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Bedürfnisorientierte Erziehung: Was steckt hinter dem Hype?

Beduerfnisorientierte Erziehung
Immer mehr Eltern leben die bedürfnisorientierte Erziehung / Bild © rastlily, Adobe Stock

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Immer mehr Familien leben bedürfnisorientierte Erziehung! Doch was hat es mit dieser Erziehungsmethode eigentlich auf sich? Wir räumen mit allen Mythen auf, üben Kritik und geben Tipps zur realistischen Umsetzung!

Das Wichtigste in Kürze

  • Bedürfnisorientiert heißt nicht „Dauer-Ja-Sagen“! Es ist ein Mittelweg aus Grenzen und Bedürfnissen aller Familienmitglieder.
  • Die Herausforderung ist die Umsetzung in der Praxis. Wir sprechen hier Empfehlungen aus.
  • Bedürfnisorientierte Erziehung ist eine Abwandlung vom amerikanischen Säuglings-Erziehungsstil „Attachment Parenting“ (Bindungsorientierte Elternschaft). Das Ziel war ursprünglich die Verbesserung der Mutter-Kind-Beziehung.

Bedürfnisorientierte Erziehung – Was ist das?

Längst ist klar: Die alten Erziehungsmethoden haben langsam ausgedient. Wenn du in den sozialen Medien unterwegs bist, wird dir aufgefallen sein, dass sich dort zurzeit ein Begriff wiederholt: Bedürfnisorientierte Erziehung. Eltern, die sich dieser Methode bedienen, versuchen, die Signale ihres Kindes richtig zu verstehen und darauf reagieren. Das soll vor allem die Bindung verbessern. Aber was steckt eigentlich hinter dem Hype?

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Was will Bedürfnisorientierung?

Wir empfehlen Eltern, die Mottos der bedürfnisorientierten Erziehung zu verinnerlichen, um den Gedanken dahinter zu verstehen. Das sind etwa:

  • „Alle Gefühle des Kindes sind wichtig und richtig, egal ob sie für mich schwer oder leicht auszuhalten sind.“
  • „Ich versuche, die Signale des Kindes zu verstehen und das Bedürfnis dahinter zu erkennen, damit ich darauf reagieren kann. Ich handele immer je nach Situation und beachte auch das Lebensjahr des Kindes.“
  • „Meine Bedürfnisse und Grenzen sind genauso wichtig wie die meines Kindes. Das gilt auch für alle anderen Familienmitglieder.“
  • „Wenn wir nicht weiter kommen, suchen wir nach Kompromissen und überlegen, was gerade am wichtigsten ist. Daraus können auch mal unschöne Gefühle oder Konflikte entstehen. Durch Gespräche können wir das lösen.“

Wie sie wirklich funktionieren kann

Wenn Eltern das Bedürfnis hinter den Gefühlen des Kindes verstehen, kann bedürfnisorientierte Erziehung funktionieren. Eine gute Eltern-Kind-Beziehung mit wertschätzendem Umgang macht hier den Unterschied.

Beispiel: Wutanfall in der Öffentlichkeit

  • Das Kind schmeißt sich nach der Kita im Supermarkt wütend auf den Boden und schreit. Mögliches Bedürfnis dahinter: Das Kind ist überfordert und müde. Es braucht nach dem anstrengenden Kita-Tag Ruhe.
  • Anstatt zu sagen „Hör auf zu weinen!“, sprechen Eltern in der bedürfnisorientierten Erziehung das mögliche Bedürfnis hinter dem Gefühl „Wut“ an: „Kann es sein, dass du nach Hause möchtest?“
  • Je nachdem, wie das Kind reagiert, können Eltern jetzt einen Kompromiss vorschlagen, der das Bedürfnis stillt. Beispiel: „Ich bezahle eben und dann legen wir uns zu Hause direkt in die Kuschelecke, in Ordnung?“

Beispiel: Grenzen setzen

Bedürfnisorientierte Erziehung ist keine Erziehung ohne Regeln. Vielmehr geht es darum, dass über gute Absprachen im Familienalltag alle Bedürfnisse Platz haben. Konflikte und Kompromisse lassen sich hierbei nicht vermeiden und gehören dazu. Auch die Grenzen der Eltern sollten einbezogen werden. Und eine Grenze kann aus Eltern-Sicht natürlich auch sein, dass du ein Bedürfnis des Kindes mal nicht erkennen oder erfüllen kannst:

  • Du bist krank. Dein Kind kommt zu dir ins Bett und ist quengelig. Es möchte auf den Spielplatz. Du verneinst das, denn deine Grenze ist erreicht. Dein Kind beginnt vor Wut zu schreien.  
  • Hier wäre der Kompromiss, dass eine andere Bezugsperson der Familie mit dem Kind auf den Spielplatz geht, auch wenn dies das Bedürfnis des Kindes nicht stillt.

