Manchmal entwickelt das Kind plötzlich starke Ängste oder Phobien gegen Situationen, Umstände oder Objekte. Das kann unheimlich belastend sein, sowohl für das Kind als auch für die ganze Familie. Wir klären, wie Eltern in diesen Fällen reagieren können.
Dein Kind hat in letzter Zeit eine Phobie oder starke Angst gegen etwas entwickelt?
Wir haben die wichtigsten Informationen für dich zusammengetragen, die jetzt wichtig zu wissen sind. Denn je nach Stärke und Ausprägung der Angst darfst du nun ins Handeln kommen.
Erste Anzeichen und Symptome
Laut der ICD-10 Klassifikation für psychische Störungen zählen Ängste, Phobien und Angststörungen zu den neurotischen (emotional, psychisch), Belastungs- und somatoformen (nicht durch medizinische Ursache erklärbar) Störungen.
Erste Anzeichen und Symptome von Phobien, Ängsten und Angststörungen sind unter anderem …
- Körperlich: Mundtrockenheit, Schwindel, Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Kälteschauer, Kribbelgefühle, Muskelverspannungen, Herzklopfen, Zittern, Atembeschwerden, Beklemmungsgefühle
- Seelisches Erleben: Kontrollverlust, Angst zu sterben, Unsicherheit, Benommenheit, Ruhelosigkeit, Nervosität, übertriebene Schreckhaftigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Leeregefühl, Reizbarkeit, Schlafstörungen
Die Symptome treten meist in Kombination auf oder wechseln sich ab. Sowohl während der erlebten Angst, als auch davor oder danach. Bei phasenweisen Ängsten können sie auch einzeln auftreten. Das größte gemeinsame Merkmal ist die starke innere Belastung der Betroffenen durch die erlebte Angst.
Phobien
Eine Phobie ist eine Angst, die überwiegend durch eindeutig festgelegte, „eigentlich“ ungefährliche Situationen entsteht. Zu Phobien zählen zum Beispiel:
- Agoraphobe: Angst vor großen Menschenmassen in Geschäften, Bus, Bahn oder öffentlichen Plätzen
- soziale Phobie: Angst vor der Prüfung oder Bewertung anderer Menschen, die zu einer aktiven Vermeidung von sozialen Situationen führt. Meist hat das betroffene Kind auch ein geringes Selbstwertgefühl.
- Höhenangst
- Phobien vor bestimmten Tieren
- Klaustrophobie: Angst vor geschlossenen Räumen
- Prüfungsangst
- Angst vor spitzen Gegenständen
Bei Phobien zeigt sich häufig auch eine „Erwartungsangst“, also die Angst, sich mit ihr konfrontieren zu müssen.
Beispiel: Das Kind hat eine Katzenphobie und direkt nach dem Aufwachen schon starke Sorgen, im Tagesverlauf auf eine Katze treffen zu können.
Angststörungen
Bei Angststörungen ist die Angst das Hauptsymptom. Sie muss sich aber nicht auf bestimmte Umgebungen oder Dinge beziehen, wie bei Phobien. Größtenteils tritt sie im Zusammenhang mit depressiven und zwanghaften Symptomen auf.
Beispiel: Das betroffene Kind hat Angst vor Schmutz, entwickelt daher einen Waschzwang, zieht sich in sich zurück und weigert sich, die Wohnung zu verlassen.
Generalisierte Angststörung
Es wird von einer generalisierten Angststörung gesprochen, wenn übermäßige Sorgen sowie eine starke Angst vor bestimmten Situationen über mindestens 6 Monate anhalten.
Die Angst auslösenden Situationen können sich hierbei abwechseln oder erweitern. Häufig sind es alltägliche Dinge, ohne spezifischen Auslöser oder Grund, auf die sich die Angst bezieht.
Beispiel: Das Kind hat ohne spezifischen Auslöser Angst davor, dass ihm auf dem Weg zum Supermarkt etwas zustoßen könnte, selbst wenn es mit seinen Eltern dorthin geht.
Panikstörungen
Panikstörungen zeichnen sich durch wiederkehrende Panikattacken aus, die unmittelbar und in jeder beliebigen Umgebung auftreten können.
Wie auch bei den Phobien und der Angststörung haben betroffene Kinder größtenteils Herzklopfen, Brustschmerzen, Schwindel und die panische Angst zu sterben.
Häufig steht eine Panikstörung im Zusammenhang mit depressiven Störungen oder Symptomen. Der innere Leidensdruck und die Angst vor einer erneuten Panikattacke ist häufig sehr hoch.
