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Hochsensible Kinder verstehen und begleiten

Hochsensible Kinder

Hochsensible Kinder gibt es. Und zwar nicht selten! Hast du das Gefühl, dass dein Kind seit seiner Geburt anders als andere reagiert und dich damit ab und zu ziemlich fordert? Hochsensibilität kann eine Begründung sein. Dieser Artikel bietet dir einen möglichen Erklärungsansatz und hilft dir, dein Kind besser zu verstehen.

Mittwochmorgen in der Kita. Ein Kinderlied schallt aus dem Toberaum. Dutzende Kinder springen gut gelaunt hin und her und schnattern wild durcheinander. Nur Magda kann sich nicht von ihrer Mutter lösen. Kuscheltiere fliegen, Bauklötze purzeln krachend um. Magda beobachtet das laute, bunte Treiben mit gerunzelter Stirn und drückt sich an Claudias Arm. Als die Erzieherin sie liebevoll anspricht und mitnehmen will, verkriecht sie sich hinter ihrer Mutter. Claudia ist verzweifelt. Jeden Morgen das gleiche Theater. Warum ist Magda nicht wie die anderen?

Hochsensible Kinder und Erwachsene: Woher kommt der Begriff?

Empfindliche Menschen gab es schon immer. Aber seit den Neunziger Jahren gibt es den Begriff der „Hochsensibilität“ auch in der Psychologie – natürlich nicht nur bei Kindern. Geprägt hat ihn die Dr. Elaine Aron, die seit 1991 daran forscht. Sie geht davon aus, dass etwa 15-20% der Bevölkerung mehr Reize und Informationen wahrnehmen und verarbeiten müssen als der Rest der Menschheit.

Hochsensible Menschen werden oft einfach nur HSP (highly sensitive person) genannt. In Foren findest du vor allem dieses Kürzel.

Hochsensibel zu sein ist also keine Krankheit oder Schwäche, wie der gern benutzte Begriff „Überempfindlichkeit“ vermuten ließe. Sondern es ist Begabung – ein Wesenszug, der meist nicht behandlungsbedürftig ist. Und es gibt auch keine dementsprechende klinische Diagnose. Gerade hochsensible Kinder können jedoch darunter leiden. Glücklicherweise hat sich das herumgesprochen und es gibt einige Hilfsangebote.

Sprichst du jedoch deinen Kinderarzt darauf an, so kannst du Glück haben und dein Arzt steht Hochsensibilität bei Kindern offen gegenüber. Oder aber du hast es mit einem Vertreter der alten Schule zu tun, der nur müde abwinkt. Wenn du dennoch den Verdacht hast, dass dein Kind hochsensibel ist, dann lass dich davon nicht verunsichern und informiere dich lieber woanders. Falls du weitere Auffälligkeiten in der Entwicklung deines Kindes beobachtest, z.B. in der Körperwahrnehmung, der motorischen Entwicklung oder im Bereich der Aufmerksamkeit, solltest du dir Rückmeldungen der Erzieher und Erzieherinnen aus der Kita holen. Vielleicht gibt es noch andere Ursachen für das Verhalten deines Kindes, die es abzuklären gilt, wie frühkindliche Restreflexe, Wahrnehmungsstörungen, Teilleistungsschwächen oder ADHS.

Ist mein Kind hochsensibel? Daran erkennst du es!

Alle hochsensiblen Menschen nehmen mehr Reize wahr als andere. Das heißt: sie sehen, hören, riechen oder fühlen mehr, als der Rest der Welt. Der Filter lässt sozusagen mehr durch.

Manchmal nicht in allen Bereichen, aber das ist egal. Denn all die Reize müssen vom Gehirn verarbeitet werden. Das dadurch leicht überreizt. Gerade bei hochsensiblen Kindern scheint die Verarbeitung dieser Reize besonders lange zu dauern und sehr gründlich zu sein. Leider wird es in unserer modernen Welt immer schwerer, die nötige Ruhe dafür zu finden.

