Ja, schon Kleinkinder können Stress empfinden. Wichtig ist, dass du als Elternteil nicht abwartest, sondern dein Kind jetzt bewusst begleitest und handelst. Wie, das zeigen wir jetzt.
Tatsächlich können auch schon Babys und Kleinkinder Stress empfinden. Bei Stress muss allerdings immer auch unterschieden werden, denn …
Es gibt verschiedene Arten von Stress
Häufig unterscheidet man zwischen positivem und negativem Stress.
Positiver Stress beim Kind = zu bewältigende Chance
Bei Erwachsenen wäre das zum Beispiel ein erfolgreicher Umzug. Bei Kindern, insbesondere bei Babys und Kleinkindern, kann positiver Stress auch das Laufen lernen sein oder gar ein Spiel, das vorher noch überfordernd war und dem Kind plötzlich gelingt.
Positiver Stress kann unsere Motivation fördern und lässt uns wachsen. Hier ist die Herausforderung zeitlich begrenzt. Ist sie überwunden, kommen wir in der Regel zügig wieder in ein inneres Gleichgewicht.
Negativer Stress = anhaltende Überforderung
Negativer Stress hingegen belastet uns längerfristig und beeinflusst unser körperliches wie mentales Wohlbefinden. Außerdem verringert er möglicherweise unsere Antriebskraft.
Negativer Stress beim Kind kann etwa sein:
- ein eng getakteter Alltag mit deutlich zu wenig Leerlauf, Langeweile und Freispielzeit
- zu viele Reize und Anforderungen im Alltag
- Lebensveränderungen (ein neues Baby, die Trennung der Eltern, der Kita-Wechsel oder ein Umzug)
- übermäßige Erwartungen und strenge erzieherische Maßnahmen (Beispiel: eine Sauberkeitserziehung mit Druck)
- seelische Belastungen und Traumata (Tod, Unfall, andere stark belastende Situationen)
- eine Kita-Situation, die nicht zum Kind und seinen Bedürfnissen passt
- und natürlich alles in Kombination
Hier gilt …
Stress wird individuell wahrgenommen
Wir Menschen verarbeiten Reize immer individuell. Für ein Kind ist ein Ausflug mit der Kita-Gruppe in einen Naturpark stressig, ein anderes wiederum ist gestresst, wenn die Bezugsfachkraft nicht in der Kita ist.
Hinzu kommen individuelle Voraussetzungen wie Tendenzen zur Hochsensibilität, Autismus-Spektrum-Störung oder ADHS.
Jeder Mensch kann nur für sich selbst wahrnehmen und entscheiden, was negativer Stress ist. Das sollte von außen deshalb niemals bewertet oder kommentiert werden.
Mögliche Stress-Symptome beim Kind
Und genauso zeigen sich auch Symptome von Stress individuell. Hier gilt: Alles kann, nichts muss auf Stress hinweisen.
Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Tics, Phobien, Ängste, Einhalten des Stuhlgangs, Schlafstörungen, Fingernägel-Kauen, der Nachtschreck oder Veränderungen im Essverhalten (bis zu Essstörungen) können ein Zeichen von Stress sein. Wenn das Kind bereits trocken war und nun damit beginnt, wieder einzunässen oder einzukoten, kann das ebenfalls ein Hinweis auf negativen Stress sein. Genauso kann ein schleichender Rückzug oder ein erhöhtes Mitteilungsbedürfnis ein Zeichen von Stress sein.
Jegliche Verhaltensweisen, die dir plötzlich, verstärkt, auffällig oder eben in irgendeiner Art und Weise verändert vorkommen, können auf Stress des Kindes hinweisen.
Oberste Priorität: Den eigenen Stress hinterfragen
Dein Kind lernt gerade im Kleinkindalter am meisten über die Nachahmung seiner Eltern. Das betrifft natürlich auch den Umgang mit Stress.
Deswegen darfst du dich in erster Linie selbst fragen, wie viel Stress du selbst im Alltag hast oder dir machst.
- Ist dein Alltag streng durchgetaktet oder gibt es auch mal Leerlauf?
- Wie ist deine Balance von privaten, beruflichen und familiären Verantwortlichkeiten?
- Wie sieht es mit Me-Time aus?
