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Warum gute Eltern freche Kinder haben

Warum gute Eltern freche Kinder haben 2 - Warum gute Eltern freche Kinder haben
Eine gewisse Frechheit bei Kindern kann tatsächlich etwas Gutes sein. / Bild ©Алина Бузунова, Adobe Stock

Zugegeben, der Titel ist etwas provokant. Und es geht mir auch nicht um Kinder, die respektlos sind und die Grenzen anderer überschreiten. Aber ich möchte eine Lanze für die Kinder brechen, die freimütig sagen, was sie denken und nicht blind folgen.

Nahezu jeder hat es selbst schon erlebt: Ein Kind sagt, was es denkt und sorgt damit für ungläubige Blicke oder sogar Kommentare darüber, wie unerzogen es wohl sei oder sich wenig zu benehmen wüsste. Dabei sind diese Kinder oft nur ehrlich und sagen oder machen einfach, was viele Erwachsene sich nicht (mehr) trauen. Zugegeben, gelegentlich können die Kleinen mit der großen Klappe noch lernen, wie man eine Meinung vertritt. Aber die frechen Kinder, um die es mir hier geht, sind mitten in der Selbstfindung.

Kinder sind keine dressierten Zirkusaffen

In zwanzig Jahren Journalismus und der Arbeit mit verschiedenen Experten für Kinder habe ich einiges gelernt und bin nun auch selbst Mutter eines, sagen wir mal, selbstbewussten Kindes, wenn es um das Äußern der eigenen Meinung und Selbstbestimmung geht. Mama, du hast gesagt, ich soll immer ehrlich sein, sagt es gern.

Und das ist auch gut so. Kinder sind keine dressierten Zirkusaffen – das sagt mein Mann immer, wenn er Erwachsenen begegnet, die bestimmte Dinge von Kindern erwarten oder fordern. Wenn diese dann nicht funktionieren und es ablehnen vorzutanzen oder ein Gedicht aufzusagen oder gegen ihren Willen teilen, werden sie schnell als unerzogen oder vorlaut empfunden. Und das nur, weil sie nicht stumpf Befehle befolgen.

Kinder sind gleichwürdige kleine Menschen

Sie brauchen einfach gute Vorbilder und etwas Führung. Dazu müssen sie noch lernen, sich in unserer Welt zurechtzufinden. Und grundsätzlich haben bereits die Kleinsten ein Gespür dafür, wann es Sinn macht, den Eltern besser zu folgen und wann nicht. Wenn wir ihnen auf Augenhöhe begegnen, werden wir das feststellen. Deshalb sind etwas vorlaute Kinder mir kein Dorn im Auge. Ein Therapeut sagte mir mal in dem Zusammenhang, es sind die stillen Kinder, um die wir uns Sorgen machen müssen. Und da könnte etwas dran sein.

„Brave Kinder“ unterdrücken ihre eigenen Gefühle

Hier meine ich Kinder, die als brav wahrgenommen werden, tatsächlich aber stark angepasst sind. Diese Kinder handeln vielleicht, wie es von ihnen erwartet wird. Sie passen sich an. Gefühle wie Wut, Angst, Traurigkeit oder auch offensichtliche gute Laune, die sich in Herumblödeln oder Ausflippen äußern, werden unterdrückt. Um nicht zu stören, aus Angst vor den Reaktionen oder um ihre Eltern oder Mitmenschen glücklich zu machen. 

Die Psychologin Elena Sanz sagt in einem Artikel zum Thema „Sie tun, was von ihnen erwartet wird. Diese Kinder stören nicht, unterbrechen nicht, sind gehorsam, brav und verantwortungsbewusst. Diese Eigenschaften, die von Erwachsenen als so positiv wahrgenommen werden, sind in Wirklichkeit ein Warnzeichen.“ Laut Elena Sanz neigen stark angepasste Kinder dazuihre Gefühle und Emotionen zu unterdrücken, um ihre Bezugspersonen nicht zu verärgern oder zu stören. Sie widersetzen sich der Autorität nicht, sind nicht rebellisch, sondern versuchen, perfekte Kinder zu sein und zu tun, was von ihnen verlangt wird.