Wenn sich ein Erwachsener also schon überfordert fühlt und Schwierigkeiten hat abzuschalten, wie soll es ein hochsensibles Kind oder sogar Baby können?

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So äußerst sich Hochsensibilität bei einem Kind – es:

  • beobachtet viel und interagiert früh mit seiner Umwelt,
  • ist unausgeglichen, kommt schlecht zur Ruhe und schläft schlecht ein, wacht oft auf,
  • reagiert auf kleinste Geräusche und erschrickt leicht,
  • reagiert empfindlich auf Lärm oder grelle Farben,
  • spürt Stimmungen im Raum und reagiert darauf,
  • klammert mehr als andere,
  • mag keine Veränderungen oder zu viele fremde Menschen,
  • macht oft einfach „dicht“,
  • hat nur wenige, dafür gute Freunde,
  • ist schmerzempfindlich,
  • hat starke positive und negative Gefühle, die ab und zu regelrecht „ausbrechen“.

Nicht immer treffen alle Eigenschaften zu. Man unterscheidet zwischen hypo- und hyper-hochsensiblen Typen.

Der Hypo-Typ (häufiger)

  • ist eher zurückhaltend und zeigt wenig Gefühle,
  • versucht alles richtig zu machen und verzweifelt, wenn er seinen eigenen perfektionistischen Ansprüchen nicht genügt,
  • frisst viel in sich hinein und hat dann gelegentliche Ausbrüche.

Der Hyper-Typ

  • überdreht leicht,
  • ist impulsiv und hat starke Gefühlsschwankungen,
  • neigt zu Übertreibungen,
  • zeigt eventuell ADHS-ähnliches Verhalten, das im schlimmsten Fall dann fälschlicherweise mit Medikamenten behandelt wird,
  • entspricht eher dem bedürfnisstarken Kind (high need).

Möchtest du wissen, ob dein Kind hochsensibel ist? Dann findest du hier einen längeren Fragebogen. Dieser Fragebogen ist jedoch lediglich ein Hinweis auf eine mögliche Hochsensibilität.

Mein hochsensibles Kind: Die Sonnenseite der Gabe

Hochsensible Kinder haben eine sehr differenzierte Wahrnehmung. Das heißt, dass sie in der Lage sind, mehr Details gleichzeitig zu erfassen als andere. Zudem sind die Kinder in der Regel sehr fantasievoll. Trifft Hochsensibilität auf eine hohe Intelligenz, sind sie zum Beispiel später dazu fähig, komplexe Projekte zu visualisieren und detailliert zu planen.

Aber Vorsicht: Hochsensibilität ist nicht automatisch gleich Hochbegabung!

Wenn ein Kind eher dem Hypo-Typen entspricht, so wird es später in der Lage sein, fleißig und gründlich zu arbeiten und Aufgaben gewissenhaft zu lösen – immer mit der Einschränkung, dass es nicht von zu vielen Außenreizen abgelenkt und überfordert wird.

Zudem sind die meisten Hochsensiblen in der Lage, sich in andere hineinzuversetzen, Gefühle zu erspüren und zwischen den Zeilen zu lesen. Richtig eingesetzt ist diese Gabe zum Beispiel für geschickte Mitarbeiterführung sehr wichtig.

Tipps für den Umgang mit hochsensiblen Kindern

Willst du mit deinem hochsensiblen Kind besser umgehen können? Dann mach dir klar: Ein solches Kind zu erziehen ist keine Strafe, sondern eine besondere Aufgabe. Auch wenn es oft schwer ist und du an seine Grenzen gerätst, nimm dein Kind so an wie es ist. Denn durch seine Gabe spürt es besonders gut, wenn seine Eltern es sich anders wünschen. Und das tut weh!

