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Streit ums Spielzeug: Wie dein Kind lernt, Konflikte selbst zu lösen

Streit um's Spielzeug: Zwei Kinder streiten sich um einen Spielzeug-Laster

Wir teilen unser Spielzeug! Ihr könnt euch doch abwechseln. Erst der eine, dann der andere. Aber Mia hatte das Spielzeug zuerst! Hörst du dich auch manchmal gebetsmühlenartig diese und ähnliche Floskeln herunterbeten? Aber irgendwie scheint dein Kind es nicht zu lernen. Egal, wie oft du dazwischengehst und dein Kind ermahnst, es müsse teilen, abwarten, abwechseln und sich beruhigen, zehn Minuten später entbrennt der Streit erneut und du musst wieder dazwischen gehen. Oder nicht? In diesem Beitrag erfährst du, wie Kinder lernen Konflikte zu lösen.

Wie du erfolgreich verhinderst, dass dein Kind seine Konflikte selbst lösen lernt

Wenn du jedes Mal eingreifst, sobald dein Kind oder sein Spielgefährte den kleinsten Anflug von Frust empfindet, dann beraubst du dein Kind einer wichtigen Erfahrung. Denn auf diese Art wird dein Kind nicht lernen

  • Konflikte unabhängig von Erwachsenen zu lösen
  • Lösungen zu suchen und zu finden
  • Ideen zur Konfliktbewältigung zu suchen
  • für sich selbst einzustehen oder nachzugeben
  • als Verlierer / Gewinner aus einem Streit hervorzugehen
  • aus eigenem Antrieb heraus zu teilen

Aber dein Kind lernt eine andere wichtige Botschaft. Und die lautet:

„Ich traue dir nicht zu, dass du selbst eine Lösung finden kannst.“

Wenn du das deinem Kind immer und immer wieder durch frühes Eingreifen und Kommentieren signalisierst, dann wird es diese Botschaft auch verinnerlichen. Es wird lernen, dass es sich auf dich verlassen kann, wenn Probleme im Anflug sind. Aber es wird nicht lernen, diese Probleme selbstständig anzugehen.

Trennung statt Zusammenspielen

Wenn wir Spielzeugstreitigkeiten unserer Kinder lösen und das Objekt der Begierde nach unwillkürlichen Regeln einem Kind (das es zuerst hatte, dem es gehört oder das noch gar nicht damit gespielt hat) zuweisen, trennen wir die Kinder voneinander. Im Moment des Konfliktes haben die Kinder noch miteinander interagiert. Jetzt hat ein Kind das Spielzeug und das andere soll sich am besten ein anderes Spielzeug suchen.

Statt unsere Kinder zu trennen, sollten wir ihnen die Gelegenheit geben zu lernen, wie sie zusammen spielen können. Und akzeptieren, dass dabei Konflikte aufkommen werden. Wenn unsere Kinder lernen, diese zu lösen, dann werden sie wirklich miteinander spielen können, und zwar auf ganz kreative Weise und ohne, dass sie Erwachsene brauchen, die ständig vom Spielfeldrand kommentieren.

Wir lenken den Fokus auf den Gegenstand

Wenn wir bei jedem Spielzeugstreit eingreifen, dann lenken wir den Fokus immer auf den Gegenstand, um den gestritten wird. Das ist jetzt ein Bagger, in zehn Minuten dann das Rutschauto und kurz darauf das Buch. Ein Kind soll dem anderen das Spielzeug geben oder die Kinder sollen sich abwechseln. Dabei geht es immer nur um den konkreten Gegenstand, nicht aber um das Gefühl dahinter. Es geht auch nicht darum zusammenzuspielen, sondern eben darum, wer wann das Spielzeug haben darf.

Die Lösungen, die wir in Bezug auf Gegenstände finden, sind für Kinder oft nicht nachvollziehbar. Zu Hause kann ein Kind mit seinem Rutschauto spielen, solange wie es möchte. Plötzlich soll es sich in einem von uns vorgegebenen Takt abwechseln. Als würden wir ein Buch verleihen, nachdem wir drei Seiten davon gelesen haben.

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Täter- und Opferdenken

Was häufig vorkommt, wenn wir die Streitigkeiten unserer Kinder lösen ist, dass wir einen Täter und ein Opfer identifizieren. Damit ist ein Kind dann das arme Kind, das angegriffen wurde und das andere ist der böse Täter. Das ist nicht nur unfair, weil wir manche Situationen gar nicht genau beobachtet haben und einschätzen können. Wir überschätzen auch die Fähigkeiten unseres Kleinkindes, weil wir erwarten, dass es sich im Alter von zwei Jahren schon in andere einfühlen, seine Wünsche zurückstecken und sein impulsives Verhalten beherrschen kann. Der „Täter“ ist sich wahrscheinlich gar nicht darüber im Klaren, dass er etwas Falsches gemacht hat. Und wenn er es ist, dann hat er womöglich einfach noch nicht die nötige Erfahrung, um alternative Strategien anzuwenden.

