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Elternburnout: Auch nach der Pandemie sind Familien am Limit und einfach nur noch erschöpft

Elternburnout - Elternburnout: Auch nach der Pandemie sind Familien am Limit und einfach nur noch erschöpft
Viele empfinden ihren Alltag komplizierter und wünschen sich in die Zeit vor der Pandemie zurück. / Bild © Photographee.eu, Adobe Stock

Die Nachwehen der Coronazeit, Krankheitswellen und immer neue Herausforderungen machen es Eltern schwer. Wir haben mit einer Familientherapeutin über den steigenden Druck gesprochen.

Krieg, Krankheitswellen, Personalmangel bei der Kinderbetreuung und steigende Kosten belasten den Alltag und das Familienleben. Wer Homeoffice machen kann, neigt außerdem dazu, krank weiterzuarbeiten. Oder kranke Kinder quasi parallel zur Telefonkonferenz zu pflegen. Die Mehrfachbelastung ist kaum auszuhalten. Vor allem, weil man gehofft hatte, dass es nach der Pandemie endlich wieder „normal“ weitergeht. Warum Familien einfach nicht zur Ruhe kommen und was in dieser Situation hilft, erklärt Familiencoach Claudia Hillmer.

Liebe Claudia, kommen dir die oben genannten Themen bekannt vor? Spiegeln diese gerade deinen Beratungsalltag wider?

Ja, für viele Familien ist es immer noch eine herausfordernde Zeit. Viele hofften am Ende der Pandemie auf Normalität oder sogar auf etwas Erholung und dann ist es natürlich eine Enttäuschung, wenn nicht wieder „alles gut“ ist. Die Pandemie und die damit verbundenen Herausforderungen haben uns quasi aus dem Tritt gebracht, unsere Routinen gesprengt – im Guten wie im Schlechten.

Was sind Probleme, die Eltern, Familien gerade umtreiben, womit kommen diese zu dir?

Viele empfinden ihren Alltag komplizierter und sie wünschen sich in die Zeit vor der Pandemie zurück. Die Probleme sind so vielfältig: Kinder straucheln auf einmal im Kita- oder Schulalltag oder sie wollen nicht mehr ihre zuvor ausgeübten Hobbys und sportlichen Aktivitäten aufnehmen. Manche haben Ängste vor realen, sozialen Kontakten entwickelt und pflegen ihre Freundschaften nur noch auf digitalem Weg. Hier sind Routinen verloren gegangen, die vor der Pandemie nicht infrage gestellt wurden.

Und dennoch muss ich sagen, dass sich in der Regel zeigt, was zuvor schon da war oder sich zumindest angedeutet hat. Beispielsweise geht fast ein Drittel aller jüngeren Kinder nicht gerne in ihre Kita oder Schule, dies fiel in der vorher gelebten Routine oft gar nicht so sehr auf. Wie du schon angesprochen hast, kommt auch noch hinzu, dass in vielen Betreuungseinrichtungen Personalmangel herrscht und wir alle unfreiwillig jede Krankheitswelle mitnehmen. Wenn mein Sprössling nun aber immer wieder für längere Zeit zu Hause war und nun wieder in die Kita soll, brauchen nicht nur kleinere Kinder eine erneute Eingewöhnungsphase.

Damit rechnen viele Eltern nicht und sind entsprechend angestrengt, wenn die morgendliche Übergabe auf einmal nicht mehr klappen will. Trifft das verunsicherte Kind, samt Elternteil, nun auch noch auf gestresstes pädagogisches Personal, wird es für alle schwierig. Das zerrt an den Nerven aller Beteiligten.

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Vereinbarkeit von Beruf und Familie kaum möglich

Viele Eltern erzählen, dass sie ihre Kinder tageweise wieder mit nach Hause nehmen und dann oft bei dem Versuch scheitern, ihrem Job und ihrem Kind gerecht zu werden. Andere übergeben bitterlich weinende Kinder und berichten, dass sie vom pädagogischen Personal auch noch gespiegelt bekommen, dass mit ihnen, ihrer Erziehung oder gleich ihren Kindern etwas nicht in Ordnung ist, wenn sich diese nicht problemlos an der Pforte der Kita abgeben lassen.

Wieso geht es uns gerade so?

Ich denke, dass wir alle mehr Zeit brauchen, um wieder in unseren Alltag zu finden und wir sollten bestimmt auch manches davon infrage stellen. Denn nur weil es zuvor so war, hat nicht alles unseren Kindern oder auch uns gutgetan. Eigentlich ist es doch so, dass das, was zu uns passt, uns sinnvoll erscheint oder uns guttut, in der Regel von ganz alleine funktioniert.

Kinder wollen zu Gemeinschaften, sei es nun ihre Familie oder auch die Kindergartengruppe oder Klassengemeinschaft, dazugehören, sie wollen mitmachen.

