Freizeitstress durch zu viel Frühförderung und Hobbys kennen mittlerweile auch viele Kleinkinder. Wie du ihn umgehen kannst und warum du der Entwicklung deines Kindes vertrauen lernen darfst, erklärt unsere Pädagogin Leonie.
Der Alltag vieler Kleinkinder …
Montags nach der Kita direkt Kinderturnen, am Dienstag ein Spielplatz-Treffen, am Mittwoch musikalische Früherziehung, am Donnerstag Großeltern-Tag und Freitag Babyschwimmen – und das neben Kita, Familienalltag und Co. Puh!
Das klingt nicht nur viel, ist es auch.
Durch unser wachsendes Wissen über die Relevanz der ersten 3 Lebensjahre des Kindes hat sich ein Trend zur privaten Frühförderung entwickelt. Viele Kleinkinder haben regelmäßige wöchentliche Termine und sind daher auch nach der Kita bereits gut beschäftigt.
Und klar: Der Gedanke, dem Kind möglichst frühzeitig schon verschiedenste (Bildungs-)Erfahrungen zu ermöglichen, ist absolut nachvollziehbar und wertvoll.
Allerdings …
… und das fatale Risiko
Doch er birgt auch ein fatales Risiko: unbewussten Druck, der zügig in Stress beim Kleinkind enden kann.
Denn das Kind hat nach den vielen verschiedenen Eindrücken zuhause und in der Kita* kaum Zeit, das Gesehene, Wahrgenommene und Erlebte nachzuspüren oder eine Pause zu machen. (*Wir erinnern uns: Ein Kita-Alltag ist so anstrengend für Kleinkinder wie ein Arbeitstag für uns Erwachsene)
Je nach individueller Lebenssituation könnte das Kind Stress entwickeln. Wie sich das zeigt und warum das so gefährlich für die Kindesentwicklung ist, haben wir hier erklärt:
Wie uns Erwachsene äußere Einflüsse hierbei prägen
In unserer geschäftigen Welt, in der die Tendenz zum ständigen “Machen” stark ausgeprägt ist, fällt es uns als Erwachsene teilweise gar nicht mehr auf, wie viel wir tagtäglich eigentlich “machen”.
Und wie wenig Zeit wir uns zum Nachspüren, Ausruhen, Innehalten und Nichtstun geben. Denn letztlich ist genau DAS so elementar, um die ureigene, innewohnende Stimme hören und das Erfahrene überhaupt vollständig integrieren zu können.
Häufig übertragen wir unseren Alltag und das ständige Beschäftigt-Sein dann – mit wie gesagt eigentlich gutem Hintergedanken – unbewusst auf unsere Jüngsten.
Warum die Grenze zwischen Fördern und Fordern fließend sein kann
Kleinkinder lernen ständig und saugen jegliche Informationen aus ihrer Umgebung auf, besonders in den ersten drei Lebensjahren. Umso wichtiger ist es, ihnen genügend Raum für eigene Impulse und Kreativität zu lassen, anstatt ständig äußere Angebote und Anreize zu schaffen.
Zu viele Termine und zu viele äußere Einflüsse können dazu führen, dass das Kind seine eigene innere Stimme und Intuition verliert, was zu Stress und Belastung führen kann.
In dieser schnelllebigen Welt ist es entscheidend, Kindern die Zeit und Freiheit zu geben, sich in ihrem eigenen Tempo zu entwickeln. Und darin letztlich zu vertrauen.
Muss ich das Kleinkind nicht wenigstens ein bisschen fördern?
Nein, nicht pauschal. Die Frage nach der Art und Häufigkeit von Frühförderung lässt sich wie so oft nur individuell beantworten.
Denn es gibt Kinder, denen eine zusätzliche Förderung richtig gut tut und die das sogar aktiv einfordern. Ebenso ist es sinnvoll, individuelle Gaben, Talente und ureigene Fähigkeiten des Kindes gezielt zu fördern und dadurch zu bestärken.
Ob und inwiefern du das Kleinkind über Freizeitangebote also aktiv fördern möchtest, ist einzig dir überlassen und hängt auch vom Kleinkind und eurer individuellen Lebenssituation ab.
Falls es dir um die Förderung besonderer, individueller Fähigkeiten des Kindes geht, frage dich für die Auswahl vorab:
- Was kann das Kleinkind stundenlang machen?
- Was bereitet ihm sichtlich große Freude und ein Gefühl der Fülle?
- Bei was verliert es völlig das Gefühl für die Dinge, die um es herum geschehen?
- Wovon kann es gar nicht genug äußeren “Input” bekommen?
Was GEGEN den Terminwahn für Kleinkinder spricht …
Weitere Gründe, das Kleinkind nicht ständig zu fördern und es öfter auch einfach mal „machen zu lassen“ sind:
- Intrinsische Motivation statt extrinsische: “Motivation von innen” bleibt und erhöht Konzentration, Aufmerksamkeit sowie das Durchhaltevermögen des Kindes.
- Mehr Selbstständigkeit, Eigenverantwortung und Kreativität: Im Inneren des Kindes passiert eine ganze Menge, während es gleichzeitig die Lernerfahrungen mit seiner Umwelt integriert. Besteht eine Balance zwischen innerem Erleben und äußeren Erfahrungen, kann sich seine Selbstständigkeit, Eigenverantwortung und Kreativität erhöhen.