Das kannst du tun, wenn dein Kind hochsensibel ist:

  1. Reduziere Reize
    Hochsensible Kinder müssen Zeit haben, um abzuschalten. Lass also Tablet, Fernseher und Radio aus. Beschränke die Auswahl auf wenige Spielzeuge und sorge für eine einigermaßen aufgeräumte Wohnung. Schaffe Ruheecken, die vielleicht etwas abgedunkelt sind. Reduziere Ausflüge und Besuche so weit, bis es dein Kind nicht mehr überfordert. Natürlich solltest du dich nicht zuhause verkriechen – Stimulation und Förderung sind auch wichtig. Aber als aufmerksame Mutter oder achtsamer Vater wirst du die Grenzen deines Kindes erkennen und danach handeln. Versuch lieber nicht, dein Kind abzuhärten, das kann nach hinten losgehen.
    In der Schule gibt es mittlerweile immer mehr Lehrer, die das Problem erkannt haben und hochsensible Kinder während des konzentrierten Arbeitens mit Kopfhörern versorgen.
  2. Schaffe Rituale und feste Abläufe
    Wenn das Zubettgehen jeden Tag anders abläuft, ist das ein zusätzlicher Reiz, der dein hochsensibles Kind überfordern kann. Versuche feste Zeiten und Abläufe zu etablieren, auf die sich dein Kind verlassen kann. Durch die Strukturierung des Alltags findet es einen Rahmen, in dem es sich frei bewegen und wohlfühlen kann, ohne sich ständig aufs Neue entscheiden zu müssen. Eine klare Führung hilft jedem Kind – bei Hochsensiblen ist sie besonders wichtig.
  3. Sei da
    Dein hochsensibles Kind braucht besonders viel Zuwendung, um mit den Wirren des Lebens besser klarzukommen. Gib ihm Nähe und Geborgenheit und sei für es da, wann immer es das braucht. Tröste, statt nur zu beruhigen. Dazu gehört später auch, ihm aktiv zuzuhören, wenn es schon erzählen kann, was es bedrückt. Nimm es ernst in seinem Kummer. Oft reicht es schon, wenn das Kind sieht, dass es verstanden wird. Das funktioniert auch schon im Kleinkindalter, indem du den jeweiligen Gefühlszustand für dein Kind formulierst, z.B. „Jetzt ärgerst du dich.“ oder „Du bist traurig.“.
    Wenn das Kind aus einem Wutanfall nicht mehr herausfindet, kannst du es unterstützen, indem du ihm eine Lösung vorschlägst. Je älter dein Kind wird, desto mehr kann es lernen, mit seinen Gefühlen und Stress richtig umzugehen. Dabei kannst du es anleiten. Der Verein „Zart besaitet“ beschreibt wie.
  4. Gehe Veränderungen langsam an
    Dein Kind braucht mehr Zeit als andere, um mit Veränderungen klarzukommen. Das kann die neue Krabbelgruppe sein oder der Eintritt in Kita oder Schule. Wenn es noch klein ist, führe es langsam an die neue Gruppe heran. Lass es so lange es geht auf deinem Schoß sitzen und die neue Welt in seinem eigenem Tempo entdecken. Zwinge es auf keinen Fall zu Interaktionen, die es nicht will.
    Steht der Wechsel in eine Betreuungseinrichtung an, vereinbare unbedingt eine langsame, sanfte Eingewöhnung. Gar nicht in die Kita geben? Besser doch! Denn langsames Gewöhnen ist immer besser als komplettes Vermeiden von schwierigen Situationen. Ihr könnt aber über eine Kita mit kleineren Gruppen oder eine Tagesmutter, einen späteren Einstieg oder verkürzte Zeiten nachdenken.
    Plane Veränderungen gründlich. Je älter dein Kind wird, desto mehr kann es früh mit einbezogen werden und sich so darauf einstellen.
  5. Setze Grenzen
    Bei aller bedürfnisorientierten Zugewandtheit darfst du dich selbst nicht komplett vergessen. Wenn du dich wohlfühlst und mit dir im Reinen bist, spürt das auch dein Kind! Du musst dein Kind nicht „überbehüten“, setze ruhig auch einhaltbare Grenzen und bleibe konsequent.
  6. Besonderheit: hochsensible Eltern
    Seid ihr als Eltern (oder einer von euch) ebenfalls hochsensibel, fällt die Abgrenzung vom Kind schwer. Ihr seid wahrscheinlich leichter überfordert und fühlt euch besonders in euer Kind hinein. Ihr verschmelzt sozusagen zu einer Einheit. Das hat mit klarer Führung nichts zu tun und kann für euer Kind zusätzlich belastend sein. Außerdem ignoriert ihr damit die Fähigkeit eures Kindes, eigene Wege aus der Krise zu finden. Euer Kind ist eine eigene kleine Persönlichkeit.
    Wichtig ist es in diesem Fall, sich erst einmal selbst zu erkennen und das eigene Verhalten zu hinterfragen. Leicht ist das nicht. Schaffst du oder der andere Elternteil nicht, stabiler zu reagieren, denke ruhig über professionelles Coaching nach. Es lohnt sich!
  7. Informiere dich
    Zu wissen, was Hochsensibilität für Kinder und Erwachsene bedeutet, macht den Alltag leichter. Dieser Artikel ist ein guter Start. Aber ganz unten in den Quellen haben wir etliche Anlaufstellen und Bücher verlinkt, die dir weiterhelfen werden, wenn du tiefer in die Thematik einsteigen willst.

