Das ausgesprochen niedliche Babybuch „Bist du meine Mama?“ handelt von einem Küken, das frisch geschlüpft loszieht, um seine Mama zu suchen. Beim Suchen trifft es allerlei Tiere, die ihm helfen möchten. Am Schluss findet es die Mama – beim Wäsche Aufhängen. Wie schön! Die Mama herzt ihr Küken und auch der Papa stößt jetzt ein Freudenkikeriki aus. Friede Freude Eierkuchen auf dem Bauernhof.
Auch kleine Menschenbabys suchen nach der Geburt nach einer vertrauten Person, die ihr Schutz, Wärme und Geborgenheit schenkt. Bleibt nur zu hoffen, dass die nicht gerade mit Wäsche aufhängen beschäftigt ist. Denn der Moment kurz nach der Geburt, in dem ein Baby zum ersten Mal Haut an Haut bäuchlings auf seiner Mama und in ihren Armen liegt, ist elementar für beide. Durch das sogenannte Bonding wird das erste Band einer tiefen Verbindung zwischen Mutter und Kind geknüpft.
Ein Feuerwerk der Hormone
Wie sehr Neugeborene diese ersten zärtlichen Berührungen brauchen und genießen, zeigt ihre körperliche Reaktion. Das Bonding in den ersten Stunden nach der Geburt senkt ihren Blutzuckerspiegel, stabilisiert ihre Körpertemperatur und vermindert das Risiko einer Neugeborenengelbsucht. Das freigesetzte Dopamin hilft dem Baby schließlich, eine starke Beziehung zu seinen Eltern aufzubauen. Babys, die in den ersten Stunden ausgiebig mit ihren Müttern kuscheln dürfen, nehmen auch schneller zu. Dies ist allerdings auf die körperliche Reaktion der Mutter zurückzuführen. Denn auch bei ihr entfachen die Kuschelstunden ein hormonelles Feuerwerk. Das Liebeshormon Oxytocin ist maßgeblich an der Milchbildung beteiligt und wird immer beim Stillen aktiviert. Außerdem hilft es der Mama, eine Beziehung zu ihrem Baby aufzubauen.
Aus Bonding wird Beziehung
Der Begriff Bonding stammt aus der Bindungstheorie und bedeutet so viel wie „eine Verbindung herstellen“. Von der tiefen Verbindung zwischen Babys und ihren Eltern profitiert nicht nur die Eltern-Kind-Beziehung. Sie wirkt sich auch auf alle weiteren Beziehungen aus, die der kleine Mensch in seinem Leben eingehen wird. Denn je mehr Vertrauen, Sicherheit und Einfühlungsvermögen ihm als Baby entgegengebracht wird, desto mutiger und sicherer geht es in die Welt hinaus. Sicher gebundene Babys erkunden ihre Umwelt neugierig und fürchten sich nicht vor Neuem. Sie suchen nach Herausforderungen und haben einen positiven Blick auf sich und andere. Später wird es ihnen leichter fallen, Kontakte zu knüpfen und neue Personen in ihren Bekanntenkreis aufzunehmen.
So klappt das Bonding nach der Geburt
Nach der Geburt sind es Gerüche und Berührungen, durch die ein Neugeborenes ein Zugehörigkeitsgefühl entwickelt. Daher solltest du dein Baby sobald wie möglich nach der Geburt auf deinen nackten Oberkörper legen oder es zum Stillen anlegen. Babys, die auf dem Bauch ihrer Mama liegen, fangen automatisch an, nach der Brustwarze zu suchen und bewegen sich in diese Richtung.
Mindestens eine Stunde lang sollten Mütter und Neugeborene Zeit zum Kuscheln haben. In vielen Kreißsälen dürfen sie sogar länger bleiben. Da die Ausschüttung von Oxytocin hilft, Wehen für die Geburt der Plazenta zu produzieren und gleichzeitig die Milchbildung anregt, sollte die erste Kontaktaufnahme zwischen Mama und Baby stattfinden. Danach kann natürlich auch der Partner sein Baby in die Arme nehmen. Am besten auch ohne Shirt direkt auf den nackten Bauch.
