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Mein Kleinkind wirft mit Gegenständen: Was du über Schemas wissen solltest

Kind wirft Dinge

Kleinkinder treiben uns manchmal in den Wahnsinn. Du hast deinem Kind schon hundert Mal gesagt, es solle keine Gegenstände durch den Raum werfen und was passiert? Spielzeuge fliegen wild durch die Gegend. Immer wieder legt dein Kind Verhaltensweisen an den Tag, die du einfach nicht tolerieren möchtest: Es räumt alles aus, springt vom Sofa oder zieht sich Tüten über den Kopf. In diesem Artikel verraten wir dir, warum dein Kind diese Dinge tut und wie du damit umgehen kannst.

Denn jede dieser für Erwachsene schwer zu verstehenden Aktivitäten entspricht einem Schema – die Mehrzahl lautet in der Fachliteratur „Schemata“, deshalb verwenden wir im Anschluss den fachlich korrekten Begriff.

Was sind Schemata in der Kinderentwicklung?

In der Entwicklungspsychologie beschreibt ein Schema ein Verhaltens- oder Wissensmuster, das ein Kind etabliert, um es dann auf ähnliche Strukturen anzuwenden. Schemata sind Grundbausteine des menschlichen Wissens und werden in der Kindheit angelegt. Sie dienen als eine Art geistige Schablone, um uns in der Welt zurechtzufinden.

Um es ganz anschaulich am Beispiel des Werfens zu erklären:

Wenn du aus der Entfernung ein zerknülltes Papier in den Papierkorb wirfst, dann hast du eine Ahnung davon, wie viel Kraft du in den Wurf geben musst. Je nachdem, wo der Papierkorb steht, kannst du dir vorstellen, wie das Papier fliegen wird. Diese Information wandelt dein Gehirn dann um in genau die richtige Bewegung, mit der du dann in den Papierkorb (oder wenigstens knapp daneben) triffst.

Genau das Gleiche passiert, wenn du jemandem einen Ball zuwirfst. Du weißt anhand der Größe und Schwere des Balls sowie der Entfernung deines Spielpartners ungefähr, wie du den Ball werfen musst, damit er ankommt. Und das, obwohl du diesen Ball in dieser Umgebung noch nie zuvor geworfen hast. Du hast nämlich ein Schema im Kopf, eine Schablone, die prüft, wie groß und schwer ist der Gegenstand und wie weit ist er entfernt. Und die Information aus diesem Schema wandelt dein Gehirn in eine Handlung, deinen Wurf um, mit genau der richtigen Kraft.

Hilft dir das zu verstehen, warum dein Kind mit Gegenständen wirft?

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Wie zeigen sich Schemata in der Entwicklung von Kindern?

Kinder verspüren einen inneren Drang, bestimmte Aktivitäten auszuführen. Dabei handelt es sich um einen natürlichen Trieb, den das Kind aus sich selbst heraus entwickelt. Es ist also nicht so, dass es ein anderes Kind beim Werfen beobachtet und es nachahmt. Tatsächlich wird es irgendwann an dem Punkt sein, an dem es einfach einen Gegenstand aufnimmt und wirft. Und dann beobachtet es, was passiert. Auf diese Weise lernen Kinder, wie die Welt funktioniert. Wie fliegt der Gegenstand? Fliegt er nach unten oder nach oben? Fliegt er IMMER wieder nach unten oder nicht? Wie weit, hoch, schnell fliegt er? Indem dein Kind einen Gegenstand wirft, lernt es elementare Gesetze der Physik und der Schwerkraft. Ganz nebenbei lernt es, dass du immer laut wirst, wenn ein Gegenstand fliegt.

Das Werfen ist nur Teil eines Verhaltensmusters. Es gibt etliche Muster, die alle Kinder anhand von Schemata lernen. Viele bemerken wir gar nicht, weil sie uns natürlich erscheinen. Andere rufen Verhaltensweisen hervor, die uns teilweise ungewöhnlich oder eher anstrengend erscheinen. Das Schlimmste für uns Eltern: Wir können sie offenbar nicht stoppen und das sollten wir auch nicht tun. Denn das Kind wird es von innen heraus ohnehin wiederholen wollen. Und das ist gut so, denn auf diese Weise sammelt es seine individuellen Lernerfahrungen.