Aus Erwachsenensicht mag es vielleicht stimmig sein, zu schimpfen, wenn beispielsweise ein Kind dem anderen etwas weggenommen hat. Aber es hilft dem vermeintlichen „Bösewicht“ einfach nicht, sein Problem zu lösen.

Was verstehen wir eigentlich unter teilen?

Wenn Kinder gesagt bekommen, dass sie ihr Spielzeug teilen müssen, dann bedeutet das in der Regel, dass sie es einem anderen Kind geben sollen.

Viele Eltern tendieren auch dazu, das eigene Kind zu benachteiligen. Möchte das eigene Kind ein Spielzeug, so soll es warten oder sich etwas anderes suchen? Hat das eigene Kind das Spielzeug, das ein anderes möchte, dann soll es diesen bitte teilen (also abgeben). Weil unsere Kinder so egozentrische kleine Menschen sind, die von Höflichkeit und den allgemeinen Regeln des Zusammenlebens keine Ahnung haben, versuchen wir ihnen diese so schnell wie möglich einzutrichtern, anstatt darauf zu vertrauen, dass sie sie im Umgang mit anderen einfach lernen werden, so wie sie auch das Laufen und Sprechen lernen.

Kleinkinder verstehen nicht, dass sie das Spielzeug wiederbekommen

Kleine Kinder haben noch kein Verständnis von Zeit und keine Vorstellung von einer Zukunft, in der sie ihr ausgeliehenes Spielzeug wiederbekommen. Bis zu einem Alter von etwa drei Jahren denken sie, dass sie das Spielzeug nicht wiederbekommen, das ein anderes Kind ausleiht. Erst dann entwickeln sie langsam eine Vorstellung von einer Vergangenheit und Zukunft und können begreifen, dass sie ihr Spielzeug zurückbekommen.

Meins, deins, seins …

Etwa um das zweite Lebensjahr herum beginnt bei vielen Kindern die Meins-Phase. Das Kind lernt, dass es mit dem Wort „meins“ Besitz zuordnen kann. Allerdings muss es noch sehr lange ausprobieren, bis es wirklich begreift, wann etwas wirklich ihm gehört oder jemand anderem. Daher solltest du es nicht so eng nehmen, wenn dein Kind erst mal alles was es in die Finger bekommt als „meins“ bezeichnet. Dein Kind probiert einfach aus und lernt.

Warum wollen wir jeden Konflikt im Keim ersticken?

Vielleicht kennst du die Situation auch: Ein Kind hat ein Spielzeug in der Hand. Ein anderes nähert sich und signalisiert, dass es ebendieses Spielzeug auch haben möchte. Sofort springt ein Elternteil ein und mahnt „Der Ben hatte den Bagger zuerst. Du kannst jetzt nicht damit spielen.“  Und selbst wenn das Spielzeug dem anderen Kind gehört, so „muss es lernen, sein Spielzeug zu teilen“. Noch bevor irgendetwas passiert, sehen wir schon die böse Absicht unseres Kindes voraus, das Spielzeug wegzunehmen. Nicht gerade vertrauensvoll, oder?

Aber woher kommt diese Harmoniesucht? Warum gestehen wir unseren Kindern nicht zu, ihre eigenen Gefühle zu spüren, zu erkunden und mit anderen Kindern in Dialog darüber zu gehen. Natürlich können sie das mit eineinhalb Jahren noch nicht wie Erwachsene. Und genau deshalb brauchen sie genau diese Situationen um zu lernen. Warum fällt es uns so schwer, die Gefühle unserer Kinder einfach auszuhalten?

Es scheint, als wäre unser Ziel, Interaktionen mit anderen Kindern um jeden Preis harmonisch zu gestalten. Aber was sagen wir damit? Du darfst nicht für deine Wünsche einstehen? Du musst deine Gefühle verleugnen. Du darfst dein Eigentum nicht verteidigen. Und am besten solltest du bitte immer fröhlich und munter sein, aber nicht zu laut und immer nur so, dass alle die ganze Zeit happy sind und keiner weint.

Möchtest du, dass dein Kind lernt, für seine Wünsche einzustehen? Soll dein Kind einmal Konflikte mit anderen konstruktiv lösen oder soll es seine Wünsche, Meinungen und Bedürfnisse hintanstellen, damit es immer harmonisch läuft?

