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Lange stillen – Wie lange ist ok?

Langzeitstillen, Stilldauer
Mutter stillt Kleinkind

Wie lange sollte man ein Kind stillen? Was ist zu kurz? Was zu lang? Gibt es diesbezüglich überhaupt Empfehlungen? Und worauf gründen diese? Wir erklären euch, was hierzulande die „Norm“ ist und weshalb du nicht auf Empfehlungen, sondern auf dein Gefühl vertrauen solltest!

Das Wichtigste in Kürze

  • Die WHO empfiehlt, mindestens zwei Jahre zu stillen.
  • Welche Stilldauer als „normal“ erachtet wird, ist immer auch eine soziale und gesellschaftliche Frage.
  • Fakt ist: Langzeitstillen bietet eine optimale Versorgung des Kindes mit Nährstoffen und Energie und wirkt vorbeugend gegen Infektionen.
  • Eine biologisch zeitliche Obergrenze für das Stillen gibt es nicht. Die Muttermilch passt sich jederzeit den Bedürfnissen des Kindes an.
  • Unsere Meinung: Mutter und Kind sollten ihrem eigenen Rhythmus folgen und so lange stillen, wie es beiden gut damit geht.

Offizielle Empfehlungen zur Stilldauer

Die WHO rät zu einer Stillzeit von mindestens zwei Jahren. Sechs Monate sollte die Ernährung ausschließlich über Muttermilch erfolgen, nach Einführung der Beikost ergänzend dazu.

Nicht alle stimmen dieser Empfehlung zu. Der Grund: Sie gilt gleichermaßen für Industriestaaten und für Entwicklungsländer. Dabei sind die Lebensbedingungen nicht vergleichbar. Hierzulande haben wir andere Voraussetzungen als beispielsweise in Afrika. Daher sprechen sich Kritiker für eine Differenzierung der WHO-Empfehlung aus.

Die Empfehlung der Nationalen Stillkommission

Die Nationale Stillkommission löst die Frage nach der Stilldauer eleganter. Sie verzichtet auf eine ausdrückliche Empfehlung. Der endgültige Zeitpunkt zum Abstillen sollte nach Auffassung der Kommission eine individuelle Entscheidung sein, die gemeinsam von Mutter und Kind getroffen wird.

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Auch wir sind der Meinung, dass die Stilldauer eine persönliche Entscheidung ist. Jede Frau hat das Recht auf Akzeptanz und Respekt, ganz gleich wie lange sie stillt – oder ob sie überhaupt stillt.

Wichtig: Langzeitstillen sollte nicht die Einführung von Beikost ersetzen!

Feste Nahrung ist für Babys ab einem gewissen Alter wichtig. Die Nationale Stillkommission rät dazu, zwischen dem Beginn des 5. Monats und dem 7. Monat mit Beikost zu beginnen und parallel weiterzustillen, solange es Mutter und Kind guttut.

Was bedeutet „lange stillen“?

Eine eindeutige Definition gibt es nicht. Was als lange empfunden wird, ist subjektiv. In Entwicklungsländern ist es normal, dass Kinder in den ersten Lebensjahren gestillt werden. In Industriestaaten wie Deutschland ernten Mamas oft erstaunte bis entsetzte Blicke, wenn sie ihrem zweijährigen (oder älteren) Kind die Brust anbieten.

Für die meisten Menschen in europäischen Industrieländern fängt das Langzeitstillen etwa bei 12 Monaten an.

Wie lange das Stillen als „normal“ empfunden wird, ist also von Kultur zu Kultur verschieden. Die Auswertung einer großen Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS-Studie) des Robert Koch-Instituts (RKI) ergab, dass Mütter hierzulande durchschnittlich acht Monate stillen. Im Vergleich zu Nepal (etwa 34 Monate), Sri Lanka (rund 33 Monate), Bangladesch (circa 32 Monate) oder auch Äthiopien (etwa 25 Monate) ein sehr niedriger Wert. Wirft man einen Blick in die WHO-Datenbank zur weltweiten Stilldauer, werden die Unterschiede bei den Stillgewohnheiten mehr als deutlich. Weshalb ist das so?