Da dein Baby kurz nach der Geburt zum ersten Mal überhaupt seinen Geruchssinn spürt und es vor allem deinen „echten Geruch“ und den der Milch wahrnehmen möchte, solltest du auf Parfums und stark riechende Deos verzichten.
Verpatzter Start
Hatte die Mutter einen Kaiserschnitt, wegen derer sie ihr Baby nicht sofort in den Arm nehmen kann oder muss das Baby vorerst zur ärztlichen Untersuchung, fehlt die erste innige Berührung. Doch eine Beziehung baut sich nicht in einem einzigen Moment auf. Das Bonding kannst du als Prozess verstehen, der sich entwickelt und noch über das erste Lebensjahr hinweg dauert.
Ist es nicht möglich, dein Baby gleich nach der Geburt anzulegen, wird die Hebamme dir helfen, dies schnellstmöglich nachzuholen. Auch Frühchen werden heutzutage auf den nackten Oberkörper ihrer Eltern gelegt, sobald sie stabil genug sind. Die sogenannte „Känguru-Methode“ wurde ursprünglich aus einer Not heraus entwickelt und in Gegenden angewendet, in denen es zu wenige Inkubatoren für Neugeborene gab. Heute weiß man, dass dieser innige Kontakt weitreichende positive gesundheitliche Auswirkungen hat.
Bonding ist keine Sache, die im Krankenhaus passiert. Sicherheit, Stabilität, Geborgenheit sind Gefühle, die wachsen. Mit der Zeit, mit jeder Berührung, mit jedem aufmerksamen Blick, mit jedem verletzlichen Moment wird das Band zwischen dir und deinem Baby stärker. Deshalb solltest du dir auch im Wochenbett und darüber hinaus so viel Zeit wie möglich nehmen, um ausgiebig Haut an Haut mit deinem Baby zu kuscheln.
Bonding nach Kaiserschnitt
Ein Kaiserschnitt oder andere Interventionen unter der Geburt bedeuten aber nicht immer einen Verzicht auf diese verbindenden ersten Minuten und Stunden. Viele Kliniken verwenden heute bei einem Kaiserschnitt ein Bonding Tuch. Dieses schalartige Schlauchtuch zieht die werdende Mama vor der Operation wie einen BH an. Nach der Sectio wird das Baby in dieses kuschelige Tuch direkt auf Mamas Brust gelegt.
Alternativ kann natürlich auch der Partner mit dem Baby bonden, wenn die Mutter durch die Geburt überlastet ist.
Wie entsteht Urvertrauen
Gerade am Anfang sind körperliche Nähe und Berührungen für dein Baby wichtig, um sich geborgen zu fühlen und Vertrauen aufzubauen. Dein Baby ist allein kaum überlebensfähig und braucht Personen, die es rund um die Uhr beschützen und versorgen. Spürt dein Baby regelmäßig durch deinen Körper, dass du bei ihm bist, hat es diese Sicherheit.
Genauso wichtig für dein Baby ist, dass seine anderen Bedürfnisse möglichst zeitnah befriedigt werden: Hunger, Wärme, Schlaf, Ausscheidungen oder auch Aufmerksamkeit. Mit der Zeit wirst du lernen, die Signale deines Babys zu deuten und immer besser darin werden, seine Bedürfnisse zu erkennen. Mit der Zeit wird auch dein Baby lernen, dass seine Eltern wirklich immer kommen, wenn es nach ihnen ruft. Es wird lernen, dass es geliebt wird, egal ob es weint oder lacht. Es wird sich das Lächeln einprägen, mit dem es begrüßt wird und die freundlichen Stimmen, die es umgeben, unterbewusst in sich aufnehmen. Und all diese kleinen Puzzleteile werden seine Sicht auf die Welt, die Menschen und seinen Platz zwischen ihnen beeinflussen.