Kinder können verzeihen, sie können sich vertragen und sie können negative Gefühle aushalten und darüber hinwegkommen – wenn wir sie lassen. Und sie sind in der Lage Lösungen zu finden oder auch einfach auszuprobieren, was geht und was nicht geht. Das behindern wir aber, wenn wir immer sofort panisch eingreifen, sobald unser Kind sich anschickt, das Spielzeug eines anderen zu wollen.

Wie du Kinder bei Streitigkeiten unterstützen kannst

Je nach Temperament deines Kindes hast du beim Lesen vermutlich schon Bilder im Kopf von Kleinkindern, die einander beißen, bis sie bluten, oder sich gegenseitig die Spielzeuge über den Kopf hauen. Die Probleme nicht für dein Kind zu lösen bedeutet aber nicht, dass du zulässt wie es andere Kinder verletzt oder verletzt wird. Kinder brauchen uns Erwachsene, um ihnen in für sie schwierigen und komplexen Situationen zur Seite zu stehen.

Kinder vor Verletzungen schützen

Dass Kleinkinder in stressigen Situationen beißen, hauen oder sich anderweitig körperlich ausagieren, ist relativ normal. Kleine Kinder sind noch sehr impulsiv und ihnen fehlt es schlicht an Erfahrung und Übung alternativer Methoden, um die Wut abzubauen.

Natürlich solltest du als Erwachsener dein Kind vor körperlichen Übergriffen schützen und eingreifen, wenn es selbst andere Kinder verletzt. Allerdings sind die Scham und der Frust den viele Eltern empfinden, weil ihr Kind „so etwas“ macht unangebracht. In den meisten Fällen kannst du kindliche Aggression als normales und altersgerechtes Verhalten betrachten. Wenn dein Kind ein anderes hauen oder beißen möchte, bleibe ruhig und verhindere die Aggression. Du kannst deinem Kind in einfachen ruhigen Worten sagen. „Es ist ok, dass du das haben möchtest, aber du darfst andere nicht verletzten“ oder auch „Ich werde verhindern, dass du jemanden verletzt“.

Viele Kleinkinder durchlaufen Phasen, in denen sie mehr beißen und hauen und in denen sie ihr Spielzeug drastischer verteidigen. Sei geduldig, wenn dein Kind sich gerade in einer solchen Phase befindet. Zwinge dein Kind nicht, sein Spielzeug abzugeben, wenn genau dies ihm im Moment unglaublich schwerfällt. Wahrscheinlich ist es in diesem Moment gerade noch nicht so weit, diese Lektion zu lernen.

Ermutige dein Kind, selbst Lösungen zu finden

Streiten sich mehrere Kinder um ein Spielzeug, kannst du dich zu ihnen setzen und einfach verbalisieren, was du siehst. In diesem Moment erkennst du an, dass es ein Problem gibt, ohne dich auf die Seite eines Kindes zu stellen. Und du lässt Raum für kreative Lösungen der Kinder. Du könntest sagen „Hmmmm, du möchtest dieses Spielzeug unbedingt haben. Alex hat gerade damit gespielt und hält es sehr fest. Es sieht so aus, als möchte er es nicht hergeben.“ Und dann schaust du einfach, was passiert.

Wenn du diese Technik anwendest, bedeutet das nicht, dass die Kinder die Situation sofort wie Erwachsene lösen werden oder dass nie einer weint. Das ist auch nicht das Ziel. Die Idee dahinter ist, deinem Kind nicht durch überschnelles Eingreifen zu vermitteln, dass du sowieso davon ausgehst, es könne den Konflikt nicht lösen.

Vielleicht passiert gar nichts und die beiden Streithähne ziehen weiter an dem Spielzeug. Dann könntest du sagen „Ihr möchtet beide das Spielzeug unbedingt haben. Keiner möchte es loslassen.“ Und dann schau wieder, was passiert. Vielleicht zerrt Alex das Spielzeug an sich und Leonie bekommt es nicht zu fassen. Dann kannst du sagen. „Du wolltest das unbedingt. Das ist frustrierend, dass du jetzt nicht damit spielen kannst.“

Du begleitest die Situation also verbal, ohne Partei zu ergreifen und Lösungen vorzuschlagen und schützt die Kinder davor, sich gegenseitig zu verletzen.

