Das Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“ von Annette Kast-Zahn und Dr. med. Hartmut Morgenroth basiert auf der sogenannten Ferber Methode und ist nach wie vor ein Bestseller. Eltern erhoffen sich eine schnelle Lösung für die Schlafprobleme ihrer Kinder und übersehen dabei, dass die darin empfohlene Methode einiges an Kritikpunkten bietet.
Die Empfehlung der Autoren lautet, schon kleine Babys nach einem festen Zeitplan so zu dressieren, dass sie allein und ohne die Hilfe der Eltern einschlafen. Dabei soll die Bezugsperson in festgelegten Abständen zum oft auch weinenden Kind hineingehen und es lediglich mit Worten beruhigen, bis es allein eingeschlafen ist. Wenn es sich in Rage schreit, soll es erst recht alleingelassen werden. Wenn es nach einigen Tagen oder gar Wochen nicht mehr weint und auch nachts allein wieder einschläft, gilt der Vorgang als abgeschlossen. Das Kind schläft durch und alle sind zufrieden. Soweit die Theorie. In der Praxis mag diese Methode mitunter sogar funktionieren. Was sie anrichtet, wird im Buch allerdings nicht erwähnt. Übrigens hat sich Richard Ferber, der Begründer der Ferber-Methode, mittlerweile von einigen seiner eigenen Aussagen aus den 80er-Jahren distanziert.
Wir haben ein paar Punkte zusammengetragen, die verdeutlichen, warum wir diese Methode bei unseren Kindern nicht anwenden würden.
Babys werden wie Soldaten behandelt
Das Buch vermittelt Eltern, dass Kinder funktionieren müssen. Sie sollen das Schlafen lernen, damit wir Eltern unsere Ruhe haben. Kinder sind aber keine Soldaten. Nur weil ihr natürliches Schlafverhalten nicht in unsere moderne Zeit passt, sind sie trotzdem nicht daran schuld. Häufiges Erwachen ist im Baby- und Kleinkindalter ganz natürlich und sogar nützlich. Nur so kann das Kind kontrollieren, ob alles mit ihm und seiner Schlafumgebung in Ordnung ist.
Eltern wird die Schuld am kindlichen Schlafverhalten suggeriert
Ob das Baby schon durchschläft oder nicht, ist meist die erste Frage, die frischgebackenen Eltern gestellt wird. Das Buch trägt seinen Teil dazu bei, Eltern zu vermitteln, dass sie durch ihr Fehlverhalten schuld am häufigen Erwachen ihrer Babys sind, weil sie ihr Baby verwöhnen. Dem ist aber nicht so. Jedes Kind entwickelt sich in seinem eigenen Tempo. Einige Babys brauchen ihre Eltern mehr als andere. Es ist unmöglich, ein Baby zu verwöhnen, selbst wenn man es mit Liebe und Nähe überschüttet. Dies sorgt lediglich für eine sichere Bindung, die sich positiv auf das spätere Selbstbewusstsein und die Bindungsfähigkeit im Erwachsenenalter auswirken wird.
Bedürfnisse des Babys werden nicht beachtet
Wenn ein Baby weint, gibt es immer einen Grund. Es weint, damit seine Grundbedürfnisse befriedigt werden können. Das Weinen ist lange seine einzige Möglichkeit, sich uns mitzuteilen. Im Buch wird davon ausgegangen, dass nächtliche Nahrung und nächtliche Nähe keine Grundbedürfnisse sind, sondern lediglich eine Gewöhnung, die es aufzulösen gilt. Auch wenn einige Babys nachts ganz ohne Körperkontakt und Nahrung auskommen, heißt das noch lange nicht, dass es alle können. Diese Verallgemeinerung ist strikt unzulässig. Einige Kinder brauchen noch sehr lange die Hilfe ihrer Eltern, um abends und nachts in den Schlaf zu finden. Dafür sind wir Eltern da. Ein Kind allein zu lassen, wenn es dazu nicht bereit ist, ist schlicht unnatürlich und kommt einem Vertrauensbruch gleich.
Der natürliche Reifungsprozess wird ignoriert
Ob und wann ein Baby durchschläft, ist Ausdruck seines ganz individuellen Reifungsprozesses. Wenn es so weit ist, wird es dies tun, auch wenn es länger als bei anderen Babys dauert. Kein Mensch muss den Schlaf erlernen, er ist uns angeboren. Genauso wenig können Babys lernen durchzuschlafen, sie lernen lediglich, still zu sein, auch wenn sie etwas bedrückt.