- Mehr SEIN – weniger Stress und Leistungsdruck: Wir Menschen sind “Human Beings” und nicht ausschließlich “Human Doings”. Lebe genau das deinem Kind vor. Schaffe ihm im Alltag viiiiel mehr Leerlauf und Pausen und schaue, was passiert.
- Soziale Kompetenz und Frustrationstoleranz: Wenn dein Kleinkind öfter dazu aufgerufen ist, eigene Spiele zu entwickeln, Lösungen zu finden und kreativ zu werden, erhöht das automatisch auch seine soziale Kompetenz und die Art, mit Frustration umzugehen.
Unsere Empfehlung ist daher …
Der goldene Mittelweg: Übung macht den Meister
Um eine Balance zwischen wöchentlichen Förderangeboten und Freispielzeit zu schaffen, ist es als Elternteil wichtig, kleinschrittig voranzugehen, sich Anpassungen zu erlauben, gut zu beobachten und Rücksprache mit dem Kind zu halten.
Denn:
- Jedes Kind ist anders und braucht eine andere Wochenstruktur. Und diese kannst du nur durch das Beobachten, Ausprobieren, Anpassen und durch regelmäßige Gespräche mit deinem Kind erforschen.
- Zu wenig Angebote sind genauso schlecht, wie zu viele. Manche Kinder benötigen in der Woche einfach mehr “Futter” und Auslastung (körperlich wie sozial) als andere. Angebote oder private Treffen schlagartig komplett zu streichen, ergibt also auch keinen Sinn. Das ist immer individuell zu betrachten.
- Vergleiche, Kommentare und Bewertungen sein lassen! Sowohl zwischen den Kindern, als auch mit anderen Eltern. Wenn du hier aufmerksam bei dir und deinem Kind bleibst, bist du auf der sicheren Seite, um die Balance zwischen Freiraum und Förderung zu meistern.
- Eure Lebenssituation mitbedenken! Ja, natürlich spielt es auch eine Rolle, was für dich etwa wöchentlich umsetzbar ist, wenn du das Kind zu seiner Freizeitaktion begleitest. Oder aber, wie eure Familienkonstellation generell ist, etwa wie und ob ihr euch hier gegenseitig entlasten und begleiten könnt.
Als grobe Richtwerte empfehlen wir …
Pädagogin empfiehlt: 1 (Förder-)Termin pro Woche genügt!
Das Kind in seinen Fähigkeiten, Gaben und Talenten zu fördern ist richtig und wichtig. Jedoch reicht hierfür im Kleinkindalter 1 Termin pro Woche völlig aus.
Ob das jetzt Kinderturnen, musikalische Früherziehung oder ein Selbstbehauptungskurs für Kleinkinder ist, solltest du mit dem Kind zusammen überlegen und entscheiden. Wichtig ist immer, dass du DIE Freizeit- und Förderaktivität wählst, die zu deinem Kind, seinen Bedürfnissen, Wünschen, Interessen und Vorlieben passt. Hier ist jedes Kind unterschiedlich.
Manchmal kann es etwa auch sinnvoll sein, einen Wochentag und Zeit zu wählen, wo das Kind entspannter ist. Beispielsweise nicht immer gleich am Montag (je nachdem wie voll die Wochenenden sind). Aber das kann natürlich auch wieder ganz individuell sein
Du wirst dein Kind nur dann nachhaltig fördern können, wenn du das Angebot oder Hobby an seine Bedürfnisse, Vorlieben, Interessen und Wünsche anpasst.
Playdates: Wie viele braucht mein Kind?
Vermutlich ahnst du es bereits: Auch das ist individuell zu betrachten und kommt auf die Situation und aufs Kind an.
Aus pädagogischer Sicht genügt auch hier 1 Verabredung pro Woche, etwa zuhause oder auf dem Spielplatz, im Park oder Wald, bei der ihr als Eltern dabei seid. Meist eignet sich dafür auch der Zeitraum kurz nach der Kita.
Wichtig ist, dein Kind währenddessen und in der Zeit nach dem Playdate aufmerksam zu beobachten:
- Ist es zügig reizüberflutet?
- Wie geht es ihm nach dem Treffen? Wirkt es ausgelaugt, erschöpft, apathisch oder eher ausgeglichen und auf positive Weise ausgepowert?
- Oder braucht es sogar noch mehr sozialen “Futter” mit Gleichaltrigen?
Fazit
Das Kind schon früh in seinen individuellen Gaben und Talenten zu fördern ist eine gute Überlegung. Pass jedoch auf, dass dein Kleinkind keinen Freizeit- und Frühförderstress bekommt.
Wichtig ist immer, dass du das Förderangebot individuell für dein Kind, seine Persönlichkeit sowie seine Bedürfnisse, Interessen und Vorlieben auswählst.
Hier gibt es kein “richtig oder falsch”. Geh einfach in kleinen Schritten voran und beobachte dein Kind dabei wachsam. Halte Rücksprache mit ihm und erlaubt euch gemeinsam, Dinge auszuprobieren und wieder zu verwerfen, um den goldenen Mittelweg zu finden.
Ansonsten möchten wir dich dazu ermutigen, der Entwicklung deines Kindes und seinem ureigenen Tempo zu vertrauen.