Starke Emotionen fordern uns ganz schön heraus – bei uns selbst wie auch beim eigenen Kind. Wie du bei starken Emotionen des Kindes entspannt bleiben und sie als etwas Normales verstehen kannst, mehr dazu hier.
Ich fühle, also bin ich.
Wir Menschen sind fühlende Lebewesen. Ob Trauer, Wut, Scham, Freude, Stolz – die Gefühlspalette ist groß. Nicht immer fällt es uns leicht, jedes Gefühl gleich gut auszuhalten. Manche Gefühle lehnen wir sogar ab.
Insbesondere starke Gefühle machen manchmal richtig Angst (schwups, schon wieder ein neues Gefühl!). Zeigt das eigene Kind starke Gefühle, ist das deswegen manchmal gar nicht leicht auszuhalten.
Aber warum ist das eigentlich so?
Warum fällt es so schwer, starke Gefühle auszuhalten?
Wie wir mit eigenen und fremden Gefühlen umgehen, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
1. Prägung und Erziehung
Unsere individuelle Prägung bestimmt unsere Gefühlsregulation bis heute.
Also die Art und Weise, wie deine engsten Bindungs- und Bezugspersonen seit frühester Kindheit mit dir über Gefühle gesprochen haben, ob du alle (!) Gefühle zeigen durftest, ob es No-Gos bei Gefühlen gab, wie mit deinen Gefühlen umgegangen wurde und wie sie kommentiert wurden.
All diese Erfahrungen sind noch immer in deinem Unterbewusstsein gespeichert.
2. Die individuellen Erfahrungen mit eigenen Gefühlen
Hinzu kommen individuelle Erfahrungen.
Gab es etwa Situationen in deinem Leben, in denen du deine Gefühle ungeschönt gezeigt hast, dein Umfeld aber nicht damit umgehen konnte? Oder aber Gefühlsausbrüche, die zu Trennungen, Konflikten oder Ähnlichem geführt haben?
Die Antworten auf diese Fragen bestimmten die Art, wie du über Gefühle – unbewusst und bewusst – denkst, fühlst und mit ihnen umgehst. Sowohl bei dir selbst als auch bei deinem Kind.
3. Der Moment, in dem das Gefühl kommt
Bist du zurzeit stark belastet, kannst du starke Gefühle vermutlich weniger gut aushalten, als wenn du sorglos im Urlaub bist.
Das „Jetzt”, also deine aktuelle Lage in deinem Leben, bestimmt deine Fähigkeit der Gefühlsregulation immer mit.
Warum „Gefühle fühlen“ essenziell ist.
Hättest du gewusst, dass ein Gefühl im Prinzip nur 90 Sekunden anhält, sofern wir es auch wirklich fühlen? Das hat die Neurologin Jill Bolte Taylor herausgefunden.
Wenn wir uns also erlauben, es wirklich zu fühlen, können wir im Umkehrschluss auch viel mehr in unserer Selbstbeherrschung bleiben und es im Nachgang besser regulieren.
Gefühle sind wie Botschaften von Körper, Geist und Seele. Sie weisen uns auf etwas hin. Auf Themen und Dinge, die uns bewegen – in welcher Hinsicht auch immer.
Das macht das “Gefühle fühlen” wahnsinnig essenziell.
Denn was bleibt übrig, wenn wir uns nicht mehr erlauben, zu fühlen oder wenn wir schwere Gefühle dauerhaft unterdrücken? Zeigen wir uns dann echt? Vor uns selbst, aber auch vor unseren Mitmenschen?
Eigene Gefühle
Wenn es um die Begleitung deiner eigenen Gefühle geht, möchten wir dich dazu ermutigen, dir regelmäßig Me-Time-Momente im Alltag zu schaffen, in denen du mit dir selbst einen „emotionalen Check-in“ machst.
Und wenn das nur die ersten 5 Minuten des Tages im Bett sind. Frage dich in diesen Augenblicken aufrichtig: „Wie geht es mir heute? Welches Gefühl ist da?“
Dann kannst du auf Spurensuche gehen. Was trägt das Gefühl für eine Botschaft?