Dabei kommen diese sich immer bestens benehmenden Kinder vielleicht selbst zu kurz. Es ist auf Dauer auch anstrengend, sich immer unter Kontrolle zu haben. Wie ein kleiner Vulkan, der nicht ausbricht, aber später dann vielleicht explodiert, wenn der Druck zu groß geworden ist. Auf der Seite Praxis Jugendarbeit schreiben Experten zu dem Thema „Kinder sollten nicht zu brav sein“ von einem Leben ohne entwickelte Persönlichkeit: „Egal ob dies nun bedeutet gegen die eigenen Überzeugungen und Werte zu handeln oder einfach blind links zu gehorchen. Dies hat gravierende Folgen im Leben, denn wenn sich keine eigenständige Persönlichkeit ausbilden konnte, dann machen sie weiterhin auch als Erwachsene nur, was man von ihnen erwartet und haben dabei kaum eine Chance ihr eigenes wahres Glück zu finden.“ Als Erwachsene könnten solche Kinder Probleme damit haben, sich so zu akzeptieren, wie sie sind, mit ihren eigenen Gefühlen und denen anderer klarzukommen. Diese Art brave Kinder leidet darunter, sich ständig anzupassen und ist weniger kreativ, bekommt eher schnell ein Burn-out.

„Freche Kinder“ werden unabhängige Erwachsene

Das vermeintlich eher freche Kind dagegen hat großes Vertrauen in sein Umfeld, eine tolle und vertrauensvolle Bindung zu den Eltern. Wenn es mal ausflippt, freche Bemerkungen macht oder sich unpassend verhält, ist es sich trotzdem der Liebe der Eltern und Akzeptanz seiner Mitmenschen sicher. An seinen Erfahrungen kann das unangepasste Kind sogar wachsen. Familien, die ihren Kindern ein solches Gefühl geben, akzeptieren es, wie es ist. Mit bedingungsloser Liebe kann aus einem kleinen Kind ein gesunder großer Mensch werden. 

Mit seinem Verhalten „provoziert“ das eher freche Kind Reaktionen seiner Mitmenschen und macht damit auch wertvolle Erfahrungen. „Denn Kinder sind von Natur aus laut, stürmisch, spontan und manchmal auch störend. In ihrem Prozess des Erwachsenwerdens und der Entwicklung ihrer Identität brauchen Kinder Raum und Freiheit, um sich entwickeln zu können. Wenn sie ihre Authentizität aufgeben, um den Erwartungen anderer zu entsprechen, sind sie eingeschränkt, was erhebliche psychologische und emotionale Auswirkungen haben kann“, meint Psychologin Elena Sanz. Das eher freche Kind hat also gute Chancen später unabhängig, resilient und tolerant zu werden, lebt Selbstakzeptanz und wird vielleicht eher ein kreativer Mensch. 

Meine These: Unartige Kinder gehen besser mit ihren eigenen Emotionen um und folgen ihrem Herzen

Kinder, die ihre Emotionen nicht unterdrücken, lernen im Umkehrschluss also, dass alle Gefühle ein wichtiger Teil ihres Lebens sind und respektieren deshalb auch die Gefühle anderer.

Außerdem brauchen sie, anders als die eher braven und vielleicht zu stark angepassten Kinder, keine ständige Bestätigung von anderen. Solche Kinder haben gelernt, Kritik entspannt anzunehmen und keine Angst davor haben zu müssen, Fehler zu machen. Denn sie wissen: Die Liebe der anderen ist nicht davon abhängig, dass ich mich verhalte wie andere es von mir erwarten. Deswegen folgen freche Kinder ihrem Herzen und nicht anderen. Oder der Mehrheit.

Die frechen und lauten Kinder sind also auch wichtig, weil sie unsere Welt besser machen können. Weil sie kreative Ideen einbringen, sich trauen, aufzustehen und eine Meinung haben, wenn etwas schiefläuft. Und nicht brav hinterherlaufen. Aber vor allem werden sie selbstbestimmte, glückliche Menschen.

An dieser Stelle möchte ich noch darauf hinweisen, dass es natürlich nicht „freche“ und „brave“ Kinder gibt. Kinder haben viele Eigenschaften, die alle wichtig sind. Aber wenn es zu sehr in die eine oder andere Richtung geht, können wir als gute Vorbilder und Eltern ein Auge drauf haben und ihnen mit offenem Herzen begegnen, statt sie zu verurteilen. 

Was hat dein Kind schon ehrlich peinliches von sich gegeben? Schreibt gern Kommentare dazu.

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Quellen

Veröffentlicht von Nina Gaglio

Nina ist Mama eines Grundschulkindes und seit 25 Jahren leidenschaftliche Reporterin und Redakteurin. Angefangen hat alles beim Fernsehen, wo Nina neben ihrem Germanistik, Anglistik und Medienwissenschaften Studium erste Erfahrungen sammeln konnte und dann 12 Jahre blieb. Danach kam viel PR und der Onlinejournalismus dazu. Familien- und Kinderthemen und die Arbeit mit Experten aus diesen Bereichen gehörte auch zum Redaktionsalltag. Und so war es nur logisch, dass Nina nach dem Mutterwerden auch für Parenting-Magazine schrieb.