Nicht jede Mutter, die es möchte, kann auch stillen. Aber jede Mutter, die stillen kann, sollte es auch dürfen. Leider fühlen sich viele Mütter unwohl, wenn sie ihre Kinder in der Öffentlichkeit stillen. Denn obwohl stillen unumstritten die beste Ernährung für Babys ist, bekommen junge Mütter immer wieder zu spüren, dass eine entblößte Brust anstößig und eine Zumutung für fremde Augen ist. Mit dem Breastfeeding-Selfie, kurz Brelfie, setzen sich Frauen weltweit für die Enttabuisierung des öffentlichen Stillens ein.
Brelfie, was ist das?
Brelfies sind Fotos von Müttern, die sich selbst beim Stillen ihrer Babys fotografieren. Wie bei vielen Trends, waren es berühmte Stars, die den Stein ins Rollen brachten. So zeigten sich beispielsweise Gisele Bündchen, Alyssa Milano, Gwen Stefani und Alanis Morissette schon beim Stillen ihrer Babys.
Heute ist ein internationaler Trend daraus entstanden. Stark, selbstbewusst oder auch intim und verletzlich zeigen sich Mütter aus aller Welt unter dem Hashtag #Brelfie bei Instagram.
Brelfie – Netztrend oder wichtige Debatte?
Eine perfekt gestylte Gisele Bündchen lässt ihre blonde Mähne von zwei Stylisten auf Hochglanz bringen, an den Händen bekommt sie gerade eine Maniküre. Sie sieht entspannt aus. Ganz nebenbei saugt an ihrer Brust ein kleiner Blondschopf. Ihre Botschaft: Arbeiten und Stillen, das geht ganz wunderbar. Aber mal ganz ehrlich, die meisten von uns bekommen während der Arbeit eben auch kein Beautyprogramm und dann auch noch mit dem Nachwuchs im Schlepptau. Das Ganze sieht schon sehr inszeniert aus. Reines Selbstmarketing also? Das finden wir nicht. Denn ob sie nun etwas privilegierter ist oder nicht, ihr Foto ist dennoch ein starkes Statement für das Stillen und zeigt, dass Mütter sich nicht verschämt verstecken müssen, wenn sie ihr Baby ernähren.
Ebendiese Botschaft senden täglich viele Mütter weltweit an die Netzgemeinde, um andere Frauen und deren Babys zu unterstützen und eine öffentliche Diskussion anzufeuern.
Mit zweierlei Maß
Nackte Haut auf Plakatwänden in Zeitschriften und im Fernsehen – unsere Medien sind voll von aufreizenden Frauenkörpern. Ist doch eigenartig, dass in augenscheinlich so freizügigen Zeiten Mütter noch immer aufgefordert werden, einen Raum zu verlassen, wenn sie ihr Kind stillen. Warum ist das so? Dürfen etwa nur schlanke 20-jährige Models mit straffer Haut ihren Körper zeigen? Oder haben wir vergessen, dass der eigentliche Zweck einer weiblichen Brust es eben nicht ist, in knappen Dessous auf Werbepostern zur Schau gestellt zu werden? Auch darum geht es beim Brelfie-Trend. Denn die Frauen selbst zeigen uns hier, wie Frauenkörper dargestellt werden können, ohne sie zu objektifizieren.
Mütter unter Druck
In den 70er und 80er-Jahren war das Stillen in Deutschland längst nicht so verbreitet. Statt Stillberaterinnen und stillfreundlichen Krankenhäusern wurde vielen Neugeborenen schnell das Fläschchen verabreicht, wenn das Stillen nicht sofort klappte. Seitdem hat das Stillen einen Aufschwung erlebt. „Breast is Best“ ist die landläufige und medizinisch gut belegte Meinung hierzulande.
Doch nicht jede Mutter kann oder möchte stillen. Kaum eine Debatte wird so dogmatisch geführt wie diese. Stillverfechterinnen können nicht nachvollziehen, warum den Kleinen die so wertvolle Muttermilch vorenthalten wird. Frauen, die nicht stillen, hätten „zu wenig Unterstützung“ erhalten. Eifrige Stillberaterinnen sollen Mütter vor dem frühen Abstillen retten und Netzmütter setzen vorbildhaft mit Brelfies ein Zeichen für das Stillen. Was die meisten sich allerdings mehr wünschen als ungefragte Ratschläge, ist eine Bestärkung ihrer eigenen durchdachten Entscheidung.