Mögliche Ursachen
Wie so häufig ist es auch bei Phobien, Ängsten und Angststörungen so, dass eine Vielzahl von möglichen Ursachen alleine oder in Kombination dahinterstecken können, wie etwa:
- natürliche Entwicklungsphasen: Manchmal sind Ängste und Phobien ein natürlicher Teil von Entwicklungsphasen. Ist im Körper des Kindes eine Menge los und im Umschwung, kann sich das auch über phasenhafte Ängste äußern. Eine Trennungsangst von den Eltern ist etwa ein regulärer Teil der Kleinkindentwicklung, welche – im gesunden Ausmaß und Länge – wichtig für die Entwicklung von Autonomie ist.
- Fantasie: Ein Kind mit ausgeprägtem Vorstellungsvermögen kann stärker von Ängsten betroffen sein. Denn wenn innerlich alles möglich ist, kann das Kind das zügig auch auf seine Umgebung übertragen.
- beobachtendes Verhalten: Sind die Erwachsenen im Umkreis des Kindes bei bestimmten Dingen ängstlich, kann das auch auf das Kind abfärben. Kinder lernen primär durch Nachahmung.
- Neues und Veränderungen: Ob der Kita-Wechsel, der Umzug oder die Trennung der Eltern – jegliche Veränderungen im Leben des Kindes können Ängste und Phobien hervorrufen.
- Veranlagung: Es gibt wie bei allen psychischen oder körperlichen Symptomatiken auch bei Ängsten und Phobien eine genetische Veranlagung, die dahinterstecken kann.
- Reaktionen auf Stress: Angststörungen jeglicher Art können auch eine Reaktion des Körpers auf dauerhaften Stress sein. Häufig findet sich der Stress dann auch im Familiensystem wieder. Bedenke hier, dass Stress individuell wahrgenommen wird. Selbst wenn du euren Alltag nicht als „stressig“ empfindest, kann das für dein Kind ganz anders sein.
- zu hohe Erwartungen: Übermäßige Erwartungen an die Leistung des Kindes, egal ob zu Hause, in der Kita oder der Schule, begünstigen Angststörungen.
- Seelische Belastungen: Fühlt sich das Kind nicht gesehen, verstanden, gehört und sicher oder leidet es unter anderen seelischen Belastungen – sowohl in sich selbst als auch in seiner Umgebung – kann das Ganze Ängste und Phobien auslösen.
- Traumatische Erfahrungen: Hat dein Kind ein oder mehrere Traumata durchlebt, können Angststörungen und Phobien eine Antwort des Körpers und Geistes darauf sein. Insbesondere dann, wenn es bisher keine Möglichkeiten oder Unterstützungen hatte, das Trauma zu verarbeiten.
- Hinweis auf eine Neurodiversität oder Begleitsymptom: Eine Panik- oder Angststörung sowie Phobien können immer auch ein Hinweis auf eine Neurodiversität sein oder als Begleitsymptom etwa einer Depression, Essstörung, ADHS/ADS, einer Autismus-Spektrum-Störung oder einer Entwicklungsverzögerung auftreten. Im nächsten Absatz erfährst du, was du als Elternteil tun kannst, um genau das herauszufinden.
Was Eltern tun können
Du siehst: Jede Angst des Kindes kann auch einfach nur entwicklungsbedingt oder phasenweise auftreten. Nicht immer muss etwas Größeres dahinterstecken.
Sobald dir die Länge, Ausprägung und das Ausmaß allerdings ungewöhnlich vorkommt, darfst du ins Handeln kommen. Vertraue hier auf dein elterliches Bauchgefühl.
In diesen Fällen empfehlen wir …
Gehe zur Kinderarztpraxis!
Gerade Ängste und Phobien sind sehr häufig ein Zeichen einer seelischen Belastung.
Dies gilt es ärztlich abzuklären, damit dein Kind bestmöglich begleitet werden kann, die Symptome gelindert werden und sich im besten Fall ganz auflösen können. In der Kinderarztpraxis wirst du möglicherweise auch weiter vermittelt an Fachstellen der Kinder- und Jugendpsychotherapie.
Bei psychischen Symptomen des Kindes hat oberste Priorität, dass du der Kinderarztpraxis mit deinem Anliegen vertraust, damit dein Kind hier ernst genommen wird. Ist das nicht der Fall, wechsele im Zweifel lieber die Praxis.