WICHTIG: Neben der Erfüllung der individuellen Bedürfnisse darf das Kind auch lernen, was es bedeutet, Teil eines sozialen Miteinanders und des gesellschaftlichen Lebens zu sein.

In einer Gruppe von Menschen (wie Familie oder Kita-Gruppe) ist es eben nicht realistisch, dass jedes Bedürfnis immerzu richtig und unmittelbar erfüllt wird. Eher umsetzbar ist ein gegenseitiges Verständnis und das Bemühen darum.

Mehr zum Thema

Muss ich jetzt ständig „Ja“-sagen?

Bedürfnisorientierte Erziehung hat nichts mit einem „Dauer-Ja-Sagen“ zu tun. Es geht im Sinne darum, die Bedürfnisse des Kindes zu verstehen. Dafür müssen Eltern Bedürfnisse von Wünschen unterscheiden lernen.

Bedürfnis vs. Wunsch

Ein Bedürfnis sichert das langfristige Überleben des Kindes. Die Grundbedürfnisse sind etwa:

  • Das Kind hat Hunger oder Durst.
  • Es muss auf die Toilette.
  • Das Kind ist müde und muss schlafen.
  • Die Liebe der Bezugspersonen: In der Regel sind das die Mutter und der Vater. Das kann aber auch die Tante oder der Partner des Vaters sein, je nachdem, wer dem Kind nach der Geburt am meisten Zuwendung und Aufmerksamkeit schenkt.

Weitere Bedürfnisse eines Kindes können sein:

Das Bedürfnis nach …

  • Ruhe. Das Kind ist nach der Kita plötzlich weinerlich und wirkt ungehalten, aber verneint jeden Spiel-Vorschlag, den du ihm machst.
  • Geborgenheit. Dein Kleinkind hängt beim Kinder-Turnen an deinem Rockzipfel und kann dich nur schwer gehen lassen.
  • Nähe. Das Kind klettert auf deinen Schoß und umarmt dich, während du gerade im Arbeitszimmer am Laptop bist. Es fordert Körperkontakt ein. 
  • Eigenständigkeit (Autonomie). Du schneidest dem Kind seine Banane in zwei Hälften und es wird wütend, weil es das selbst machen wollte. 

Die Wünsche des Kindes ergeben sich wiederum aus Interessen, Vorlieben und Fähigkeiten. Sie können erfüllt werden, müssen sie aber nicht, da sie nicht überlebensnotwendig sind. Wir geben dir einige Beispiele, wie du die Unterscheidung zwischen Wunsch und Bedürfnis üben kannst:

Beispiele: Wunsch oder Bedürfnis?

  • „Ich brauche ein neues Kuscheltier!“: Das ist ein nicht überlebensnotwendiger Wunsch, wenn das Kind schon viele Kuscheltiere hat. Wenn das Kuscheltier allerdings ein neuer Begleiter für die Kita sein soll, weil die Eingewöhnung für Albträume sorgt, kann dahinter auch das Bedürfnis nach Geborgenheit und Sicherheit stecken.
  • „Ich will heute nicht bei Oma schlafen, ich will bei euch bleiben!“: Hier sollten Eltern hinhören, wie das Kind diesen Satz sagt und auf jeden Fall noch mal nachfragen. Wenn etwas vorgefallen ist, äußert das Kind hier seine Grenze und das Bedürfnis nach Nähe durch MaPa. Diese Grenze sollte auf jeden Fall geachtet werden.
  • „Ich will einen Schokoriegel!“: Auch hier ist die Situation entscheidend. Hatte das Kind schon sein Mittagessen und wünscht sich jetzt einfach noch etwas Süßes? Dann bleibt die Wunscherfüllung dir überlassen. Oder hat es sich gerade viel bewegt? Vielleicht ist es dann eher das Bedürfnis „Hunger“.

Du siehst, der Unterschied ist immer von der Situation abhängig. Eltern müssen wachsam sein und über das Hinterfragen herausfinden, was ein Bedürfnis oder einen Wunsch ist. Das klappt, wenn Eltern …

  1. Die Signale für Bedürfnisse erkennen. Dafür braucht es Übung und Geduld. 
  2. Realistisch bleiben: Du wirst dein Kind auch mal falsch verstehen, Bedürfnisse nicht stillen, lauter werden oder einen Wunsch erfüllen, der kein Bedürfnis ist. All das ist okay.
  3. Auf Augenhöhe sprechen: Zuwendung, Nähe und Aufmerksamkeit vermitteln deinem Kind deine Liebe und dein ehrliches Interesse. 

