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Können schon kleine Kinder toxische Beziehungen haben?

Mädchen mit zwei Zöpfen guckt verägert und traurig.
Kinder probieren Verhaltensweisen aus, und wir dürfen begleiten. / Bild © erllre, Adobe Stock

Ja, auch kleine Kinder können bereits ungesunde oder toxische Beziehungsmuster entwickeln oder erleben – allerdings in einer anderen Form als Erwachsene. Und nicht immer besteht Handlungsbedarf. Wann es sinnvoll ist, zu intervenieren

Das Wichtigste in Kürze

  • Unter drei Jahren ist „toxisches“ Verhalten nur spielerisch. Kleinkinder agieren immer ich-bezogen.
  • Im Vorschulalter können sich erste unterdrückende oder unterwürfige Verhaltensweisen zeigen und manifestieren. Auch Mobbing-Tendenzen werden erkennbar.
  • Erst ab etwa 6 Jahren können Kinder theoretisch bewusst manipulieren, wenn sie solche Verhaltensweisen vorgelebt bekommen oder in den Medien erleben.
  • Wichtig ist, von Anfang an gut zu begleiten sowie die Empathie- und Selbstwert-Entwicklung zu bestärken.

Was bedeutet „toxisch“ bei Kindern?

Wenn wir von „toxischen Beziehungen“ bei Erwachsenen sprechen, meinen wir meist Beziehungen, die von emotionalem Schaden, Manipulation, Kontrolle oder Missbrauch geprägt sind.

Bei Kleinkindern geht es natürlich nicht um klassische toxische Paarbeziehungen, sondern um ungesunde Bindungs- oder Interaktionsmuster mit:

  • Eltern oder Bezugspersonen
  • älteren Geschwistern
  • anderen Kindern (z. B. in der Kita)

Können also auch Beziehungen unter Gleichaltrigen toxisch sein?

Bei sehr kleinen Kindern (bis 3 Jahre) ist das eher selten, aber auch in dieser Altersgruppe kann es schon aggressives Verhalten, Ausgrenzung oder Dominanzverhalten geben.

Bei Kindern ab 4 Jahren treten dominante und unterwürfige Verhaltensweisen phasenweise deutlicher hervor. Normalerweise besteht jetzt noch kein Handlungsbedarf.

Aber manche Kinder können andere tatsächlich manipulieren, z. B. durch Drohungen, körperliche Angriffe oder emotionale Erpressung – meist, weil sie das selbst erlebt haben oder beispielsweise über Medien mitbekommen haben und vielleicht in ihrer Entwicklung schon weiter sind.

Diese Verhaltensmuster können auch im Vorschulalter noch eine natürliche Phase in der Entwicklung, manchmal jedoch der Beginn dysfunktionaler Beziehungsmuster sein, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt und begleitet werden.

Zwischenfazit

Kleine Kinder sind also sehr wohl in der Lage, problematische Beziehungserfahrungen zu machen. Auch wenn sie noch nicht bewusst manipulieren oder kontrollieren wie Erwachsene, können sich erste toxische Dynamiken entwickeln – vor allem, wenn sie selbst ungesunde Beziehungsmuster erleben oder übernehmen.

Ein Beispiel aus dem Kita-Alltag

Ein fünfjähriges Kind…

  • lässt sich dominieren
  • folgt Anweisungen oder Forderungen eines anderen Kindes, auch wenn es ihm nicht guttut
  • kann sich nicht abgrenzen oder „nein“ sagen
  • möchte sich vielleicht sogar lösen, schafft es aber nicht allein

Das andere Kind…

  • kontrolliert oder manipuliert (z. B. mit Drohungen, Ausgrenzung, „Wenn du das nicht machst, bist du nicht mehr mein Freund“)
  • nutzt Schwächen oder Unsicherheiten scheinbar gezielt aus

Das ist sehr wohl eine toxische Dynamik, auch wenn sie sich unter noch kleinen Kindern abspielt.

Warum passiert das?

Hier sind ein paar mögliche Hintergründe:

Das unterdrückte Kind:

  • Probiert diese Rolle möglicherweise phasenweise aus
  • Ist möglicherweise sehr sensibel und spürt Stimmungen daher sehr genau
  • Hat eventuell ein geringes Selbstwertgefühl oder ist sehr beziehungsorientiert (will gefallen, will nicht enttäuschen)
  • Hat noch nicht gelernt, „nein“ zu sagen oder für sich einzustehen, ist vielleicht sehr sensibel
  • Könnte in einem Umfeld aufwachsen, in dem Grenzen nicht respektiert oder nicht ausreichend gestärkt werden

Das dominante Kind:

  • Hat noch nicht viel Empathie entwickeln können
  • Testet soziale Rollen und Machtspiele – was normal sein kann, aber nicht auf Kosten anderer gehen darf. Hier ist Begleitung hilfreich.
  • Hat eventuell selbst erlebt, dass man nur durch Kontrolle oder Macht Aufmerksamkeit bekommt
  • Könnte soziale Macht als Kompensationsmechanismus nutzen (z. B. bei Vernachlässigung oder Konkurrenz um Zuneigung)