- Ist Hektik längst Teil eures Alltags?
- Bist du am Wochenende komplett am Ende und willst einfach nur daliegen und nichts tun?
Zum Umgang mit Stress gehört natürlich auch die Stressregulation. Unsere Podcast-Host Emmi hat dazu mit der Dipl. Pädagogin und systemischen Therapeutin Marei Theunert einen Podcast aufgenommen, höre hier super gerne mal rein:
Teufelskreise durchbrechen durch bewusste Begleitung
Dauerhafter Stress beim Kind kann zur Folge haben, dass etwa die Konzentration oder Aufmerksamkeit verringert werden. Das kann wiederum dazu führen, dass das Kind sich dafür schämt und sich noch mehr als ohnehin schon stresst, weiter zu „funktionieren“ oder sich anzupassen.
Bei Kindern im Schulalter ist das umso schlimmer, weil sie häufig noch größeren Anforderungen ausgesetzt sind.
Obendrein begünstigt dauerhafter Stress langfristig etwa die Entwicklung von Regulationsschwierigkeiten, Angststörungen, Essstörungen oder Schlafstörungen.
Das macht deine bewusste Begleitung als Elternteil umso wichtiger …
Das Kind einbinden und ein Fels in der Brandung sein
Kann das Kind schon sprechen, erfrage den Stress, den du vermutest, kindgerecht:
Beispiel:
- Dein Gefühl teilen und als Frage formulieren: „Lilly, ich habe den Eindruck, dass du aktuell nicht so gerne in die Kita gehst und insgesamt lieber alleine bist. Du wirkst ziemlich müde und unglücklich. Stimmt das?“
- Stressoren hinterfragen: „Kannst du mir sagen, woran das liegt? Gibt es etwas, was dir zu viel ist zurzeit? Was macht dir das Herz etwas schwer?“
- Deine Begleitung: „Was kann ich tun, damit du dich erholter fühlst? Was müsste passieren, damit du wieder gerne in die Kita gehst oder aus dem Zimmer kommst?“
- Hinweise erfragen: „Wenn nur du entscheiden könntest, was würdest du zurzeit gerne anders haben?“
Wichtig ist auch hier: Alles kann, nichts muss. Manche Kinder können ganz genau sagen, was sie stresst, andere fühlen es, können es aber bislang nicht ausdrücken. Hier spielt natürlich auch das Alter, die individuelle Entwicklung und Persönlichkeit eine Rolle. Vielleicht macht dein Kind auf Nachfragen auch komplett dicht – auch das ist legitim und kann ein Stress-Symptom sein.
Bleibe in deiner Begleitung daher möglichst geduldig, liebevoll und wertschätzend.
Was du sofort tun kannst, um dein Kind zu entlasten!
- Stressoren verringern: Baue so viel Freispielzeit wie möglich ein und reduziere Hobbys oder Verabredungen des Kindes auf maximal einen Termin pro Woche. Schaffe insgesamt mehr Raum für Leerlauf und “Nichtstun”. Kannst du dein Kind an manchen Tagen etwas früher aus der Kita abholen und mit ihm einfach das machen, worauf es spontan gerade Lust hat, ohne Zeitstress in Nacken? Umso besser!
- Jeglichen Druck herausnehmen: Versuche so viel Druck und Hektik, wie nur möglich, aus eurem Alltag herauszunehmen. Alles, was dein Kind jetzt belasten könnte, ist nur zusätzlicher Ballast.
- Termine und Verabredungen absagen: Ja, sage jetzt ruhig mal öfter “Nein” zu Einladungen, familiären Verpflichtungen oder Terminen. Lege dir auch Arzttermine mit dem Kind auf maximal einen Termin pro Woche.
- Das Kind weiterhin einbinden: Gehe mit deinem Kind weiterhin darüber in den Austausch. Beobachtet gemeinsam, ob sich etwas an seiner Energie und Stimmung verändert und probiert geduldig verschiedene Dinge zur Entspannung aus.
Bezugspersonen, Kita und Kinderarztpraxis einbinden
Sprich dich auch mit dem anderen Elternteil ab. Zieht dann die weiteren Bezugspersonen des Kindes sowie die pädagogischen Fachkräfte der Kita oder Schule hinzu.
