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Mehr Essstörungen bei Kindern: Was Eltern früh tun können

Kind mit pinken Socken steht auf einer Waage.
Immer mehr Kinder und Jugendliche sind von Essstörungen betroffen. Wir zeigen, worauf Eltern schon früh achten können ... / Bild © Maya Kruchancova, Adobe Stock.

Die Zunahme diagnostizierter Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen ist alarmierend. Was du als Elternteil schon früh tun kannst, um dein Kind bestmöglich davor zu schützen, erfährst du hier.

Essstörungen bei Kindern: Aktuelle Zahlen

Die DAK-Gesundheit Zentrale veröffentlicht jedes Jahr den Kinder- und Jugendreport. Im Jahr 2023 zeigte dieser eine erschreckende Zunahme der Diagnose „Essstörung“. Zu ähnlichen Ergebnissen kam die Kaufmännische Krankenkasse KKH: 

In Deutschland sind etwa 50.000 Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren von einer Essstörung betroffen, Mädchen statistisch gesehen deutlich häufiger als Jungen. Unter jugendlichen Mädchen im Alter von 15 bis 17 Jahren ist die Neuerkrankungsrate im Jahr 2022 im Vergleich zu 2019 sogar um 51 Prozent gestiegen.

Wobei die Dunkelziffer vermutlich deutlich höher ist. Denn die Zahlen spiegeln nur die ärztlich diagnostizierten Kinder und Jugendlichen wider. 

Zu Essstörungen zählen:

  • Magersucht (Anorexie; bis zu lebensbedrohlichem Untergewicht hungern)
  • Ess-Brech-Sucht (Bulimie; Erbrechen nach Essattacken und Abführmittel-Missbrauch)
  • Binge-Eating-Störung (unkontrollierbare Essattacken)
  • Orthorexie (krankhaft gesunde Ernährung)
  • gesundheitsschädliches Übergewicht (Adipositas, Fettleibigkeit)
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Folgen und mögliche Ursachen

Essstörungen können die Lebensqualität enorm beeinträchtigen und sogar tödlich sein, alleine 2017 starben 78 Menschen in Deutschland daran. Obendrein tritt eine Essstörung häufig auch mit anderen psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen oder Suchterkrankungen auf. Der Leidensdruck der Betroffenen ist extrem hoch. 

Klar ist: Wir sollten als Gesellschaft wachsam hinschauen, um diesem gefährlichen Anstieg entgegenzuwirken. Der Einfluss der sozialen Medien samt (Körper-)Vorbildern, Abnehm-Tipps, Fitness-Trends als Teil des Optimierungswahns des äußeren Erscheinungsbildes spielen bei der Entwicklung von Essstörungen im Kindes- und Jugendalter eine große Rolle. 
Hinzu kommen die Nachwehen der Pandemie-Zeit und individuelle Faktoren wie Leistungsdruck, Mobbing, familiäre Probleme oder traumatische Erlebnisse.

Doch was können Eltern von Kleinkindern schon heute tun, um das Essstörungs-Risiko ihres Kindes zu verringern? Wir empfehlen …

Was du schon früh tun kannst – 2 Schritte

1. Die eigene Beziehung zu Essen hinterfragen

Überlege, welche Beziehung du selbst eigentlich zum Essen hast und was du somit auch deinem Kind vorlebst. Häufig haben wir unbewusst übernommene Glaubenssätze unserer Vorfahren in uns, die uns gar nicht bewusst sind. 

Nimm dir hierfür gerne einen Moment für dich alleine und überlege:

  • Esse ich nach einem vorgegebenem Plan oder nach den Signalen meines Körpers?
  • Spüre ich, wann mein Körper Hunger und wann Appetit hat? 
  • Wenn ja, höre ich auf zu Essen, wenn ich satt bin? 
  • Esse ich, wenn ich hungrig bin? 
  • Unterteile ich Lebensmittel in „gut“ und „böse“?
  • Gibt es Lebensmittel, die ich mir verbiete, meinem Kind aber erlaube und umgekehrt?
  • Denke ich, mit meinem Körper stimmt etwas nicht und er sollte „anders“ aussehen, als er es tut? Warum glaube ich das?

Meist ist der erste Gedanke, der dir bei einer Frage in den Kopf schießt, genau der Richtige. Selbst wenn dir zunächst nichts kommt, nimm die Fragen ruhig mit in deinen Alltag und beobachte dich mal von außen selbst, etwa während du isst oder dich im Spiegel betrachtest. 

Wenn du ungesunde Glaubensmuster über das Essen ablegen möchtest, ist das ein kraftvoller Schritt, für dich und dein Kind. Gleichzeitig wird dieser Prozess viel Energie von dir abverlangen. Gehe deshalb milde mit dir voran.