Begleite dein Kind achtsam
Unabhängig von dem, was bei der Kinderarztpraxis herauskommt, darfst du dein Kind jetzt ganz bewusst und achtsam begleiten. Das könnte etwa so aussehen:
- Deine Begleitung als Elternteil: Sei ein Fels in der Brandung für dein Kind. Bleibe möglichst geduldig, liebevoll und wertschätzend im Alltag und in euren Gesprächen. Kommentiere oder bewerte die Ängste und Phobien nicht, sondern nimm an, was sich zeigt. Je nachdem wie alt dein Kind ist, kannst du es regelmäßig fragen, was es gerade braucht. Biete ihm deine Nähe und Fürsorge an, nimm es aber nicht persönlich, falls dein Kind das ablehnt. Die seelische Belastung ist bei Phobien und Ängsten manchmal so stark, dass das Kind Nähe etwa gar nicht aushalten kann.
- Minimiere alle möglichen Stressoren: Sorge dafür, dass alles, was dein Kind gerade zusätzlich oder ohnehin im Alltag belasten könnte, möglichst verringert wird. Stressoren verschlimmern Symptomatiken meist nur, insofern bist du immer auf der sicheren Seite, wenn du sie erkennst.
- Sorge für genügend Freiraum und Freispiel-Zeit: Ängste, Phobien und Angststörungen sind vor allem mental eine Qual. Eine äußere Freiheit schafft innerlich Möglichkeiten, mehr im eigenen Körper sowie im Hier und Jetzt anzukommen. Wenn neben Kita oder Schule ganz viel Zeit für eine freie Gestaltung ist und möglichst wenig Einengung, kann dein Kind möglicherweise etwas loslassen. Frage es auch aktiv nach seinen Wünschen oder lass es von vornherein selbst entscheiden. Bleibe eher in der anbietenden Beobachterrolle.
- Dein Austausch: Bei der Begleitung deines Kindes darfst du im Austausch mit Menschen bleiben, denen du vertraust, sowie mit der Kinderarztpraxis.
Sorge auch für dich selbst
Vielleicht bist du durch die Ängste und Phobien deines Kindes auch selbst stark belastet, machst dir Sorgen und kommst innerlich nur schwer zur Ruhe.
Scheue deshalb nicht, dir professionelle Unterstützung zu holen.
Du kannst für dein Kind nur dann vollends da sein und es begleiten, wenn du jetzt auch für dich und dein Seelenheil sorgst.
- Frühe Hilfen oder Familienhebammen
- Haushaltshilfen
- kostenlose Familienberatung
- andere Hilfsangebote
Fazit
Ängste, Phobien und Angststörungen des Kindes können verschiedene Ursachen haben. Manchmal zeigen sie sich phasenweise oder entwicklungsbedingt und verwachsen sich von selbst.
In anderen Fällen liegt eine seelische Belastung beim Kind vor.
Wichtig ist dann, dass du als Elternteil die Anzeichen erkennst und den Gang zur Kinderarztpraxis nicht aufschiebst. Versuche auch zu Hause ganz bewusst mögliche Stressoren zu verringern, mit deinem Kind liebevoll, geduldig und wertschätzend zu bleiben und genügend Freiräume zu schaffen.
Kümmere dich auch um dein eigenes Seelenheil, um in dieser Zeit in deiner Kraft zu bleiben. Denn nur dann kannst du dein Kind mit allem, was du hast, unterstützen.
Wir wünschen dir von Herzen, dass deinem Kind nun die Hilfe zuteil wird, die es jetzt gerade braucht.
Quellen
- Bürgin, Dieter (1993). Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter. Stuttgart: Gustav Fischer Verlag.
- Caby, Filip und Andrea (2011). Die kleine psychotherapeutische Schatzkiste. Tipps und Tricks für kleine und große Probleme vom Kindes- bis zum Erwachsenenalter. (2. Auflage). Dortmund: Borgmann Media.
- Dilling, Horst, Freyberger, Harald J. (2016): ICD-10. Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen. (8. Auflage). Hogrefe Verlagsgruppe.
- Greving, Prof. Dr. Heinrich, Ondracek, Prof. Dr. Petr (2010): Handbuch Heilpädagogik. (2. Auflage) Troisdorf: Bildungsverlag EINS GmbH.
- Perls, Frederick S., Hefferline, Ralph F., Goodman, Paul (2015). Gestalttherapie. Grundlagen der Lebensfreude und Persönlichkeitsentfaltung. (9. Auflage). Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.
- Siegel, Elaine V. (1997): Tanztherapie. Seelische und körperliche Entwicklung im Spiegel der Bewegung. Ein psychoanalytisches Konzept. (4. Auflage) Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.