Zögere auch den Gang zur Kinderarztpraxis nicht heraus. Im Zweifel kann sie dich auch zu einer Kinder- und Jugendpsychotherapie-Praxis weiterverweisen, wenn die Symptome stark belastend für das Kind werden. Bedenke hierbei: Alles kann, nichts muss dahinterstecken. Bleibe möglichst gelassen und im Vertrauen, dass ihr gemeinsam einen Weg finden werdet, um dein Kind dauerhaft emotional zu entlasten.
Wichtig: Stress im Kindesalter ist ein sensibles Thema, das auch von Fachpersonal gut begleitet werden muss. Fühlst du dich damit in der Kinderarztpraxis nicht gut aufgehoben, wechsele im Zweifel lieber die Praxis.
Zeit zum Sein
Was macht dein Kind, wenn niemand hinsieht oder wenn es ganz für sich ist? Mit welchen Objekten beschäftigt es sich dann? Wobei vergisst es Zeit und Raum? Wann ist es richtig tief im Moment?
Um dein Kind zu entlasten, hilft es, seine persönliche Insel der Entspannung zu kennen. Steht es unter Stress, sollte es so viel Zeit wie möglich damit verbringen dürfen.
Das Ganze sollte ihm natürlich nicht aufgedrängt werden (denn auch das wäre wieder Stress), mache ihm lediglich Angebote.
Fazit
Steht dein Kind unter Stress, solltest du handeln.
Wichtig ist neben deiner bewussten Begleitung als Elternteil jetzt das Reduzieren möglicher Stressoren, das Einbinden anderer Bezugspersonen, der Kita und der Kinderarztpraxis sowie das ehrliche Hinschauen beim eigenen Stressmanagement.
Der Schlüssel für mehr Balance ist in jedem Fall, mehr Leerlauf-Zeiten einzubauen. Damit dein Kind wieder Raum bekommt, einfach nur zu sein und sich seiner Natürlichkeit hinzugeben.
Beobachte das Ganze weiter wachsam und bleibe mit deinem Kind und allen Beteiligten im Austausch. Nur so kannst du die Situation für dein Kind entschärfen. Denn sein körperliches wie mentales Wohlergehen sollte immer an erster Stelle stehen.
Quellen
- Bürgin, Dieter (1993). Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter. Stuttgart: Gustav Fischer Verlag.
- Caby, Filip und Andrea (2011). Die kleine psychotherapeutische Schatzkiste. Tipps und Tricks für kleine und große Probleme vom Kindes- bis zum Erwachsenenalter. (2. Auflage). Dortmund: Borgmann Media.
- Dilling, Horst, Freyberger, Harald J. (2016): ICD-10. Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen. (8. Auflage). Hogrefe Verlagsgruppe.
- Greving, Prof. Dr. Heinrich, Ondracek, Prof. Dr. Petr (2010): Handbuch Heilpädagogik. (2. Auflage) Troisdorf: Bildungsverlag EINS GmbH.
- Perls, Frederick S., Hefferline, Ralph F., Goodman, Paul (2015). Gestalttherapie. Grundlagen der Lebensfreude und Persönlichkeitsentfaltung. (9. Auflage). Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.
- Siegel, Elaine V. (1997): Tanztherapie. Seelische und körperliche Entwicklung im Spiegel der Bewegung. Ein psychoanalytisches Konzept. (4. Auflage) Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.
- Robert-Koch-Institut (2025): Themenblatt: Stressbelastung bei Kindern und Jugendlichen. https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Adipositas_Monitoring/Psychosoziales/HTML_Themenblatt_Stressbelastung.html (abgerufen am 06.01.2025).
- Techniker Krankenkasse (2025): Typische Stress-Symptome bei Kindern und Jugendlichen. https://www.tk.de/techniker/magazin/familie/kinder-und-jugendliche/typische-stress-symptome-von-kindern-und-jugendlichen-2010032 (abgerufen am 07.01.2025).
- Weleda AG (2025): Reizüberflutung: Überforderung und Stress für das Kleinkind. https://www.weleda.de/magazin/baby/stress-bei-kleinkindern?srsltid=AfmBOoqm1-BCl6uOsZuhKhPL8Y2TdB_8I-7k_MJifCSKoiWg0ymPn88m (abgerufen am 07.01.2025).