Keine Angst vor Tränen

Viele Eltern möchten ihre Kinder instinktiv vor Frust schützen. Gerade bei Spielverabredungen sollen doch die Kinder fröhlich spielen und nicht streiten und weinen. Dabei verkennen sie, dass Konflikte in sozialen Gefügen nun mal dazugehören. Wenn unsere Kinder lernen dürfen, sich durch diese Konflikte zu navigieren, dann haben sie gutes Rüstzeug, um später auch ohne unsere Hilfe Lösungen zu finden und mit Rückschlägen zurechtzukommen.

Die Welt unserer Kinder ist noch sehr beschränkt. Sie haben bisher zu wenig Erfahrungen mit Frust und Enttäuschungen gemacht und deshalb werfen schon Kleinigkeiten sie aus der Bahn. Wenn wir unseren Kindern diese Gefühle erlauben, anstatt ihnen jeden Frust zu ersparen, dann machen wir sie fit fürs Leben. Denn wir erlauben ihnen, Frustrationstoleranz zu entwickeln. Das natürlich immer, solange alle körperlich unversehrt bleiben.

Natürlich musst du nicht tatenlos mitansehen, wenn Kinder in Spielverabredungen oder irgendwelchen anderen Situationen konstant unglücklich sind. Aber erlaube deinem Kind, auch mal eine Enttäuschung durchzufühlen, ohne gleich panisch zu werden. Denn durch dieses panische Eingreifen signalisierst du deinem Kind auch gleich, dass Enttäuschungen und Frust nicht sein dürfen. Erkenne Gefühle von Wut, Trauer und Enttäuschung einfach an, sodass dein Kind lernen kann, dass sie dazugehören und auch wieder vorbeigehen. Und du kannst ja immer noch jederzeit eingreifen, wenn es dir zu bunt wird.

Situationen individuell beurteilen

Es gibt natürlich Situationen, in denen das so nicht klappt. Vielleicht ist ein Kind sehr dominant und nimmt allen anderen die Spielzeuge weg. Oder ein Kind ist konstant sehr frustriert. Natürlich kannst du in diesen Situationen einschreiten. Deshalb ist es sinnvoll, jede Situation individuell zu betrachten und eben auch die Gelegenheiten wahrzunehmen, in denen Kinder vielleicht ohne Intervention allein zurechtkommen.

Mit anderen Eltern absprechen

Viele Eltern greifen in Konflikte ihrer Kinder ein, weil sie nicht möchten, dass andere Eltern ihr Kind oder ihren Erziehungsstil abwerten. Und es ist völlig legitim, dass du nicht möchtest, dass andere Eltern denken, dein Kind sei ein Spielzeugwegnehmer.

Bei Spielverabredungen kannst du das Thema klar ansprechen und zum Beispiel fragen „Wollen wir bei Konflikten gleich eingreifen oder schauen wir erst mal, ob die Kinder die Streitigkeiten selbst lösen können?“ Auf dem Spielplatz oder mit vielen fremden Personen geht das natürlich nicht. Da kannst du vielleicht schauen, wie die anderen Eltern reagieren und im Zweifel dein Kind auf die allgemeinen Verhaltensregeln hinweisen (abwechseln, nicht wegnehmen, etc.)

Vorleben

Kinder lernen, indem sie eigene Erfahrungen machen. Sie lernen aber auch durch Vorbilder. Ob du Konflikten aus dem Weg gehst, Konfrontation meidest, ob du aufgebracht wirst, nach konstruktiven Lösungen suchst oder dich nach einem Fehlverhalten entschuldigst – all das modelliert für dein Kind einen Umgang mit Konflikten, den es womöglich nachahmen wird. Fang also bei dir selbst an und versuche – gerade in Konfliktsituationen, die dein Kind oder deine Partnerschaft betreffen, ein gutes Vorbild zu sein.

Und gerade bei dem letzten Punkt wird klar, dass das keine Sache ist, die von heute auf morgen passiert. Komplexe soziale Situationen zu meistern braucht Zeit, Geduld, Vorbilder und Erwachsene, die Vertrauen haben.

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Quellen

✔ Inhaltlich geprüft am 29.07.2022
Dieser Artikel wurde von Janett Scheck geprüft. Wir nutzen für unsere Recherche nur vertrauenswürdige Quellen und legen diese auch offen. Mehr über unsere redaktionellen Grundsätze, wie wir unsere Inhalte regelmäßig prüfen und aktuell halten, erfährst du hier.

Veröffentlicht von Sibylle Grenz

Als Mutter eines quirligen Kleinkindes schreibt Sibylle leidenschaftlich gern über Erziehungsthemen, aber auch Themen aus der Schwangerschaft. Gemeinsam mit unserem Hebammen- und Pädagoginnen-Team arbeitet sie Fragen der babelli-Community auf und beantwortet sie fundiert und praxisnah.

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