Frustrierendes Missverständnis

Was passiert, wenn dein Kind eine Tasse zum zehnten Mal wirft, obwohl du es verboten hast? Wut auf allen Seiten. Du meckerst, dein Kind ist frustriert. Und es wird wieder passieren. Die Meckerspirale ist vorprogrammiert. Doch das Kind möchte dich niemals persönlich herausfordern.

Jetzt, wo du weißt, dass diese Verhaltensweisen aus einem inneren Drang heraus entstehen, kannst du sie aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Du weißt, dass sie ein wichtiger Schritt in der Entwicklung deines Kindes sind. Als Elternteil kannst du nachsichtig sein, dein Kind gewähren lassen oder ihm alternative Spielangebote geben. Dein Kind kann dann selbst entscheiden, ob es ein anderes Spielschema ausprobieren möchte oder nicht.

Das bedeutet nicht, dass du jedes Mal applaudieren musst, wenn dein Kind mit Essen matscht oder dir einen Legostein an den Kopf wirft. Da du jetzt die Hintergründe kennst, kannst du womöglich gelassener damit umgehen.

Welche Schemata gibt es?

Bevor wir dazu kommen, wie du herausforderndes Verhalten begleiten und dein Kind unterstützen kannst, stellen wir zunächst einige Grundschemata vor. Es gibt noch viel mehr. Die Beispiele werden dir helfen, das Spiel deines Kindes besser zu verstehen, auch die merkwürdigen Ideen, die dabei manchmal kommen.

  • Transportieren: Das Kind möchte etwas transportieren.
    Beispiele: Dinge in einer Tasche tragen, Puppen im Puppenwagen schieben, eine Schubkarre schieben, Dosen hin und her tragen
  • Einwickeln, Abdecken, Verstecken: Sich selbst oder Gegenstände einwickeln oder abdecken.
    Beispiele: Unter einer Bettdecke verstecken, durch den Krabbeltunnel kriechen, einen Brief in einen Briefumschlag stecken
  • Einfüllen, Umfüllen: Etwas einfüllen, hineingeben.
    Beispiele: Reis von einem Gefäß in ein anderes umfüllen, Spielzeug ein und ausräumen, Wasser von einem Glas in ein anderes umgießen, in eine Schublade klettern
  • Orientierung: Sich im Raum positionieren und unterschiedliche Perspektiven einnehmen.
    Beispiele: Kopfüber hängen, durch die Beine hindurch schauen
  • Flugbahn: Vertikale, horizontale und diagonale Bewegungen.
    Beispiele: Gegenstände werfen, springen, klettern, Essen vom Tisch fallen lassen
  • Drehungen: Faszination für alles, was sich dreht.
    Beispiele: Waschmaschine beobachten, mit einem Kreisel spielen, sich im Kreis drehen
  • Verbindung: Dinge zusammenfügen und trennen.
    Beispiele: Lego, Konstruktionsspielzeug, Puzzles, Gegenstände reichen und zurückfordern
  • Transformieren: Etwas zusammenfügen und verändern.
    Beispiele: Essen matschen, verschiedene Konsistenzen mischen, Milch ins Müsli geben, Farben mischen

Werfen, Matschen und andere typische Stresssituationen

Bei uns zu Hause gab es schon so einige Stresssituationen, die mit irgendeinem Schema in Verbindung standen. Erst kürzlich hat sich mein Sohn eine Plastiktüte über den Kopf gezogen. Großes Drama, denn da springen natürlich gleich alle Alarmglocken bei einem Erwachsenen an. Ich bin sofort meinem Impuls gefolgt, energisch und laut zu betonen, dass das nicht geht. Was passierte: Mein Sohn fing an zu weinen, weil ich geschimpft habe. Dabei war ihm in dem Moment ja gar nicht bewusst, dass er etwas ziemlich Gefährliches gemacht hat.

Mein Sohn hat sich auch schon in Schubladen gesetzt (die dann kaputtgegangen sind) und veranstaltet natürlich wie alle Kinder ein Riesenchaos beim Essen, in der Küche und überall sonst, wo er etwas eingießen, matschen, ausräumen, mischen oder umfüllen kann.

