Wenn das Kleinkind haut, kannst du mit deiner Reaktion darauf die Weichen für seine emotionale Intelligenz und sein Sozialverhalten stellen. Wie, das zeigen wir jetzt.
Dein Kleinkind hat dich oder einen anderen Menschen gehauen oder hat gerade eine „Hau-Phase“? Vermutlich hast du den starken Drang, jetzt richtig zu reagieren, damit das nicht öfter vorkommt oder sich zu einem “Hau-Verhalten“ entwickelt.
Wusstest du, dass solche Situationen sogar eine große Chance für die Entwicklung des Kindes sein können? Ja, du hast richtig gehört.
Doch zunächst ist es wichtig, zu überlegen …
Warum haut es überhaupt?
Kleinkinder hauen oft aus einem Reflex heraus. Häufig steckt dahinter …
- Hilflosigkeit in sozialer Interaktion/Konflikt: Ein Gefühl des „Nicht-weiter-Wissens“ oder der Ohnmacht in einer für das Kind herausfordernden Situation mit einem anderen Menschen.
- Starke, nicht aushaltbare Gefühle: Überforderung, Unsicherheit, Ängste, Panik, tiefe Traurigkeit usw.
- Lang angestautes Gefühl: Jedes Gefühl im Körper verschafft sich irgendwann Luft, wenn es vorher nicht herausgelassen wurde. Manchmal reicht dann eine Kleinigkeit, die das Fass zum Überlaufen bringt.
- Reizüberflutung: Zu viele Angebote, Anforderungen oder Reize im Außen, die Anspannung erzeugen. Diese kann sich durch die körperliche Reaktion entladen.
- Unerfüllte emotionale Bedürfnisse: Etwa das Bedürfnis nach Ruhe, Zuwendung oder Nähe, sich aber nicht äußern können.
- Plötzliche Lebensveränderungen, Druck oder übermäßige Erwartungen ans Kind: Hauen kann – wie oben beschrieben – eine Ausdrucksform sein, Angestautes, Druck oder Erwartungen aus dem Körper zu lassen und sich so zu entladen.
- Chronischer Stress, seelische Belastungen und Traumata: Es kann auch eine Traumareaktion des Körpers sein oder ein Symptom von chronischem Stress.
Wir möchten dir keine Angst machen und gleichzeitig alle möglichen Ursachen benennen.
Auch hier gilt wie so oft: Alles kann, nichts muss dahinterstecken. Besprich dich mit dem anderen Elternteil und ziehe, wenn nötig, auch die Beobachtungen weiterer Bezugspersonen und der Kita hinzu.
Kein Kleinkind haut aus Boshaftigkeit
Die sozial-emotionale und die geistige Entwicklung des Kindes befinden sich in diesem Alter noch im Aufbau. Ein Kleinkind KANN also noch gar nicht aus Absicht einem anderen Menschen Schaden zufügen. Absichtsvolles Handeln beginnt je nach individueller Entwicklung erst im Vorschulalter (zwischen 4 und 6 Jahren).
Hauen ist also ein Kommunikationsmittel, wenn die Worte fehlen. Es ist dann wie eine Übersprungshandlung seines Systems.
Ein Perspektivwechsel: Das Verhalten des Kindes verstehen
Auch du kennst sicherlich Situationen, in denen du überfordert bist und deinem Gefühl Luft machen möchtest. Das ist ganz natürlich, weil du ein Mensch bist.
Im besten Fall hast du gelernt, deine Gefühle wahrzunehmen, zu fühlen und sie dann zu regulieren, sodass du sie nicht über körperliche oder sprachliche Gewalt an dir selbst oder anderen Menschen herauslassen musst.
Doch woher soll ein Kleinkind automatisch wissen, wie man sich selbst reguliert, wenn es das bisher noch nicht gelernt hat und sich sein Gehirn noch entwickelt?
Was das Ganze mit dir zu tun hat
Für diesen Lernprozess braucht es nicht perfekte, sondern echte Vorbilder, die das Kind in ihrem Verhalten nachahmen kann.
Deswegen ist das Hauen des Kleinkindes – so unangenehm es zunächst ist – auch eine große Chance, ihm zu zeigen, wie es sich selbst anders regulieren kann.
Das Kleinkind haut: Die Situation jetzt bewusst begleiten
Sieh das folgende Beispiel lediglich als eine Idee an. Wie du das Ganze handhabst, ist immer dir überlassen.
Beispiel: Ihr habt einen Termin in der Kinderarztpraxis. Dein Kind ist tief in einem Spiel in seiner eigenen Welt versunken. Du erinnerst es mehrmals daran, aufzuräumen und wirst immer ungehaltener. Plötzlich eskaliert die Situation. Dein Kind wird wütend und haut dich.