Elterlicher Instinkt wird abtrainiert
Eine Mutter ist darauf gepolt, auf das Weinen ihres Babys umgehend zu reagieren. Auch das ist ein Grundbedürfnis und von der Natur so gewollt. Durch das prompte, instinktive Reagieren lernt sie sehr schnell, das Kind besser zu verstehen, und wächst mit ihm zu einer Einheit zusammen. Im Buch wird dem keinerlei Bedeutung zugemessen. Hier wird verlangt, sich zusammenzureißen und abzuwarten, auch wenn es der Mutter das Herz bricht. Das kann nicht richtig sein! Es führt lediglich dazu, dass die Beziehung zum Baby Schaden nimmt, der Instinkt verschwindet und danach mehr auf Ratgeber gehört wird als auf das eigene Bauchgefühl.
Die kindliche Kommunikation wird beeinträchtigt
Die kindliche Kommunikationsfähigkeit entwickelt sich von Anfang an. Sie verbessert sich in Abhängigkeit davon, wie die Eltern darauf reagieren. In den ersten Tagen und Monaten stehen dem Säugling lediglich seine Lautäußerungen, zum Beispiel in Form von Weinen, zur Verfügung. Merkt das Baby, dass seine Kontaktaufnahme keine Resonanz findet, wird es erst lauter werden und dann irgendwann verstummen. Letzteres ist purer Selbstschutz, um keine Feinde auf sich aufmerksam zu machen. Was passiert aber mit einem Kind, das keine Hilfe bekommt, wenn es sie benötigt? Es wird kein besonders großes Selbstbewusstsein entwickeln können und auch später eher dazu neigen, seine Bedürfnisse zu unterdrücken. Das ist auf Dauer höchst ungesund.
Die Methode kann schaden
Es gibt Kinder, die besonders starke Bedürfnisse haben, die alle Emotionen stärker wahrnehmen als andere und uns Eltern besonders brauchen. Meist dauert es bei diesen Kindern etwas länger, bis sie unabhängig werden. Das ist ein Charakterzug und kann nicht abtrainiert werden. Es ist für die Eltern sehr kraftraubend, muss aber durchgestanden werden. Versucht man, diese Kinder dazu zu zwingen, ohne elterliche Hilfe einzuschlafen, leiden sie intensiver als andere. Der daraus resultierende Bruch kann tiefer und das Trauma intensiver sein, als bei ausgeglichenen, in sich ruhenden Kindern. Wenn du unsere Argumente nachvollziehbar findest, lass dich nicht zu dieser Methode überreden, sondern verlass dich auf dein Bauchgefühl. Es wird dich leiten, das Richtige zu tun.
Aus diesen Gründen können wir das Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“ auf keinen Fall empfehlen.
Wir legen dir übrigens auch sehr unseren Babyschlafkurs ans Herz. Darin zeigen dir unsere Schlafexperten alles zum Babyschlaf und wie die Einschlafbegleitung entspannter und eure Nächte ruhiger werden:
- Baby will nicht einschlafen – das kannst du anders machen
- So bringst du Struktur in deinen Baby-Alltag
- Babys brauchen Rituale – 12 Ideen, wie auch dein Baby besser einschläft
- Der Schlafrhythmus des Babys in der Übersicht
- Mein Baby schläft nicht – 7 Gründe und was du tun kannst
- Durchschlafen: 6 Tipps für ruhige Nächte mit deinem Baby
- Die 7 besten Einschlafhilfen für Babys
- Mein Baby ist so anstrengend – Habe ich ein „High Need Baby“?
Wenn du weitere Ergänzungen und Hinweise zum Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“ hast, dann schreib uns gern einen Kommentar!
Quellen
- Elizabeth Pantley: Schlafen statt Schreien: Das liebevolle Einschlafbuch, Trias Verlag, 2. Auflage vom 26. März 2014
- Herbert Renz-Polster & Nora Imlau: Schlaf gut, Baby!: Der sanfte Weg zu ruhigen Nächten (GU Einzeltitel Partnerschaft & Familie), Gräfe und Unser Verlag GmbH, Auflage vom 5. März 2016
- In den Schlaf weinen und die Spätfolgen; https://www.spektrum.de/news/in-den-schlaf-weinen-und-die-spaetfolgen/1420228 (abgerufen am 12.06.2022)
- Ferber 2.0; https://www.kinder-verstehen.de/mein-werk/blog/ferber-2-0/ (abgerufen am 12.06.2022)
- The Ferber method: What is it, and how does it affect babies?; https://www.parentingscience.com/Ferber-method.html (abgerufen am 12.06.2022)