Kommt das Baby auf die Welt, nehmen größtenteils noch immer die Mütter den Hauptteil der Elternzeit. Was dahintersteckt und welche Vorteile die Elternzeit des Vaters für die ganze Familie haben kann, erfährst du jetzt.
Laut Väterreport 2023 wünscht sich etwa jeder 2. Vater, die Hälfte der Betreuung zu übernehmen. In der Realität sieht das Ganze anders aus.
Das liegt vor allem an strukturellen Ungleichheiten, wie etwa dem Gender-Pay-Gap (Lohnunterschied aufgrund des Geschlechtes), der lückenhaften Betreuungsinfrastruktur in Deutschland und familienunfreundlichen Unternehmenskulturen (Teilzeitfalle und Co.). Außerdem spielen auch Aspekte wie stereotype Rollenbilder und konservative Werte eine Rolle.
Durch diese Ungleichheiten ist es für die meisten Familien finanziell sinnvoller, dass die Mutter den Hauptteil der Elternzeit nimmt.
Bei der Planung der Elternzeit sollten Eltern allerdings mehr als nur die Finanzen im Blick behalten …
Die Elternzeit – ein neues Lebenskapitel
Das kleine Wunder ist auf der Welt und ein neues Kapitel im Leben der Eltern beginnt. Was folgt, sind nun viele erste Male, eine neue Einteilung der Tageszeit und das gegenseitige Kennenlernen.
Da der Großteil der Väter nur wenige Wochen nach der Geburt wieder arbeiten geht, ist diese besondere Zeit und der aktive Bindungsaufbau zum Kind für sie verkürzt. Denn …
Wie wir Menschen Bindungen aufbauen
Nach dem Bindungsmodell von John Bowlby ist die Person die primäre Bindungsperson für das Baby, die ihm nach der Geburt am meisten Liebe, Nähe, Geborgenheit, Fürsorge, Pflege und Zeit schenkt. Für das Kind hängt sein Überleben von dieser Person ab, da sie seine Grundbedürfnisse erfüllt.
Übernimmt die Mama den Hauptteil der Elternzeit, ist sie in der Regel automatisch die primäre Bindungsperson. Ohnehin ist die Mutter-Kind-Bindung allein schon durch das Aufwachsen in Mamas Bauch besonders.
In der Bindungstheorie wird zwischen primärer und sekundärer Bindungsperson entschieden.
Die sekundäre Bindungsperson ist die Person, die nach der primären am meisten Zeit für das Baby aufwendet. Je nach Lebensrealität und Familienkonstellation kann das also auch die Oma, der Onkel oder die beste Freundin sein.
Die Bindungstheorie zeigt, wie wichtig die Elternzeit für Vater und Kind sein kann und wie sehr beide davon profitieren können …
Vorteile der väterlichen Elternzeit für das Kind
Die Erfahrungen, die das Baby in den ersten drei Lebensjahren mit seinen beiden Bindungspersonen macht, prägen sein Urvertrauen, seine sozial-emotionale Kompetenz und seine Bindungsfähigkeit.
Damit ist der Aufbau einer sicheren Vater-Kind-Beziehung essenziell für Babys innere Geborgenheit, Stabilität und Liebe. Wenn das Kind von Anfang an lernt, dass sowohl Mama als auch Papa verlässliche Bindungspersonen sind, legt das eine optimale Grundlage für seine emotionale Entwicklung.
Durch diese Basis wird es später möglicherweise mutiger durchs Leben gehen und selbstbewusster Erfahrungen sammeln können.
Das sind allesamt Aspekte, die für eine Elternzeit des Vaters sprechen.
Individuelle Vorteile für den Vater
Obendrein profitieren Väter von der Elternzeit auch individuell.
Denn, wenn wir viel Zeit mit anderen Menschen verbringen, müssen wir zwangsläufig in Kommunikation treten. Wir sind dann automatisch dazu aufgerufen, die eigenen Bedürfnisse sowie die des Gegenübers wahrzunehmen und Kompromisse zu bilden.
Und wie könnte das besser gelingen als durch die Fürsorge für das eigene Kind?
Je nachdem, wie sich die Elternzeit gestaltet, kann sie Vätern auch wichtige Erkenntnisse für eigene Bedürfnisse und Wünsche im Leben liefern und damit die Persönlichkeit stärken.
Welche Vaterrolle möchtest du deinem Kind vorleben?
Wenn Väter in die Elternzeit gehen, können sie sich aktiv fragen, welches Vaterbild sie ihrem Kind vorleben möchten. Denn Kinder lernen zum Großteil durch Nachahmung der beiden Bindungspersonen.
Wenn Väter sich dafür vorab aktiv mit ihren (geschlechtlichen) Prägungen auseinandersetzen und innere Überzeugungen Stück für Stück wahrnehmen, können sie eine wirkliche Veränderung schaffen – fernab von überholten Rollenklischees.
Fragen, die sich Väter hier vorab selbst stellen, könnten etwa sein:
- „Wie möchte ich meinem Baby in der Elternzeit begegnen und warum?“
- „Was denke ich, macht einen Vater aus? Wie komme ich zu dieser Annahme?“
- „Stimmt sie noch? Oder kann ich sie durch einen anderen Glaubenssatz ersetzen?“
- „Was würde mich in der Praxis zu dem Vater machen, der ich sein will?“
- „Was muss ich dafür an mir selbst reflektieren und möglicherweise verändern?“
Die Vorteile einer parallelen Elternzeit
Natürlich macht auch eine parallele Elternzeit Sinn.