Verstehen, akzeptieren und umlenken

Kommen dir diese Situationen bekannt vor? Jetzt, wo du weißt, dass es sich um einen natürlichen Lernprozess handelt, kannst du dein Kind gewähren lassen, statt es zu bremsen. Statt immer Nein zu sagen, kannst du eine sichere Umgebung schaffen, zum Beispiel, indem du ein Handtuch bereitstellst, wenn dein Kind mit Wasser spielt.

Allerdings gibt es viele Dinge, die möchten und können wir aus Elternperspektive einfach nicht akzeptieren. Wenn das Verhalten deines Kindes dich oder andere Familienmitglieder nachhaltig belastet oder stört und vor allem, wenn dein Kind sich selbst und andere gefährdet, solltest du eingreifen.

Wie du dein Kind zu einem angemessenen Verhalten umlenkst

Wenn du dein Kind beobachtest, kannst du vielleicht erkennen, welches Muster es gerade ausführt. Überlege nun, wie es dieses Verhaltensmuster üben könnte, ohne dabei jemanden zu stören oder sich in Gefahr zu bringen.

  • Schmeißt dein Kind mit Gegenständen, könntest du sagen: „Ich sehe, du möchtest gerade werfen. Lass uns herausgehen und Stöcke in den Fluss werfen.“
    Du könntest auch eine Wurfecke in der Wohnung einrichten, in die dein Kind mit Kuscheltieren, Bällen oder weichen Gegenständen werfen darf.
  • Räumt dein Kind alle Schränke ein und aus, richte Schubladen ein, die dein Kind ausräumen darf. Viele Eltern haben eine Tupper-Schublade in der Küche.
  • Wenn dein Kind Essen vom Tisch wirft, kannst du möglicherweise andere Dinge finden, die es stattdessen fallen lassen kann. Dafür könnt ihr ruhig mit verschiedenen Dingen experimentieren: Knete, Bälle, Kuscheltiere oder auch die übrig gebliebenen Nudeln vom Vortag.
  • Klettert dein Kind in die Schubladen, gib ihm stattdessen einen Wäschekorb, einen Karton oder eine Babybadewanne.

All diese Aktivitäten unterstützen die natürliche Entwicklung deines Kindes auf eine Art und Weise, die es gerade braucht. Du sorgst dafür, dass diese Entwicklung in einem sicheren und angemessenen Rahmen stattfinden kann.

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Mit Vertrauen positiv erziehen

Schaue auch bei dir selbst, was für Bilder in deinem Kopf entstehen, wenn dein Kind sich in einer Weise verhält, die du als unangemessen empfindest. Dass wir Eltern diese Situationen nicht immer mit Besonnenheit und Gelassenheit managen können, liegt nämlich häufig daran, dass wir nicht aus einem Vertrauen heraus, sondern aus Angst agieren. Wir haben Angst, das Kind könnte es „immer so machen“. Außerdem haben wir Sorge, es wird sozial inkompetent, wenn es mit Gegenständen wirft, auch wenn wir in der Tiefe wissen, dass diese Gedanken unnötig sind. Zu guter Letzt haben wir Angst vor den Bewertungen anderer. Es ist nicht das Verhalten unseres Kindes, es sind unsere Ängste, die Bilder im Kopf und unsere eigenen Erfahrungen, die uns das Leben mit unserem Kind manchmal schwer machen.

Ich finde, das Wissen über Schemata ist ein wunderbares Werkzeug, um mehr ins Vertrauen zu kommen. Weg von „Mein Kind schmeißt immer mit Gegenständen“ hin zu „Das ist normal. Mein Kind lernt gerade etwas. Was kann ich tun, um es dabei zu unterstützen?“. Und das ist doch ein ganz anderes Gefühl, was sich da auftut, oder?

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Quellen

✔ Inhaltlich geprüft am 27.07.2022
Dieser Artikel wurde von Janett Scheck geprüft. Wir nutzen für unsere Recherche nur vertrauenswürdige Quellen und legen diese auch offen. Mehr über unsere redaktionellen Grundsätze, wie wir unsere Inhalte regelmäßig prüfen und aktuell halten, erfährst du hier.

Veröffentlicht von Sibylle Grenz

Als Mutter eines quirligen Kleinkindes schreibt Sibylle leidenschaftlich gern über Erziehungsthemen, aber auch Themen aus der Schwangerschaft. Gemeinsam mit unserem Hebammen- und Pädagoginnen-Team arbeitet sie Fragen der babelli-Community auf und beantwortet sie fundiert und praxisnah.

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