übergriffiges Verhalten der Fachkräfte, Ohnmachtsgefühle, schlechte Behandlung und unzureichende Begleitung (vom Fachteam als auch vom anderen Elternteil), dauerhafte Schmerzen vor, während und nach der Geburt – die Liste der Dinge, die Menschen vor, während und nach einer Geburt erleben, ist lang.

Und die Gefühle, die daraus resultieren, sind es auch. Viele Menschen begleitet eine traumatische Geburt oder die Erfahrung einer postnatalen Depression noch ein Leben lang.

Umso wichtiger, dass die Betroffenen ihre berechtigten Gefühle eben nicht durch den Satz “Hauptsache, dem Baby geht’s gut!” abgesprochen oder kleingeredet bekommen.

Der Satz ist zudem auch inhaltlich falsch, weil das Wohlbefinden des Babys auch vom Wohlbefinden seiner Bindungspersonen – in der Regel die Eltern – abhängt.

Worte weise wählen, schafft echte Verbindung

Geburten sind individuell. Erlebnisse und Erfahrungen sind individuell. Und weil eine Familie, gerade vor, während und nach der Geburt, ein System ist, das voneinander abhängt, ist es eben NICHT egal, wie es den Eltern – insbesondere der Mutter – geht.

Falls du also selbst nicht in dieser Situation bist, möchten wir dich dazu ermutigen, deine Worte zukünftig weise zu wählen. Das schafft echte Verbindung und Nähe.

Hier sind ein paar Beispiele, die besser sind, als das lapidare “Hauptsache, dem Baby geht’s gut!”:

Sätze, die aufmerksamer sind

  • “Dem Baby geht’s gut, oder? Wie geht es euch?”
  • “Es ist schön, dass es dem Baby offensichtlich gutgeht. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass es dir nicht so gut geht. Möchtest du darüber sprechen?”
  • “Ich wünsche dir und euch, nach dieser belastenden Erfahrung, dass ihr euch unterstützt und gesehen fühlt. Gibt es etwas, was ich tun könnte?”
  • “Diese Geburt hört sich sehr traumatisch an. Möchtet ihr darüber sprechen?”
  • “Ich finde es so schön, dass du mit mir teilst, dass du eine postnatale Depression hast. Das ist bestimmt nicht leicht, das überhaupt auszusprechen. Wie kann ich dich jetzt unterstützen? Was brauchst du von mir?”

Du kannst andere nicht kontrollieren – deine Reaktion schon!

Wenn du mit diesem Satz überrollt wirst und dich übergangen fühlst, gibt es verschiedene Wege, darauf zu reagieren. Hier haben wir ein Beispiel für dich. 

Wichtig: Du kennst deine Lebenssituation und dein Gegenüber am besten. Wähle also Worte, die zu dir und euch passen:

  • “Ich verstehe, was du damit meinst. Und ja, es ist total wichtig, dass es dem Baby gut geht. Allerdings haben wir, wie du weißt, gerade ziemlich belastende Erfahrungen gemacht. 
  • Unser Wohlbefinden zählt genauso wie das des Babys. Denn wir können nur dann vollends für das Baby da sein, wenn es auch uns gut geht. 
  • Und die Geburt war für mich/uns wirklich sehr schlimm. Ich bin immer noch dabei, das zu verarbeiten. Ich würde dich bitten, das mitzubedenken.”

Es ist nicht egal, wenn dieser Satz fällt.

Worte haben Macht.  Und schaffen Realität. Sie können verletzen – oder wertschätzend und aufmerksam sein. 

Jeder Mensch hat jeden Tag die Wahl, wofür er sich entscheidet. Hierbei geht es nicht um den erhobenen Zeigefinger. Denn wir sind Menschen, keine Maschinen. Wir können nicht immer vermeiden, Menschen mit unseren Worten möglicherweise zu verletzen. 

Allerdings können wir, ehe wir sprechen, bewusstere und individuellere Worte wählen. Jeden Tag ein Stückchen mehr. Denn jeder Mensch macht individuelle Erfahrungen in seinem Leben. Und alle davon stehen gleichwertig für sich.

Was dir helfen könnte

Falls du von starken Ängsten und Gefühlen während der Schwangerschaft, einer schlimmen Geburtserfahrung oder einer Wochenbettdepression betroffen bist, schau gerne mal bei unseren Artikeln zum Thema vorbei. Hier findest du Hilfe- und Anlaufstellen, damit du dich jetzt entlasten und stützen lassen kannst:

99d42523d13e4751b9cbbc7161ab53d7 - "Hauptsache, dem Baby geht's gut!" – und was ist mit mir?
Veröffentlicht von Leonie Illerhues

Leonie war nach ihrem Studium der Heilpädagogik lange im Schulhort-, Kita- und Krippenbereich tätig. Erziehungs- und Entwicklungsthemen im Baby- und Kleinkindalter sind deshalb ihr Steckenpferd. Seit 2022 ergänzt Leonie unser Team mit diesem Schwerpunkt.