Auch Tagebuch-Schreiben, Spaziergänge, Yoga oder Meditation können sehr unterstützend sein, wenn du dich mehr mit dir und deinen eigenen Gefühlen auseinandersetzen möchtest. Dafür darfst du dir im ersten Schritt immer erlauben, jedes Gefühl anzunehmen.
Bekommst du schon beim Gedanken daran Schweißausbrüche, scheue dich nicht, hier Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Du darfst dich im Leben immer entlasten lassen.
- Telefonseelsorge, Tel: 0800-1110111 und 0800-1110222
- Elterntelefon „Nummer gegen Kummer“, Tel: 0800-1110550
- kostenlose Familienberatung
- andere Hilfsangebote
Starke Gefühle des Kindes immer begleiten?
Im besten Fall begleitest du jede Emotion bei deinem Kind, vor allem im Baby-, Kleinkind und Grundschulalter.
Denn so lernt dein Kind, eigene Gefühle (wertfrei) zu erkennen, anzunehmen, zu fühlen und wieder gehen zu lassen: Die Art und Weise, wie du damit umgehst.
Auch hier bestätigen Ausnahmen natürlich die Regel und gehören mit dazu.
Vorbereitend können wir dir noch diese Artikel zum Thema „starke Emotionen beim Kind” empfehlen:
- Gefühlskompass für Eltern: Die fünf Grundgefühle und was sie bewirken
- Die Autonomiephase – 5 Tipps für den Umgang mit Wutanfällen
- Wie dein Kind lernt, mit seiner Wut umzugehen
- Muss mein Kind still sein (können), wenn ich rede?
Wie begleite ich starke Emotionen beim Kind gelassen?
Beispiel: Gleich ist Abendessens-Zeit und du animierst dein Kind, mit nach Hause zu kommen. Es ist wütend, dass ihr nicht auf dem Spielplatz bleiben könnt. Dein Kind bekommt einen Wutanfall.
Zuerst empfehlen wir dir einen kleinen Check-in mit dir selbst.
Frage dich etwa: „Habe ich gerade genug innere Gelassenheit, um dieses Gefühl gut zu begleiten? Oder bin ich gestresst und würde deshalb zu impulsiv reagieren?“
Bist du entspannt, könntest du die Situation etwa so begleiten …
Gefühle des Kindes entspannt begleiten – ein Beispiel
- Körperhaltung: Knie dich neben dein Kind. Je nachdem wie es reagiert, könntest du es jetzt sanft berühren oder deine Hand einladend hinhalten.
- Mimik: Spiegele deine Empathie für seine Wut. Dieser Punkt ist besonders wichtig, damit dein Kind spürt, dass du sein Gefühl ernst nimmst.
- Sprache: Benenne, welches Gefühl du beobachtest/vermutest. Beispiel: „Kim, kann es sein, dass du gerade sehr wütend bist, dass wir jetzt nach Hause gehen?“
- Verständnis: „Ich verstehe, dass du wütend bist. Du hättest gern noch länger hier gespielt, oder?“ Warte auch immer die Reaktionen deines Kindes ab und gehe auf diese ein.
- Klar bleiben: „Allerdings ist es schon spät. Es ist Zeit, zu Hause Abend zu essen.“
- Geduld: Lass deinem Kind Zeit, seine Wut herauszulassen. Auch wenn das – gerade in der Öffentlichkeit – nicht immer einfach auszuhalten ist. Dann kannst du einen Vorschlag machen.
- Kompromiss: „Sollen wir uns noch einmal vom Rutschturm verabschieden? Wir könnten ihm gemeinsam zuwinken und danach gehen wir nach Hause zum Abendessen.“
Ja, diese Situation ist rein theoretisch und lässt sich nicht immer umsetzen. Sieh sie eher als Impuls an.
Emotionen begleiten, wenn du selbst gestresst bist
Wenn du zu gestresst bist, kannst du zunächst anerkennen, dass es so ist. Dann kannst du deinem Kind genau das erklären und dennoch in deiner Rolle als Elternteil bleiben.
Schritt 1 – Die eigenen Gefühle anerkennen
Beispiel inneres Selbstgespräch: „Ich bin gerade völlig am Ende. Es ist, wie es ist. Mein Kind braucht mich jetzt trotzdem. Ich atme jetzt durch und begleite das Gefühl, so gut wie es jetzt eben geht. Später nehme ich mir die Zeit für mich, die ich brauche.“
Aus dieser inneren Klarheit heraus wird es dir vermutlich leichter fallen, die Situation zu begleiten.