- Zunächst bei dir selbst bleiben: Atme durch und versuche, möglichst ruhig zu bleiben. Suche Augenkontakt und komme auf die Körperhöhe des Kindes. Respektiere gleichzeitig, wenn dein Kind den Augenkontakt nicht aushält.
- Dir deiner Körpersprache bewusst sein: Sieht dein Kind klar, bestimmt und ernst an. Mach möglichst kein „empörtes“ oder „schockiertes“ Gesicht, das könnte es falsch verstehen oder nicht richtig lesen.
- Benenne, was vorgefallen ist: „Du hast mich gerade gehauen. Das hat mir weh getan.“
- Vermutungen äußern und Fragen stellen: „Kann es sein, dass du gerade wütend auf mich bist, weil du nicht weiterspielen kannst?“
- Geduldig und ruhig bleiben: Manche Kinder können ganz genau sagen, warum sie hauen, andere fühlen es, können es aber bislang nicht ausdrücken. Vielleicht macht dein Kind komplett dicht – auch das ist legitim. Möglicherweise gibt dir auch seine Körpersprache Hinweise.
- Verständnis zeigen: „Du wolltest weiterspielen und bist wütend, dass wir losmüssen. Das verstehe ich.“
- Werte kindgerecht formulieren: „Es ist allerdings nicht in Ordnung zu hauen. Hauen verletzt und tut weh.“
- Alternativen bieten: „Wenn du das nächste Mal wütend auf mich bist, bitte sag es mir, anstatt mich zu hauen.“
- Geduldig auf die Reaktion des Kindes warten: Hier ist es wieder völlig okay, wenn dein Kind dir nicht antworten kann oder der Situation entfliehen will. Jede Reaktion ist legitim.
- Unmittelbare Alternativen bieten: „Ist die Wut noch immer im Körper? Wie könntest du sie jetzt noch herauslassen? Wollen wir vielleicht einmal ganz laut schreien?“
Bedenke immer: Dein Kind lernt diese Dinge jetzt gerade erst. Es braucht vermutlich viele solche und ähnliche Situationen, bis es andere Handlungsmuster findet – und diese anwenden kann.
Kein Lernprozess geschieht über Nacht. Vor allem nicht die Selbstregulation starker Gefühle. Auch das wirst du aus Erwachsenen-Sicht sicher kennen.
Deine Reaktion darauf prägt dein Kind
Statt also in Sorge zu verfallen, dass das Kind jetzt nur noch haut, ist es hilfreich, sich die große Chance dahinter bewusst zu machen. Du hast genau JETZT die Möglichkeit, deinem Kind alternative Handlungsmethoden für den Umgang mit starken Gefühlen mit auf seinen Weg zu geben.
Die Art, wie du auf diese Situationen reagierst, setzt die Basis für seine Entwicklung von emotionaler Intelligenz. In diesem Artikel gehen wir näher auf das Thema ein:
Warum die Aussage „Nicht hauen!“ das Gegenteil erzeugt
Wusstest du, dass es sogar das Gegenteil hervorruft, wenn du das Kind bittest, nicht zu hauen? Der Hintergrund: Denk mal nicht an einen rosa Elefanten. Na, woran hast du gerade gedacht?
Wenn du mehr zum Thema „Umgang mit Hauen, Beißen, Kratzen“ wissen willst, höre super gerne in unseren Podcast mit Kindheitspädagogin, Autorin und 2-fach-Mama Lea Wedewardt rein:
Wenn das Hauen auffällig stark zunimmt …
… und sich das Ganze auch in der Kita oder Freizeit zeigt, empfehlen wir den Gang zur Kinderarztpraxis. Alles kann, nichts muss dahinterstecken. Wenn eine seelische Belastung zugrunde liegt, kann dich die Praxis an Fachstellen der Kinder- und Jugendpsychotherapie weiter verweisen.
Möglicherweise kann auch eine kostenlose Familienberatung Abhilfe leisten, wenn das Hauen des Kindes ein Resultat von Stress oder eines Traumas innerhalb der Familie ist (Trennung, Tod usw.). Hier könnt ihr euch auch als Eltern schulen lassen, wie man am besten mit solchen Situationen umgeht.
Hier geht es nicht um Schuld oder die Frage nach “Was stimmt hier nicht?“, sondern eher darum, die Belastung nun zunächst für das Kind und dann für alle Beteiligten langfristig zu verringern, damit dein Kind andere Handlungsoptionen für sich finden kann.
Fazit
Wenn das Kleinkind dich oder einen anderen Menschen haut, ist das zunächst unschön.
Viel wichtiger ist allerdings, wie du das Ganze begleitest. Solche Situationen bieten immer auch einen Nährboden für die sozial-emotionale Entwicklung deines Kindes.
Jetzt ist es sinnvoll, sich aktiv mit dem Kind über das Thema “Gefühle fühlen, annehmen, aushalten, loslassen“ auszutauschen und gute Methoden zu benennen und vorzuleben.