In einigen Bundesländern gab es im vergangenen Jahr mehr Meldungen von pädagogischem Fehlverhalten, das geht aus einer aktuellen Umfrage der Deutschen Presse-Agentur hervor.
Zum Essen zwingen, Anschreien, Demütigen und sogar körperliche Gewalt gegenüber Schutzbefohlenen: Das darf in Kindertagesstätten nicht passieren und gehört zu Gewalt gegen Kinder. Trotzdem scheint es mehr zu werden. Die Zahl der Meldungen solcher Vorfälle ist laut einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur in 2022 in einigen Bundesländern gestiegen.
Die aktuellen Zahlen aus der dpa-Umfrage:
- 82 Verdachtsfälle von sogenanntem übergriffigem Verhalten von Beschäftigten gegenüber Kindern sind dem Bildungsministerium in Brandenburg bekannt. Ein Jahr zuvor waren es noch 56 Fälle.
- 271 Fälle von pädagogischem Fehlverhalten und damit 46 mehr als im Jahr davor, sind im Rheinland in Nordrhein-Westfalen von Behörden in 2022 aufgelistet.
- Einer Umfrage des Bayerischen Rundfunks von Ende Dezember zufolge gab es auch in Bayern einen Anstieg, schreibt die Frankfurter Allgemeine (FAZ).
- In Baden-Württemberg sei 2021 die Zahl der Verdachtsfälle von körperlicher, seelischer, sexueller Gewalt oder Verletzungen der Aufsichtspflicht um 20 Prozent auf 330 gestiegen.
Bundesweite Zahlen liegen nicht vor
Die Vize-Vorsitzende des Kinderschutzbundes, Martina Huxoll-von Ahn bedauert in der dpa-Meldung: „Wir verfügen leider nicht über Zahlen, weil viel zu wenig geforscht wird.“ Auf dpa-Nachfrage teilte etwa das sächsische Sozialministerium mit, für das Landesjugendamt bestehe keine Verpflichtung zur statistischen Erfassung von Meldungen darüber, wie oft das Kindeswohl in Sachsens Kitas gefährdet war.
Ausmaß von Gewalt zu erfassen, ist für Experten ohne verlässliche Zahlen schwer
„Zu vermuten ist, statt Prügel oder Ohrfeigen wird psychische Gewalt angewendet – also Kinder niederbrüllen, erniedrigen, sozial isolieren“, sagt Martina Huxoll-von Ahn. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) steht seit dem 8. November 2000, dass Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben. Die Akzeptanz von Körperstrafen sei seitdem deutlich zurückgegangen, aber nicht ganz verschwunden.
Gewaltschutzkonzepte als Lösung
Um Fehlverhalten in Kindertagesstätten vorzubeugen, sind Kindergärten bundesweit gesetzlich dazu verpflichtet, sogenannte Gewaltschutzkonzepte zu haben. Diese helfen Gewalt zu verhindern oder geben vor, wie Fälle aufgearbeitet werden können. Laut Kinderschutzexperte Jörg Maywald, der Honorarprofessor für Sozial- und Bildungswissenschaften an der Fachhochschule Potsdam ist, sind solche Konzepte noch nicht flächendeckend umgesetzt worden: „Wir sind mitten in dem Prozess. Das ist von Bundesland zu Bundesland und auch von Träger zu Träger unterschiedlich“, berichtet Maywald.
Gewalt in Kindertagesstätten darf keinTabuthema mehr sein
Eine Ursache sei auch die Überforderung des Personals: „In Kitas haben wir das Problem eines eklatanten Fachkräftemangels. Solche Stresssituationen können Formen von Gewalt verschärfen“, erklärt Martina Huxoll-von Ahn vom Kinderschutzbund noch dazu. Der Kinderschutzexperte Maywald meint aber: „Wir haben schlecht ausgestattete Kitas, die hervorragende Arbeit leisten, andererseits relativ gut ausgestattete, die eine weniger gute Arbeit machen.“ Der Kinderschutzbund fordert mehr Sensibilisierung von Fachkräften und Eltern. „Wenn wir davon ausgehen, dass in jeder Kita, an jedem Tag Fehlverhalten vorkommt, dann darf das nicht tabuisiert werden, unter den Teppich gekehrt werden, sondern muss offensiv und frühzeitig angesprochen werden.“
Was Eltern tun können:
- Konzepte zur Prävention von Gewalt und Misshandlung erfragen und sich vor Kita-Eintritt geben lassen. Normalerweise sollte es ein Gewaltschutzkonzept und eine damit beauftragte Person pro Kita als Ansprechpartner vor Ort geben.
- Bei der Eingewöhnung das Kind gut begleiten und auf das eigene Bauchgefühl hören: Ist mein Kind hier gut aufgehoben? Kann ich jederzeit Zutritt zur Kita und in die Räumlichkeiten haben? Fragen, die aufkommen, offen stellen.
- Bei ersten Anzeichen: das Kind ernst nehmen und Bedenken immer mit dem Personal besprechen, möglichst frühzeitig. Hier ist GFK (Gewaltfreie Kommunikation) unglaublich wichtig, um niemanden vorzuverurteilen bei möglichen Missverständnissen. Auch zusätzliche Vertrauenspersonen oder Mediatoren können für Eltern hier hilfreich sein. Manchmal haben Kitas Supervisoren für solche Fälle.
- Auf erste Anzeichen achten: Kind zuckt bei ruckartigen Bewegungen, wirkt auffallend still, ängstlich, aggressiv – eigentlich jede nur erdenkliche emotionale Reaktion, die den Eltern auffällig scheint – auch übermäßige Albernheit oder Freude, kann ein Zeichen sein.
- Möchte das Kind plötzlich Dinge nicht mehr tun, die vorher kein Problem und sogar beliebt waren? Versuchen, darüber zu sprechen, ohne Druck auszuüben.
- Bei körperlichen Anzeichen sofort Hilfe suchen: sichtbare Verletzungen wie blaue Flecken, Blutergüsse, Abschürfungen, Brandwunden oder sogar Brüche können Anzeichen von Gewaltanwendung sein.
- Beobachtungen immer gut dokumentieren.
- Wenn das Kind etwas in der Richtung sagt, immer ernst nehmen bitte und den Elternbeirat informieren.
- Hilfe bei Fachleuten von Beratungsstellen suchen, notfalls auch anonym: Kinderschutzbund, Familien- und Erziehungsberatungsstellen, Jugendamt, Polizei.
Quellen
- faz.de: Wenn Kita-Kinder Gewalt ausgesetzt sind:
https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/wenn-kita-kinder-gewalt-ausgesetzt-sind-18877005.html (abgerufen am 09.05.2023) - Polizei-beratung.de: Kindesmisshandlung erkennen:
https://www.polizei-beratung.de/themen-und-tipps/gewalt/kindesmisshandlung/tipps/ (abgerufen am 09.05.2023) - Kinderschutzbund: Beratungsstellen:
https://kinderschutzbund.de/kontakt/#Beratungsstellen (abgerufen am 09.05.2023) - DER PARITÄTISCHE GESAMTVERBAND: gewaltschutzkonzepte als neue Pflichtaufgabe für betriebserlaubnsipflichtige Einrichtungen und als Auftrag an alle Angebote der Kinder- und Jugendhilfe:
https://www.der-paritaetische.de/themen/soziale-arbeit/kindertagesbetreuung/gewaltschutzkonzepte-als-neue-pflichtaufgabe-fuer-betriebserlaubnispflichtige-einrichtungen-und-als-auftrag-an-alle-angebote-der-kinder-und-jugendhilfe/ (abgerufen am 09.05.2023)