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Sind Frauen und Kinder unserem Land egal?

Frauen und Kinder zuerst - aber nicht in Deutschland?
Sind Kinder in unserem Land nicht mehr vorgesehen?/ Bild © Robert Kneschke, Adobe Stock

Unfaire Bezahlung, Nachteile bei der Rente, erschwerter Wiedereinstieg nach der Elternzeit – jüngst sorgte die voraussichtliche Streichung des Elterngeldes bei Besserverdienenden für einen Aufschrei. Unsere Autorin fragt sich zu Recht: Warum sind Frauen und Kinder so unwichtig? 

Es waren einmal drei Frauen mit einer Vision – der Vision, das Elterngeld zu verbessern. Ihre Forderung: Erhöhung des seit 2007 unveränderten Elterngeld-Höchstbetrages, ein armutsfester Mindestbetrag sowie ein regelmäßiger Inflationsausgleich. Die Petition erreichte rund 67.000 Unterzeichner, im Juli durften die Frauen die Forderung im Petitionsausschuss des Bundestages vortragen. Doch der Kampf war schon verloren, denn gleichzeitig war klar: Der Entwurf des Haushaltsplans 2024 geht dem Elterngeld an den Kragen. Besserverdiener sollen kein Elterngeld mehr erhalten. Aber ist das wirklich fair?

Zurück ins Jahr 2006 zur Pressemitteilung der damaligen Familienministerin:

„Mit dem neuen Elterngeld schaffen wir jetzt bis zu 14 Monate lang einen Schonraum für junge Eltern, um ohne Sorgen in das Familienleben hineinzufinden.“

Ursula von der Leyen

Besonders hebt sie die Väter hervor, die nun einen „attraktiven Anreiz“ haben, sich aktiv in den ersten Lebensmonaten um die Betreuung des Kindes zu kümmern. Gleichzeitig sollte der Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen weiter vorangetrieben werden. Warum spielt das plötzlich keine Rolle mehr? Warum entscheidet man wieder gegen die Mütter?

Die stecken ohnehin in mehreren Dilemmas gleichzeitig. Gesellschaftlich gesehen, sollen sie bloß nicht zu früh mit der Arbeit beginnen. Frühe Fremdbetreuung soll nicht ideal sein und ein gutes Gefühl haben die meisten dabei ohnehin nicht. Zu Hause bleiben sollen und können sie aber nicht, die Männer erst recht nicht. Kita-Plätze sind aber Mangelware. Wie man es dreht und wendet, es passt hinten und vorne nicht.

Wo sind denn die dringend benötigten Krippen- und Kita-Plätze?

In Deutschland gibt es seit ein paar Jahren einen Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung. Laut dem Ländermonitoring der Bertelsmannstiftung fehlen jedoch im Jahr 2023 rund 384.000 Betreuungsplätze. Es mangelt an (qualifiziertem) Personal, die wissenschaftlich empfohlene Beschäftigungszahlen von Erziehern aus Kostengründen(!), nicht erreicht. Die Qualität des frühkindlichen Bildungsauftrags zu erfüllen – unmöglich. Im Osten schlimmer als im Westen. Bei Schulen das gleiche Problem: Zu wenige (warum werden sie in Neubaugebieten vergessen?) und dazu noch der Lehrermangel, zu große Klassen, zu wenig Unterstützungsmöglichkeiten. Ein Teufelskreis.

Warum das vor allem den Frauen schadet? Frauen haben kaum eine Wahl, sie bleiben oft länger zu Hause – beim Kind. Mehr Zeit mit dem Nachwuchs könnte man meinen. Näher betrachtet führt es jedoch zu Problemen im Alter (und sicherlich nicht nur da). Denn: Verdient Frau vor der Elternzeit über Niveau, gibt es währenddessen nur Rentenpunkte für einen Durchschnittsverdiener. Die Folge sind weitere Einbußen bei der späteren Rente. 

Und das ist längst nicht alles. Die Sorgearbeit wird nach wie vor überwiegend von den Müttern geleistet. Vollzeitjob: Fehlanzeige. Also weitere Abstriche bei der Rente. Über die Gender Pay Gap möchten wir an dieser Stelle lieber gar nicht nachdenken. Es macht wütend zu sehen, dass Frauen für die gleiche Arbeit weniger bekommen als Männer. Auch hier sollte die Politik noch einmal dringend nachbessern für mehr Vergleichbarkeit der Gehälter in den Unternehmen. Transparenz für alle!