Gerade im ersten Lebensjahr kannst du dein Baby nicht verwöhnen. Anders als noch die Generation vor uns wissen wir heute, dass Babys nicht durch „Abhärtung“ stark werden, sondern dadurch, dass wir verlässlich und prompt auf ihre Bedürfnisse reagieren.
Das kannst du tun, um dich mit deinem Baby zu verbinden
- Ganz viel kuscheln
- Es auf dem Arm oder in der Trage tragen
- Schnell auf sein Schreien reagieren
- Es trösten (auch wenn du nicht weißt, was es bedrückt)
- Es nach Bedarf (und nicht nach der Uhr) stillen oder füttern und schlafen lassen
- Ihm deine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken
- Seine Signale aufmerksam beachten und mit der Zeit entschlüsseln lernen
- Mit ihm Spielen
- Es ansehen! Schau deinem Baby oft in die Augen und spiele mit ihm Grimassen schneiden. Es wird diese Aufmerksamkeit viel mehr genießen als ein Spielzeug.
- Ihm Vertrauen entgegenbringen und es ermutigen
- Es nicht allein lassen. Sag immer Bescheid, wenn du den Raum verlässt oder nimm dein Baby einfach mit.
- Die Körperpflege respektvoll, einfühlsam und mit ausreichend Zeit ausführen. Kommentiere, was du tust, geh auf mögliches Unbehagen deines Babys ein.
1000 Chancen
Es gibt ruhige und es gibt nervöse Babys, es gibt die sogenannten „Anfängerbabys“ und dann gibt es „Schreibabys“, die scheinbar niemals zufrieden sind. Es gibt Babys, die tagein tagaus stillen möchten und solche, die mit ein paar Fläschchen am Tag ganz zufrieden sind. Nicht nur das! Auch alle Eltern sind unterschiedlich und gehen ganz anders mit den Herausforderungen des Elternseins um. Egal, wie unterschiedlich: Alle haben die Chance, innige Beziehungen zu ihren Kindern aufzubauen. Denn es sind nicht einzelne Momente oder bestimmte Rituale wie das Stillen allein, die Bonding möglich machen. Es ist die Summe aller elterlichen Bemühungen.
Gerade am Anfang sind es vor allem die körperlichen Bedürfnisse des Babys, die zuerst gestillt werden müssen. Häufig haben daher auch Mütter durch das Stillen den stärkeren Kontakt zu ihren Babys. Aber auch pflegerische Tätigkeiten wie das Windeln wechseln, Baden, Massagen sind intime Momente zwischen Baby und Eltern. Diese kann auch der Partner für die Kontaktaufnahme nutzen. Ein paar Monate später fängt dein Baby plötzlich an, dich anzulachen, zu spielen und Grimassen zu schneiden. All diese Situationen sind Chancen, in denen du auf dein Baby zugehen und ihm deine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken kannst.
Quellen
- Susanne Mireau: Geborgen Wachsen: Wie Kinder glücklich groß werden und Eltern entspannt bleiben, Kösel-Verlag; 4. Auflage vom 28. März 2016
- Viresha J. Bloemeke: Alles rund ums Wochenbett: Hebammenwissen für die ersten Monate nach der Geburt; Kösel-Verlag; 3. Auflage vom 25. Juli 2011
- Stillen-Institut.com: Die Bedeutung des direkten Hautkontakts für ALLE Neugeborenen
https://www.stillen-institut.com/de/die-bedeutung-des-direkten-hautkontakts-fuer-alle-neugeborenen.html (abgerufen am 23. Dezember 2020) - Herbert Renz-Polster: Mehr als Urvertrauen – Was Bindung ist und wie sie das Leben prägt
https://www.spielundzukunft.de/de-de/de_DE/content/blog-5014504/herbert-renz-polster-mehr-als-urvertrauen—was-bindung-ist-und-wie-sie-das-leben-praegt-8415 (abgerufen am 27. Februar 2019)