Stilldauer ist von verschiedenen Faktoren abhängig

Die Stilldauer hängt vom allgemeinen gesellschaftlichen Konsens ab. Auch soziale Faktoren spielen eine Rolle, etwa die Bildung der Frauen und deren Zugang zum Arbeitsmarkt. Beispielsweise ist die Empfehlung der WHO nicht immer mit der Lebenswirklichkeit arbeitender Mütter in entwickelten Ländern wie Deutschland in Einklang zu bringen. Nicht alle Arbeitgeber erweisen sich als „stillfreundlich“ und nehmen es gelassen hin, wenn ihre Arbeitnehmerinnen Still- bzw. Abpump-Pausen einlegen. Zwar sind diese Pausen hierzulande gesetzlich verankert – allerdings nur für die ersten zwölf Monate nach der Geburt. Auch diese „Rahmenbedingungen“ sind ein Grund dafür, dass die Stilldauer in Industriestaaten oft kürzer ausfällt.

Demgegenüber stehen Entwicklungsländer, in denen sich der Zugang zu sauberem Trinkwasser und Lebensmitteln mitunter schwierig gestaltet. Dort stillen Mütter oft deutlich länger. In manchen Teilen der Welt ist eine lange Stilldauer schlichtweg essenziell, um eine Mangelernährung zu verhindern.

Es gibt zahlreiche weitere Faktoren, die sich auf die Stilldauer auswirken. Die Frage nach der Stilldauer ist demnach immer auch eine gesellschaftliche UND eine soziale Frage. Dabei sollte es eigentlich nur eines sein: Eine individuelle Entscheidung! Die individuelle Entscheidung jeder Mutter!

Stillen aus evolutionsbiologischer Sicht

Aus evolutionsbiologischer Sicht entspricht das, was wir heute als Langzeitstillen erachten, eigentlich dem arttypischen Standard beim Homo sapiens (Dr. Herbert Renz-Polster). Babys kommen „unfertig“ als Traglinge zur Welt. Sie können sich nicht selbst versorgen und sind auf Hilfe angewiesen. Sie brauchen jemanden, der ihre Bedürfnisse wahrnimmt und stillt – zu jeder Zeit. Muttermilch war früher die einzige Möglichkeit, Babys ausreichend und zuverlässig mit Nahrung zu versorgen. Sie war regelmäßig verfügbar und somit eine Art Lebensversicherung. Denn mit Muttermilch konnten auch Versorgungsengpässe überbrückt werden.

Heute haben wir Pre-Milch, Babygläschen, Babykekse – ein schier unendliches Angebot an Babynahrung. Babys können auch ohne Muttermilch überleben. Zumindest in Industriestaaten wie Deutschland. Unsere Lebensumstände haben sich verändert. Und mit ihnen unsere Einstellung zum Stillen.

„Normalität“ ist nun einmal zu einem guten Teil das Resultat einer kulturellen Konsensbildung: Je nach Gesellschaft, in der Menschen leben, empfinden sie es als »normal«, ein Kind nur vier Wochen lang oder aber vier Jahre lang zu stillen (also immerhin etwa 50-mal länger).

Dr. Herbert Renz-Polster (Kinderarzt und Wissenschaftler)

Vor- und Nachteile des langen Stillens

Viele Mütter stillen heute aus gesellschaftlichen Gründen früh ab. Biologische Gründe gibt es indessen keine. Die Muttermilch passt sich jederzeit den Bedürfnissen des Kindes an – egal wie alt es ist. Es gibt auch keine biologisch zeitliche Obergrenze, wie lange eine Frau stillen kann. Dennoch hinterfragen wir die Dinge, statt auf die natürlichen Bedürfnisse unserer Babys und unsere Instinkte zu hören. Ein Fehler? Wir stellen die Vor- und Nachteile gegenüber!

Die Vorteile:

  • Studien belegen, dass Stillkinder bei gleicher Nahrungsmenge mehr Energie erhalten als nicht gestillte Kinder. Die Muttermilch passt sich ideal an die Bedürfnisse eines Kindes an – in jedem Alter.
  • Muttermilch unterstützt die Entwicklung des Immunsystems des Kindes. Abwehrstoffe, die die Mutter gegen Infektionen bildet, kommen über die Muttermilch auch dem Kind zugute. Studien zufolge sind Kinder, die lange gestillt werden, seltener krank und benötigen seltener eine Antibiotika-Behandlung.
  • Kinder, die länger als sechs Monate gestillt wurden, leiden nachweislich seltener an Allergien und Infektionen. Auch ihr Risiko, Übergewicht, Diabetes und andere chronische Erkrankungen zu entwickeln, ist Studien zufolge im Vergleich zu kürzer oder nicht gestillten Babys niedriger.
  • Wenn ein Kind krank ist und Essen verweigert, kann die Muttermilch wichtige Nährstoffe liefern und vor Austrocknung schützen.
  • Stillen kann das Kind beruhigen und trösten, etwa nach Unfällen, in Stresssituationen oder zum Einschlafen.
  • Langzeitstillen bietet dem Kind die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, wann es nicht mehr gestillt werden möchte. Dieses sogenannte natürliche Abstillen ist besonders sanft für Mutter und Kind. Genau wie das Kind in seinem Tempo Krabbeln, Laufen, Sprechen gelernt hat, kann es auch den Zeitpunkt bestimmen, wann die Stillzeit endet.
  • Es gibt auch praktische Vorteile des Langzeitstillens: Man muss nachts nicht aufstehen und eine Flasche machen, es müssen weder Snacks noch Trinken für unterwegs mitgenommen werden, schlechte „Beikost-Esser“ erhalten dennoch genug Nährstoffe.

Die Nachteile:

  • Je länger Mütter stillen, desto länger sind sie in ihrer „Freiheit“ eingeschränkt. Schließlich kann nur die Mutter das Stillen übernehmen. Ihr könnt das Stillen aber auf bestimmte Zeiten beschränken. Ältere Kinder verstehen das.
  • Während der Stillzeit müssen Mütter weiterhin auf Alkohol und andere Genussmittel verzichten. Manche Mütter empfinden das als starke Einschränkung.
  • Kritiker führen gerne das Argument an, dass Langzeitstillen Mütter sehr erschöpfe. Bei einer ausgewogenen und vollwertigen Ernährung trifft dies nicht zu.
  • Während der Stillzeit sollten Mütter auf Medikamente verzichten. Diese können in die Muttermilch übergehen. Aber: Inzwischen gibt es eine große Auswahl stillverträglicher Medikamente. Deine Ärztin kann dir bei Bedarf ein Medikament empfehlen. Bei vielen Beschwerden können aber auch Hausmittel zum Einsatz kommen.
  • Einige Zahn- und Kinderärzte warnen, dass Langzeitstillen das Risiko für Karies erhöhen könnte. Die wissenschaftlichen Studien hierzu sind widersprüchlich. Klar ist, dass Muttermilch Milchzucker enthält. Bei zu langem Kontakt mit den Zähnen kann er Karies erzeugen. Eine gründliche Zahnhygiene ist daher wichtig.

Es gibt kaum nennenswerte Nachteile für Mutter und Kind. Abgesehen davon, dass Mütter hierzulande diversen Vorurteilen ausgesetzt sind, etwa dass sie das Kind verwöhnen oder nicht loslassen können. Das sollte dich aber nicht davon abhalten, so lange zu stillen, wie es dir und deinem Baby guttut.

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Fazit

Hierzulande ist Langzeitstillen eher verpönt. Andernorts ist es die natürlichste Sache der Welt. Da in Deutschland oft die Akzeptanz für eine lange Stillzeit fehlt, entscheiden sich viele Mütter für ein frühes Abstillen – obwohl sie gerne länger gestillt hätten. Du solltest dich frei machen von der Meinung anderer. Höre auf dein Bauchgefühl und deinen natürlichen Instinkt.

Wie lange habt ihr gestillt? Habt ihr Erfahrungen mit Vorurteilen gemacht? Wir freuen uns über eure Kommentare!

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Quellen

✔ Inhaltlich geprüft am 21.03.2022
Dieser Artikel wurde von Emely Hoppe geprüft. Wir nutzen für unsere Recherche nur vertrauenswürdige Quellen und legen diese auch offen. Mehr über unsere redaktionellen Grundsätze, wie wir unsere Inhalte regelmäßig prüfen und aktuell halten, erfährst du hier.

Veröffentlicht von Patricia Schlösser-Christ

Patricia widmet sich als Kulturanthropologin mit Leidenschaft der Kindheits- und Familienforschung. Ihre liebsten (und herausforderndsten) „Studienobjekte“ sind ihre beiden kleinen Töchter. Wenn sie nicht gerade Feldforschung im Kinderzimmer ihrer kleinen Rasselbande betreibt, powert sie sich beim Handball aus.

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