Die Inflation verdeutlicht, was wir längst wussten

In Zeiten der hohen Inflation bekommen es nicht nur Geringverdiener zu spüren, alles wird teurer, jede Ausgabe wird gut überlegt. „In vielen Regionen in Deutschland reicht das Einverdiener-Modell nicht mehr“, sagt sogar Katharina Beck (Die Grünen) gegenüber der Morgenpost. Die äußeren Umstände sorgen dafür, dass beide Elternteile arbeiten müssen. Es ist keine freie Entscheidung. Und wir sprechen hier nicht über Geld für einen oder keinen Kinobesuch im Monat, sondern über hohe Mieten, Strom- und Gaspreise und teure Lebensmittel, die ein einzelner Verdiener allein nur schwer stemmen kann. 

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Hilfe naht, oder?

Die Diskussion über die Kindergrundsicherung ist voll im Gange. Kommen soll sie, aber bitte nicht so teuer. Kinder kosten Geld und sie sind es wert, gefördert zu werden! 

Immerhin hat unsere Familienministerin Lisa Paus den Unterhaltsvorschuss und den Kinderzuschlag vor dem Rotstift geschützt. Gleichzeitig gibt sie zu, dass es „kein Glanzstück für die Gleichstellung“ (Quelle: tagesschau) sei, bei besserverdienenden Eltern anzusetzen. 

Trotzdem sieht der Haushaltsentwurf vor, Paareltern und Alleinerziehende mit einem zu versteuernden Einkommen von über 150.000 Euro beim Elterngeld nicht mehr zu berücksichtigen. 

Gutverdienend oder nicht – das macht eine frischgebackene Mutter finanziell noch abhängiger vom Partner. Oder zwingt sie zu einem früheren Wiedereinstieg nach der Elternzeit, obwohl vielleicht weder sie noch das Kind selbst bereit sind, Fremdbetreuung in Anspruch zu nehmen. 

Wem soll das Elterngeld gestrichen werden?

Der gut ausgebildeten Mittelschicht. Also denjenigen, die sich das entsprechende Gehalt über einen langen Weg durch Ausbildung und/oder Studium erarbeitet haben, sich teilweise dafür verschuldet haben. Langer Weg heißt wenig Einkommen nebenbei (wenn überhaupt machbar) und wenig Einzahlung in die Altersvorsorge. Daher steigen sie meist mit höheren Gehältern ein. 

Oder es sind die, die erst etwas aufbauen und dann ein Kind bekommen. Also genau die, die man mit dem Elterngeld ursprünglich erreichen wollte. Der durch das Elterngeld geschaffene Anreiz, dass auch Väter länger oder überhaupt Elternzeit nehmen, ist dahin. Wer ist damit doppelt leidtragend? Wieder die Mütter!

Die Folge: Der erarbeitete Lebensstandard ist schwer zu halten, auch mit dem Höchstbetrag schon nicht. Man könnte argumentieren, dass Eltern in dieser Zeit kleinere Brötchen backen sollen. Sofern das in teuren Städten überhaupt geht. 

Nur wie geht es weiter? Frühe Betreuung (sofern möglich), schnell zurück in den Job, um keine neuen Schulden zu machen oder die alten bedienen zu können. Billigend in Kauf nehmen, dass es zu einer Bindungsstörung kommt, es die Eltern-Kind-Beziehung emotional belastet, Kinder zu früh abgeben zu müssen? Arbeitgeber, die motzen, weil Mütter ständig fehlen, da das Kind krank ist. 

Und es trifft wieder die Mütter. Weil SIE noch immer die Hauptbezugsperson ist, weil Elternzeit von zwei Monaten den Arbeitgebern von Vätern schon zu viel ist. Und das, obwohl viele danach umso motivierter bei der Arbeit sind. Ich würde mir so sehr wünschen, dass kein Elternteil Angst um seinen Job haben muss, wenn er oder sie in Elternzeit gehen möchte. 

Eltern aller (Bundes-) Länder, vereinigt euch!