Eltern hochsensibler Kinder: Tipps bei Überforderung

Rede darüber:
Es bringt nichts, deine Überforderung aus Angst vor den Konsequenzen zu verschweigen. Wenn du niemandem erzählst, was los ist, kann auch niemand helfen.

Erkenne deine Bedürfnisse:
Es ist sehr wichtig, überhaupt zu wissen, was die eigenen Bedürfnisse sind. Erst wenn man sich darüber klar ist, kann man sie kommunizieren und Wege finden, sich besser zu fühlen.

Nimm Hilfe an:
Wenn der Vater zum Beispiel vorschlägt, einen halben Tag mit dem Kind zu verbringen, dann hilf ihm dabei, das auch umzusetzen. Wenn die Oma anbietet, zum Babysitten zu kommen, dann mach einen konkreten Termin aus. So bleibt es nicht bei leeren Versprechungen.

Suche andere Eltern in einer ähnlichen Situation:
Trete doch einer Selbsthilfegruppe bei Facebook oder einem Online-Forum bei und tausche dich dort aus. Oder versuch Eltern ebenfalls hochsensibler Kinder zum Beispiel in Krabbelgruppen persönlich kennenzulernen.

Lass dich mal wieder verwöhnen:
Wenn dein Kind schon älter ist, kannst du dir auch mal einen halben Tag im Spa gönnen. Ist es jünger, reicht es vielleicht schon, sich ab und zu selbst eine Massage zu verschreiben. Versag dir nicht jede Freude. Zu schnell passiert es, dass all die schönen kleinen Dinge im Alltagstrott untergehen.

Suche ärztliche und/oder therapeutische Unterstützung:
Und wenn alles nicht hilft, kannst du dich auch bei deinem Hausarzt vorstellen. Wenn du ihm die Probleme schilderst, wird er dir mit weiteren Anlaufstellen helfen können. Eventuell wird er dir auch zu einer Kur raten und das weitere Vorgehen schildern.

Quellen

Gute Sach- und Kinderbücher zum Thema Hochsensibilität findest du hier:

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✔ Inhaltlich geprüft am 19.09.2023
Dieser Artikel wurde von Christina Koentker-Hilsmann geprüft. Wir nutzen für unsere Recherche nur vertrauenswürdige Quellen und legen diese auch offen. Mehr über unsere redaktionellen Grundsätze, wie wir unsere Inhalte regelmäßig prüfen und aktuell halten, erfährst du hier.

Veröffentlicht von Anke Modeß

Als waschechte Berlinerin und späte Mutter eines Schulkindes schreibt Anke seit 7 Jahren über Themen, die Babyeltern im Alltag beschäftigen - am allerliebsten mit einer Prise Humor.

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