Warum du es ernst nehmen darfst

Wenn ein Kind dauerhaft in dieser Rolle bleibt (unterwürfig, angepasst, fremdgesteuert), dann:

  • verlernt es, eigene Bedürfnisse zu spüren oder zu äußern
  • entwickelt es Muster von Abhängigkeit, die sich später in Freundschaften oder Liebesbeziehungen fortsetzen können
  • kann es in der Schule oder im späteren Leben leichter zum Opfer von Mobbing oder Ausnutzung werden oder selben mobben

Wenn das andere Kind dauerhaft erlebt, dass es durch Machtspiele alles bekommt, könnte es im späteren Leben mobben oder gar eine Persönlichkeitsstörung entwickeln. Zudem hat es eventuell selbst Probleme, die erkannt und begleitet werden möchten.

✅ Wie du begleiten kannst

1. Beide Kinder beobachten, ohne sofort zu werten:

Es geht nicht darum, das dominante Kind als „böse“ darzustellen – sondern Verhaltensmuster zu erkennen. Es kann gut sein, dass beide Kinder verschiedene Rollen testen und dass es sich nur um eine ganz natürliche Phase der kindlichen Entwicklung handelt, bei der du nicht eingreifen musst. Schließlich handeln Kinder in den ersten drei Lebensjahren IMMER ich-bezogen und lernen Empathie erst nach und nach. 

Jederzeit kannst du jedoch:

2. Das unterdrückte Kind stärken

  • Eigene Entscheidungen treffen lassen („Was möchtest du spielen?“)
  • Positive Rückmeldungen für Abgrenzung geben („Es ist toll, dass du gesagt hast, dass du das nicht willst.“)
  • Rollenspiele nutzen („Was könntest du sagen, wenn jemand dich drängt?“)

3. Mit dem dominanten Kind sprechen, ohne zu beschämen

  • Klare Grenzen setzen: „Du darfst sagen, was du möchtest, aber du darfst andere nicht zwingen.“
  • Empathie fördern: „Wie würdest du dich fühlen, wenn du etwas tun müsstest, was du nicht willst?“
  • Nachfragen, wo der Schuh drückt und ob es erzählen will?

3. Situationen bewusst gestalten

  • In der Gruppe allgemeine Regeln erarbeiten („Jeder darf Stopp sagen. Stopp heißt Aufhören.“)
  • Auf Gleichgewicht achten bei Spielgruppen, Aufgabenverteilung oder Playdates
  • Den Kontakt, wenn nötig, reduzieren. Auch, wenn es beispielsweise die „beste“, weil vielleicht einzige Freundin ist.
  • Kinder als letztes Mittel ganz trennen, falls es sich nicht bessert und das eine Kind sichtlich leidet

4. Altersgerechte und sachliche Gespräche führen

  • Mit beiden Kindern einzeln und gemeinsam sprechen
  • Gefühle benennen helfen: „Es sieht so aus, als wärst du traurig, wenn du immer mitmachst, obwohl du das gar nicht möchtest.“
  • Mit den Eltern des anderen Kindes möglichst diplomatisch ins Gespräch gehen und Beobachtungen schildern, ohne zu werten.

Es gibt Trainer und Trainerinnen, die Kita-Kinder ab 3 Jahren spielerisch in Gruppen stärken, beispielsweise solche, die bei Stark auch ohne Muckis ausgebildet wurden.

Wann professionelle Hilfe sinnvoll ist:

  • Wenn sich das Verhalten verfestigt. 
  • Wenn das unterdrückte Kind deutlich leidet (z. B. Rückzug, Ängste, psychosomatische Symptome)
  • Wenn die Eltern mit der Situation überfordert sind oder der Eindruck entsteht, dass es tieferliegende familiäre Dynamiken gibt
  • Wenn eine Neurodivergenz im Raum steht, die die Ursache für soziale Schwierigkeiten sein könnte

Eine frühzeitige Beratung kann immer hilfreich sein.

Kennst du schon das Kita-Patenprogramm gegen spätere psychische Erkrankungen bei Kindern? Weise gern eure pädagogischen Fachkräfte oder die Kita-Leitung darauf hin.

Fazit

Solche Fälle von schwierigen bis toxischen Beziehungen bei kleinen Kindern dürfen und sollten begleitet werden. Sie entwickeln in diesen frühen Jahren Grundmuster für Beziehungen, Selbstbild und Abgrenzung. Je früher Eltern und/oder Fachkräfte unterstützen, desto leichter lässt sich beispielsweise Mobbing vorbeugen und das Leben vieler Kinder zum Positiven verändern.

Quellen

Veröffentlicht von Anke Modeß

Anke ist Berlinerin und Mutter eines Schulkindes. Als langjährige babelli-Redakteurin, Journalistin und Coachin für Kinder, Jugendliche und Eltern i.A. liegen ihr Elternthemen besonders am Herzen.