Laut Schätzung des Familienministeriums wären ca. 60.000 Familien von der Streichung betroffen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) spricht von 435.000 Familien. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich in der Mitte. 

Als der Plan bekannt wurde, kam es zu einer ePetition “Nein zur Elterngeldstreichung”. Innerhalb weniger Tage zeichneten sie mehr als eine halbe Million Menschen – etwa achtmal so viele wie bei der anderen Petition. 

Was sagt uns das? Besserverdienende sind ziemlich laut! Wo waren sie, als es um die Petition “Elterngeld hoch” ging? Hoch egal, aber Wegnehmen geht nicht? Oder sind die Menschen, die sich gerade so mit dem Elterngeld und ihren Kindern durchschlagen, zu beschäftigt u.a. mit mehreren schlecht bezahlten Jobs, um laut zu sein? Sind sie weniger gut vernetzt, um der Forderung nach einer Erhöhung des Elterngeldes nach 16 Jahren (!) Nachdruck zu verleihen? 

Mag sein. Es geht aber um Solidarisierung, in beide Richtungen! Es sind nicht nur die Besserverdienenden, die auch auf vieles verzichten wegen ihres Jobs. Auch diejenigen, die weniger verdienen, arbeiten oft viel – weil sie müssen. Beide Lager sollten einander helfen. Und auch Menschen, die keine Kinder haben oder möchten, dürfen sich für die anderen einsetzen.

So kinderfeindlich sind wir wirklich

Manche Arbeitgeber stellen keine Frauen im gebärfähigen Alter ein oder nur befristet, um dann bei Schwangerschaft einfach den Vertrag auslaufen lassen zu können. Leidtragende sind wieder wir Frauen. Unsere Arbeitsverträge werden öfter einer Befristung unterworfen als Verträge mit Männern (Quelle: destatis). Kinderkranktage sind ungern gesehen, zuhause bleiben meist: die Mütter.

Und wie sieht es allgemein in Deutschland aus? Das Deutsche Kinderhilfswerk veröffentlichte anlässlich seines 50. Geburtstag im Februar 2022 die Ergebnisse einer Umfrage zur Kinderfreundlichkeit in Deutschland. Das Ergebnis ist erschreckend: Mehr als die Hälfte hält Deutschland demnach für kinderfeindlich. Was das für die Mütter heißt, wissen wir nun.

Übrigens: Sogar unserer Familienministerin Lisa Paus wird vorgeworfen, sie sei kinderfeindlich. Laut Wikipedia zieht sie nach dem Tod ihres Lebensgefährten im Jahr 2013 ihren 2009 geboren Sohn allein groß. Frauenfeindlichkeit kennt sie also persönlich.

Fazit

Es darf einfach noch nicht das letzte Wort gesprochen sein. Jetzt ist die Zeit, für Kinder und Familien etwas zu tun und damit den Frauen zu helfen. Um hinzuschauen und konstruktiv zu sein und das Budget im Bundeshaushalt so lange hin- und herzuschieben, bis es passt. Und zwar mindestens so, dass sich keiner Sorgen machen muss, der JETZT schwanger ist und mit dem Elterngeld gerechnet hat im nächsten Jahr. So wie Eltern es auch passend machen – für ihre Kinder, damit sie gesund und glücklich sind. 

Und auch wenn es nicht um eigene geht: Wir brauchen Nachwuchs. Kinder sind unsere Zukunft, denn sonst verschlimmert sich der Fachkräftemangel weiter. Und ohne Einzahler in die Rentenkasse geht der Generationenvertrag nicht mehr auf. Das wollen wir doch alle nicht, oder?

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Quellen

Veröffentlicht von Yvonne Nagel

Yvonne ist Steuerfachwirtin und bringt 15 Jahre Erfahrung im Steuer- und Lohnbereich durch ihre Tätigkeit im Steuerbüro mit. Seit 2018 ist sie unsere Expertin rund um das Thema Formalitäten, Elterngeld und Elternzeit. Wenn sie nicht eure Fragen rund um Behördengänge und Formalitäten beantwortet oder neue Videos für euch aufnimmt, sitzt sie gern am Basteltisch und ist mit Papier und Stempeln kreativ.

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