Genauso wie die Entscheidung für das Stillen jeder Mutter selbst überlassen sein sollte, sollte es auch die Entscheidung dagegen sein. Fragen wie „Was du stillst nicht???“ sind genauso unangebracht wie „Du stillst immer noch???“. Allein die beiden Fragen zeigen schon, wie hoch der Grad der Einmischung in beiden Lagern ist.
Schamgrenzen und Rücksicht
Dass Frauen heutzutage an öffentlichen Orten ihr schreiendes Baby beruhigen dürfen – auch mit der Brust – haben sie sich hart erkämpft. Denn, dass Frauen wie selbstverständlich im Restaurant ihren BH öffnen, war früher längst nicht so akzeptiert wie heute. Der Brelfie Trend stärkt die Position stillender Mütter in der Öffentlichkeit und befeuert eine Debatte etwa um das „Recht auf Stillen“, wie es in Schottland existiert. Restaurants, die Frauen das Stillen verbieten, haben dort mit hohen Geldbußen zu rechnen.
Gerade weil aber die Meinung zum Stillen stark kulturell und gesellschaftlich geprägt ist, ist es auch natürlich, dass es Menschen gibt, die sich gestört fühlen. Gerade frühere Generationen, bei denen es nicht selbstverständlich war, dass Frauen ihre Kinder öffentlich stillten oder auch Menschen mit anderem kulturellen und religiösen Wurzeln müssen sich an das Bild der stillenden Mutter erst gewöhnen.
Das heißt nicht, dass sich Mütter nun doch verstecken sollten. Aber ein Gedanke an die Schamgrenzen anderer Menschen kann helfen zu verstehen, warum eben nicht jedem ein Lächeln über das Gesicht hüpft beim Anblick einer stillenden Mutter. Gegenseitige Anfeindungen helfen jedenfalls nicht weiter. Mütter sollten nicht zum Stillen auf die Toilette verbannt werden. Die meisten werden aber, soweit es möglich ist, ohnehin Orte bevorzugen, die ein wenig Intimität gewährleisten. Es besteht aber ein gewaltiger Unterschied, ein Baby in einem Familiencafé oder in einer arabischen Teestube zu stillen. Denn hier verkehren mit Sicherheit Menschen mit ganz anderen Schamgrenzen, die zu respektieren auch einen Gedanken wert ist.
Leben retten mit Brelfies
Die Entscheidung zu stillen oder es eben nicht zu tun, muss hierzulande keinen maßgeblichen Einfluss auf das weitere Leben eines Kindes haben. Ganz anders ist das in Entwicklungsländern, denn dort herrschen ganz andere Umweltvoraussetzungen, bei denen das Stillen über Leben und Tod entscheiden kann.
Rund 22 Prozent der Todesfälle Neugeborener könnten verhindert werden, wenn Mütter ihre Kinder in der ersten Stunde nach der Geburt anlegten, schätzt die Nichtregierungsorganisation „Save the Children“ in einer Studie. Dabei geht es vor allem um Entwicklungsländer mit hohem Infektionsrisiko, schmutzigem Trinkwasser und unzureichender Nährstoffversorgung. Das Kolostrum und die Muttermilch geben den Kindern unverzichtbare Antikörper auf den Weg, um sich gegen Bakterien und Viren zu schützen. Zudem ist Ersatznahrung häufig gefährlich, wenn sie mit unreinem Wasser zubereitet wird.
Die Gründe, warum Frauen in Entwicklungsländern nicht stillen, sind vielfältig. In einigen Regionen sind es schlicht Verständnisprobleme, in anderen verbieten es Religion oder verbreitete Irrglauben wie der böse Blick, der die Muttermilch schlecht werden lässt. Auch das aggressive Marketing für Milchpulver trägt ihren Anteil dazu bei, dass Frauen glauben, Ersatznahrung wäre gesünder für ihre Babys. Die von Babyclub und dem Hebammenverband Meeting Bismarck gestartete Aktion „Stillen für Afrika“ sammelt Brelfies, um Frauen in Ghana zu zeigen, dass das Stillen in Europa weitverbreitet ist. Der europäische Lebensstil gilt hier als Vorbild und Filme vermitteln oft den falschen Eindruck, dass Babys hier überwiegend mit dem Fläschchen ernährt werden.
Und du?
Ob du stillst oder deinem Baby das Fläschchen gibst, ob du dich dabei knipst oder nicht, ist allein deine Entscheidung. Wichtig ist, es ohne schlechtes Gewissen zu tun. In jedem Fall kann es hilfreich sein, dass du ein paar schlagfertige Argumente parat hast – denn Einmischungen wird es geben, so oder so.