Durch sie können die Familienbande gestärkt werden und sie ermöglicht einmalige Reisen mit dem Baby. Obendrein erlebt man sich durch die parallele Elternzeit als Familie auch mal abseits des Arbeitsalltags.
Allerdings hilft das den Vätern natürlich nur bedingt, komplett individuelle Erfahrungen im Umgang mit dem Baby zu machen.
Beispiel: Wenn das Kind vorher viel Zeit mit Mama allein verbracht hat, wird es sie möglicherweise bevorzugen, wenn es etwa um die Einschlafbegleitung geht. Dasselbe kann sich beim Fläschchen geben und anderen Pflege- oder Nähesituationen zeigen.
Das ist dann keine persönliche Ablehnung gegen den Vater, sondern vielmehr eine logische Konsequenz, da das Baby seine Bedürfnisse durch die viele Exklusivzeit mit der Mutter bei ihr eher gestillt sieht, als beim Vater.
Wie Väter durch Elternzeit berufliche Nachteile von Müttern ausgleichen können
Wenn Väter länger in die Elternzeit gehen, gleichen sie mögliche berufliche Nachteile der Mütter aus.
Weil Frauen durch niedrigere Löhne, Kurzarbeitszeiten und längere Kinderbetreuungszeiten im Schnitt deutlich weniger Gehalt und Rente beziehen, ist es für sie besonders wichtig, ihre berufliche Laufbahn in der Elternzeit im Blick zu behalten.
Wie wundervoll und fair wäre es, wenn Väter hier zu einer aktiven Veränderung beitragen?
Sicher, möglicherweise müssen sie mit den gleichen Einbußen rechnen, die Mütter regelmäßig in Kauf nehmen. Gut, dass sich dies in einigen Branchen bereits ändert und die Elternzeit – auch für Väter – weiter gefördert wird.
Die tatsächliche Übernahme von Care-Arbeit
Laut dem Väterreport 2023 ist der Trend hin zu mehr Elternzeit der Väter zwar erfreulich, allerdings übernehmen in der Realität immer noch die Mütter den Großteil der unbezahlten Sorge- und Care-Arbeit.
Hier ist ein Umdenken erforderlich, was die Fürsorge des Babys sowie die übrigen familiären Angelegenheiten angeht. Und das geht nicht ohne ein ehrliches Hinschauen, aktive Selbstreflexion und Kommunikation auf Augenhöhe.
Mögliche Fragen für Eltern:
- „Was zählt alles zur Care-Arbeit bei uns zu Hause?“ (auch das „nur schnell nebenbei“ mitbedenken)
- „Was denke ich, muss ich machen, weil ich die Mama/der Papa bin?“
- „Was, denke ich, fällt nicht in mein Aufgabenfeld? Wieso glaube ich das?“
- „Welches Bedürfnis hat jeder von uns, was die Care-Arbeit angeht?“
- „Welches Bedürfnis hat jeder von uns, was unseren Beruf angeht?“
- „Wie können wir hier Kompromisse finden?“
Fazit
Je bewusster sich Väter Elternzeit nehmen, desto mehr Gleichgewicht kann in der familiären Aufgabenverteilung entstehen.
Wichtig ist, dass beide Elternteile sich vor dieser Entscheidung über ihre individuellen Bedürfnisse, beruflichen Möglichkeiten, Finanzen und die faire Verteilung der Care-Arbeit austauschen.
Die Elternzeit für Väter ist einmalig, kann die Vater-Kind-Bindung enorm stärken und wichtige Grundlagen für Babys Urvertrauen und seine Entwicklung legen.
Denn das wichtigste Gut, das Eltern haben, ist die Lebenszeit mit ihrem Kind.
Quellen
- Bürgin, Dieter (1993). Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter. Stuttgart: Gustav Fischer Verlag.
- Caby, Filip und Andrea (2011). Die kleine psychotherapeutische Schatzkiste. Tipps und Tricks für kleine und große Probleme vom Kindes- bis zum Erwachsenenalter. (2. Auflage). Dortmund: Borgmann Media.
- Dilling, Horst, Freyberger, Harald J. (2016): ICD-10. Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen. (8. Auflage). Hogrefe Verlagsgruppe.
- Greving, Prof. Dr. Heinrich, Ondracek, Prof. Dr. Petr (2010): Handbuch Heilpädagogik. (2. Auflage) Troisdorf: Bildungsverlag EINS GmbH.
- Perls, Frederick S., Hefferline, Ralph F., Goodman, Paul (2015). Gestalttherapie. Grundlagen der Lebensfreude und Persönlichkeitsentfaltung. (9. Auflage). Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.
- Siegel, Elaine V. (1997): Tanztherapie. Seelische und körperliche Entwicklung im Spiegel der Bewegung. Ein psychoanalytisches Konzept. (4. Auflage) Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2024): Väterreport 2023. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/vaeterreport-2023-230376 (abgerufen am 28.10.2024).
- Norddeutscher Rundfunk (2024): Die Angst vor der „Teilzeitfalle“. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/arbeitsmarkt/teilzeit-flexible-arbeitszeit-muetter-vaeter-studie-100.html (abgerufen am 28.10.2024).
- Statistisches Bundesamt (2024): Gender Pay Gap. https://www.destatis.de/EN/Themes/Labour/Earnings/GenderPayGap/_node.html (abgerufen am 28.10.2024).
- Verlag Herder GmbH, Susanne Stegmeier (2021): Grundlagen der Bindungstheorie. https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/psychologie/grundlagen-der-bindungstheorie/ (abgerufen am 28.10.2024).