Wenn Kinder nicht mehr mitmachen, müssen wir uns Zeit nehmen.

Dann hilft es nicht, ihnen Vorträge zu halten. Dann müssen wir, gerne mit ihren Betreuenden zusammen, herausfinden, was sie wollen und was nicht, was sie gut finden und was nicht und dann hoffentlich den Mut finden, danach zu handeln. Sonst machen wir sie passend und das klappt genauso wenig wie die Quadratur des Kreises.

Und Gott sei Dank lassen sich unsere Kinder heutzutage nicht mehr so einfach passend machen, sie protestieren zu Recht! Es ist also keine leichte Aufgabe und viele Eltern und Pädagogen sind eher damit beschäftigt, die Kinder passend machen zu wollen, statt herauszufinden, was das tatsächliche Problem ist oder was sie brauchen, um wieder mitmachen zu können. Wir suchen also häufig, an der falschen Stelle und sind dann vom vielen Suchen erschöpft.

Kann man sagen, es gibt ein Elternburnout?

Ja, ich denke schon, dass man das sagen kann. Wir geraten nicht alleine wegen hoher Arbeitsbelastungen in diesen Krankheitszustand. Eine große Rolle spielt dabei, ob wir unsere Beziehungen als gelingend erleben und ob wir unser Tun als sinnvoll und unseren Zielen und Werte entsprechend erleben. Wenn man mit diesem Wissen auf die Beispiele zuvor schaut, kann man die Erschöpfung der Eltern besser verstehen. Sie erleben sich nicht als wirksam und laufen gegen Wände, wenn es eigentlich einen offenen und ehrlichen Dialog zwischen Familien, pädagogischer Einrichtungen, Chefs und nicht zuletzt auf politischer Ebene bräuchte. Sie fühlen sich nicht gehört mit ihren Sorgen.

Können Eltern etwas tun, um den Druck besser aushalten zu können?

Bitte entschuldige, liebe Nina, aber ich stolper schon über das Wort „aushalten“.
Eltern halten schon viel zu lange aus und versuchen, wie gesagt, sich und ihre Kinder passen zu machen. Ich denke, wir müssen raus aus der Starre, wir müssen uns und unsere Kinder besser um- und versorgen, statt sie passend für das Betreuungssystem oder unseren Arbeitsalltag zu machen.

Wir müssen miteinander ins Gespräch gehen und uns Hilfe holen. In den eigenen vier Wänden nach Lösungen zu suchen ist wirklich schwierig, die meisten Menschen brauchen ein Gegenüber, echten Kontakt und Austausch, um neue Ideen und neue Möglichkeiten zu entdecken, nach verbindenden Lösungen zu suchen und diese dann auch Stück für Stück zu finden.

Hilfsangebote als Lösung

In den letzten Jahren sind auch mehr Hilfsangebote entstanden, wie Online-Eltern-Coachings, Elterngruppen, Online-Portale wie eures und vieles mehr.

Hier gibt es Raum für ehrlichen Austausch: Was ist schwierig, was läuft gut? Wie ist es bei uns, wie bei euch? Wie können wir unser Zusammenleben gestalten? Von derlei Angeboten bräuchten wir noch viel mehr. Fest steht, wenn ein Familienmitglied leidet, leiden alle und dies ist ein guter Zeitpunkt sich Hilfe zu suchen!

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Claudia Hillmer ist Familien- und Traumatherapeutin (ddif) und Patchwork-Mama von zwei „Beutekindern“ und zwei selbstgemachten. Sie begleitet Familien in ihrer Praxis und ist als Gruppenleiterin verschiedener (Patchwork-) Elterngruppen tätig.

Ein weiteres Herzensanliegen von ihr ist es, Beziehungskompetenz auch in pädagogische Einrichtungen zu tragen und zu leben. Dies tut sie als Mitglied des Beratungsteams einer Hamburger Waldorfschule und durch ihre Arbeit mit pädagogischen Teams. Sie gestaltet Eltern- und Themenabende für pädagogische Einrichtungen und gibt fach-persönliche Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte.

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Quellen

Veröffentlicht von Nina Gaglio

Nina ist Mama eines Grundschulkindes und seit 25 Jahren leidenschaftliche Reporterin und Redakteurin. Angefangen hat alles beim Fernsehen, wo Nina neben ihrem Germanistik, Anglistik und Medienwissenschaften Studium erste Erfahrungen sammeln konnte und dann 12 Jahre blieb. Danach kam viel PR und der Onlinejournalismus dazu. Familien- und Kinderthemen und die Arbeit mit Experten aus diesen Bereichen gehörte auch zum Redaktionsalltag. Und so war es nur logisch, dass Nina nach dem Mutterwerden auch für Parenting-Magazine schrieb.

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