Schritt 2 – Mit deinem Kind sprechen
Beispiel: „Kim, ich sehe, dass du wütend bist. Ich bin gerade sehr gereizt. Lass uns mal gerade kurz auf diese Bank setzen und gemeinsam durchatmen.“
Wenn möglich, bitte den anderen Elternteil oder eine weitere Bezugsperson, das starke Gefühl deines Kindes zu begleiten.
Geht das nicht, nimm dir etwas Zeit, um durchzuatmen, ehe du auf dein Kind eingehst. Falls dein Kind einen akuten Wutanfall hat, wird das natürlich nicht möglich sein.
Und ja, es darf bei starken Emotionen auch mal krachen zwischen euch. Auch das gehört dazu, dass das Kind diese Erfahrung macht, sofern es nicht ständig so ist.
Entlastung durch Anker
Vielleicht gibt es etwas, was dir Kraft für die Begleitung gibt, so wie ein Anker.
Das kann ein Glücksbringer in der Tasche sein oder deine Armbanduhr. Drücke diesen Anker einmal ganz fest und gib dir dadurch selbst die Kraft, die du jetzt brauchst. Du kannst deinen Stress auch symbolisch an den Anker abgeben und dich dadurch selbst entlasten. Auch ein paar Mal tief ein- und wieder ausatmen kann schon Großes bewirken.
Wir wissen, das ist in der Theorie leichter gesagt als getan. Du kannst hier spielerisch vorangehen und schauen, ob du vorab etwas findest, was dir in solchen Situationen von außen Kraft gibt.
Fazit
Starke Emotionen sind normal – sowohl bei uns selbst als auch bei unserem eigenen Kind.
Wenn wir uns als Erwachsene erlauben, starke Emotionen zuzulassen, wird das Kind uns automatisch nachahmen. Dafür dürfen wir sie in erster Linie wertfrei betrachten, ganz in dem Wissen, dass sie auch wieder vorüberziehen, wenn wir sie fühlen.
Viel wichtiger als das Fühlen ist jedoch, wie du deine Gefühle selbst regulierst und wie du das bei deinem Kind begleitest.
Hier ist ein ehrliches Hinschauen zu dem, was ist, häufig der Schlüssel zum Glück. Das gilt auch für Situationen, in denen dein Kind einen Gefühlsausbruch hat und du selbst völlig gestresst bist.
Wenn du dein Kind in seinen Gefühlen immer ernst nimmst, bist du auf der sicheren Seite. Damit dir das Begleiten starker Gefühle leichter fällt, darfst du dich zunächst selbst in deinen Empfindungen liebevoll begleiten.
Quellen
- Bürgin, Dieter (1993). Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter. Stuttgart: Gustav Fischer Verlag.
- Caby, Filip und Andrea (2011). Die kleine psychotherapeutische Schatzkiste. Tipps und Tricks für kleine und große Probleme vom Kindes- bis zum Erwachsenenalter. (2. Auflage). Dortmund: Borgmann Media.
- Dilling, Horst, Freyberger, Harald J. (2016): ICD-10. Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen. (8. Auflage). Hogrefe Verlagsgruppe.
- Greving, Prof. Dr. Heinrich, Ondracek, Prof. Dr. Petr (2010): Handbuch Heilpädagogik. (2. Auflage) Troisdorf: Bildungsverlag EINS GmbH.
- Perls, Frederick S., Hefferline, Ralph F., Goodman, Paul (2015). Gestalttherapie. Grundlagen der Lebensfreude und Persönlichkeitsentfaltung. (9. Auflage). Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.
- Siegel, Elaine V. (1997): Tanztherapie. Seelische und körperliche Entwicklung im Spiegel der Bewegung. Ein psychoanalytisches Konzept. (4. Auflage) Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.
- Sussex Publishers, LLC (2020): The 90-Second Rule That Builds Self-Control. https://www.psychologytoday.com/us/blog/the-right-mindset/202004/the-90-second-rule-builds-self-control