Bedürfnisorientierte Erziehung: eine Kritik

Viele Eltern haben Angst, dass das Verhalten des Kindes durch die bedürfnisorientierte Erziehung völlig aus dem Ruder läuft. Das ist auf jeden Fall möglich, wenn der Ansatz missverstanden wird. Kritisch sehen wir etwa diese Punkte hier:

  • Das Kind lernt (je nach Umsetzung vom Konzept) nicht, sich in einer Gruppe anzupassen und eigene Bedürfnisse auch mal zurückzustellen.
  • Es sieht sich als Mittelpunkt der Welt und hat nicht gelernt, dass die Bedürfnisse der anderen genauso wichtig sind wie seine eigenen. Daraus können sich Grenzenlosigkeit, Größenwahn und Gleichgültigkeit entwickeln.
  • Bei falscher Anwendung lernt das Kind unter Umständen nicht, wie es mit Frust, Wut, Ärger und anderen schweren Gefühlen umgehen soll.
  • Eltern sind keine Maschinen! Es ist nicht realistisch, dass jedes Bedürfnis sofort richtig erkannt und erfüllt wird und auch das ist in Ordnung. 

Du siehst, wie so vieles im Leben gibt es auch hier zwei Seiten. Wichtig für dich als Elternteil ist, was für dich und alle anderen Familienmitglieder langfristig umsetzbar ist. Das ist die große Herausforderung bei diesem Erziehungsstil. Das Wohlbefinden deines Kindes sollte bei all diesen Überlegungen immer an erster Stelle stehen, damit es sich zu einem glücklichen Menschen entwickeln kann.

Produktempfehlungen: Buch, Podcast und Film

Falls du dich mehr zum Thema informieren möchtest, haben wir hier einen Buch-, Podcast- und Film-Tipp zu bedürfnisorientierter Erziehung für dich.


In unserem Babelli-Podcast „Von Anfang an dabei“ sprechen wir jede Woche über Themen, die in der bedürfnisorientierten Erziehung ebenfalls wichtig sind. Schau doch gerne mal vorbei und abonniere ihn, um keine Folge zu verpassen!

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Ansonsten empfehlen wir dir von Herzen den Film „Good Enough Parents“, der die Eltern-Kind-Bindung noch mal näher erklärt. Du kannst ihn über vimeo.com kaufen und streamen. Hier findest du den Trailer dazu:

Bedürfnisorientierte Erziehung: Vom Ursprung ins Heute

In den 1980er Jahren entwickelten die Amerikaner Martha und William Sears den Erziehungsstil „Attachment Parenting“ (Bindungsorientierte Elternschaft). Er bezog sich eher auf die Verbesserung der Mutter-Kind-Bindung im Säuglingsalter. Mittlerweile wurde das Konzept zu „bedürfnisorientierter Erziehung“ für den Alltag mit Kleinkind und Kind abgewandelt und auch auf die Vater-Kind-Bindung übertragen.

Damals legte das Ehepaar die „7 B’s“ fest:

  • 1. Bindung nach der Geburt: Nähe, Schutz und Liebe von MaPa
  • 2. Brust geben: Sofern das geht.
  • 3. Babytragen benutzen: Das Baby möglichst körpernah umhertragen.
  • 4. Bett teilen: Baby im selben Bett schlafen lassen oder im Beistell-Bett.
  • 5. Babylaute verstehen (lernen): Dafür das Baby nicht „schreien lassen“, sondern reagieren.
  • 6. Babys Schlafenszeiten nicht vorgeben: Kein Schlaftraining machen, sondern intuitiven Schlaf fördern.
  • 7. Balance und eigene Grenzen: Eigene Grenzen und Auszeiten nehmen und sich mit dem Partner abwechseln.

Der Schlüssel von bedürfnisorientierter Erziehung heute ist: Auf Augenhöhe mit dem Kind zu sein, Gefühle anzuerkennen, Grenzen zuzulassen und Konflikte über Kompromisse zu lösen. Dadurch lassen sich die Bedürfnisse des Kindes und aller anderen Familienmitglieder erfüllen und natürliche Alternativen zu Strafen, Schimpfen, „Stille Treppe“ und Schreien finden.

Für Eltern ist es wichtig, sich vorab gründlich zu informieren und zu fragen, ob dieser Erziehungsstil für die Familie langfristig und realistisch möglich ist. Denn es gibt neben vielen Vorteilen natürlich auch die genannten Nachteile.

Wie stehst du zu bedürfnisorientierter Erziehung? Wir freuen uns über den Austausch! Hinterlasse uns gern einen Kommentar!

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Quellen

  • Graf, Danielle, Seide, Katja (2016). Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn. Der entspannte Weg durch Trotzphasen (12. Auflage 2017). Weinheim Basel: Verlagsgruppe Beltz.
  • Largo, Remo H. (2016). Babyjahre. Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren (18. Auflage). München/Berlin: Piper Verlag GmbH.
Veröffentlicht von Leonie Illerhues

Leonie war nach ihrem Studium der Heilpädagogik lange im Schulhort-, Kita- und Krippenbereich tätig. Erziehungs- und Entwicklungsthemen im Baby- und Kleinkindalter sind deshalb ihr Steckenpferd. Seit 2022 ergänzt Leonie unser Team mit diesem Schwerpunkt.

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