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Was du ansonsten schon früh tun kannst, um deinem Kind ein gesundes Essverhalten vorzuleben …

2. Das natürliche Essverhalten des Kindes ansprechen

Konkret bedeutet das …

  • Lass dein Kind, wenn möglich, selbst das Essen auf seinen Teller hieven. So bekommt es ein Gefühl für die Portionen, die sein Körper braucht, um sich selbst zu sättigen. Es macht hier außerdem wichtige Erfahrungen, die seine Ernährungsmuster prägen. Obendrein kann es sich so viel besser mit seiner Nahrung verbinden. Falls dein Kind noch zu jung dafür ist, gib ihm zunächst kleine Portionen und biete ihm mehr an, wenn es noch Hunger hat. 
  • Sprich das natürliche Hunger- und Sättigungsgefühl deines Kindes an. Frage aktiv: „Was sagt dein Bauch? Braucht er noch was? Hat er noch Hunger oder ist er satt?“ So lernt dein Kind, auf die Signale seines Körpers zu hören und diesen zu vertrauen. 
  • Vertraue dem Körper deines Kindes: Vielleicht kennst du das, dass es Tage gibt, wo du extrem viel Hunger hast und dann wieder Tage, an denen du kaum etwas isst. So ist es auch bei deinem Kind. Sofern das Ganze nur phasenweise vorkommt, brauchst du dir keine Sorgen zu machen. 
  • Lass dein Kind so viele Lebensmittel probieren wie möglich. Allerdings nur dann, wenn es das auch möchte. Am besten lebst du das Ganze vor, indem du selbst abwechslungsreich und vielfältig einkaufst und isst. Gerne kannst du das Ganze auch sprachlich benennen: „Der Brokkoli schmeckt knackig, oder?“ 
  • Was landet in deinem Einkaufswagen? Das, was du einkaufst, wird dein Kind auch essen. Um das natürliche Essverhalten deines Kindes zu fördern, kaufe also abwechslungsreich, ausgewogen und vor allem hauptsächlich gesunde Lebensmittel ein. So lebst du auch automatisch vor, was wertvolle, nährstoffreiche Lebensmittel sind und was Genussmittel sind. 
  • Über nahrhaftes Essen sprechen: Sobald dein Kind im Kita-Alter ist, kannst du gerne mit ihm über die Lebensmittel sprechen, die sättigend und lecker sind und zudem gesund für den Körper. Und diese, die nicht ganz so gesund sind, die der Mensch sich aber gelegentlich erlauben darf, wenn er Lust darauf hat. Aber Achtung: Werde bei deinen Erklärungen nicht zu wertend oder kategorisierend! Gesunde Ernährung sollte Spaß machen. Lebe deinem Kind keine zwanghafte Fixierung auf ausschließlich gesunde Lebensmittel vor, das erhöht wiederum das Essstörungs-Risiko (vor allem in Richtung Orthorexie).
  • Tabus und Verbote áde! Essen ist nicht „gut“ oder „böse“ –  Essen ist in erster Linie Energie. Dein Kind darf lernen, dass es neben alltäglichen Lebensmitteln auch Genussmittel wie Süßigkeiten gibt, an denen man sich nicht satt isst. Erkläre deinem Kind, dass sie ein Genuss-Snack nach der Mahlzeit sind. Wenn du gesündere Alternativen aus dem Drogeriemarkt besorgst oder die Menge der Süßigkeiten vorab einschränkst, bist du hier auf der sicheren Seite. Denn: Ja, auch Genussmittel tun Körper und Seele in Maßen gut.
  • Dränge dein Kind niemals zum Essen! Wann, womit und wie viel der Energie-Tank deines Kindes aufgefüllt werden muss, das weiß sein Körper ganz genau. Dein Kind teilt es dir mit, sofern du ihm dieses Gefühl nicht (aus Versehen) abtrainierst. Und ja, manchmal ist das dann um 19 Uhr vor dem Zubettgehen oder im Auto auf dem Weg zum Kinderturnen, obwohl ihr zuvor reichlich Mittagessen hattet. Und für diese Fälle empfehlen wir …
  • Gesunde Snacks parat haben: Obst ist nicht nur unglaublich lecker, sondern auch nährstoffreich – Banane, Apfel und Co. eignen sich prima als Snacks, falls dein Kind unterwegs Hunger bekommen sollte. Ansonsten sind auch zuckerarme Müsliriegel aus der Babyabteilung im Drogeriemarkt eine gute Zwischenmahlzeit. 
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Warum du dein Kind nicht zu 100 % schützen kannst

Essstörungen sind psychische Erkrankungen. Ihre Entwicklung hängt von verschiedenen Faktoren ab (wie oben benannt: Umwelteinflüsse, Medien, individuelle Erfahrungen usw.). 

Du legst die Basis für viele Lebensumstände deines Kindes. Dennoch ist dein Kind eine eigenständige Person mit individuellen Erfahrungen und Lebensweg. Selbst, wenn du deinem Kind eine gesunde Esskultur vorlebst, kann es später immer noch eine Essstörung entwickeln.

Das ist als Elternteil natürlich nicht einfach anzunehmen, allerdings ist es ein Teil dieses Lebens. Nicht alles, was deinem Kind widerfährt, kannst du abwenden.

Falls es aktuell noch keinen signifikanten Grund dazu gibt, brauchst du dir keine Sorgen um die Zukunft deines Kindes zu machen. Beobachte dein Kind weiterhin aufmerksam, vor allem seine Beziehung zum Essen, zu seinem Körper und zu sich selbst.

Falls du bei deinem Kind ein essgestörtes Verhalten vermutest

Wenn du ein essgestörtes Verhalten oder ungesundes Körper- oder Selbstbild bei deinem Kind beobachtest, solltest du mit ihm unmittelbar zur Kinderarztpraxis, um das Ganze abklären zu lassen. Je früher du dort deine Bedenken ansprichst, desto besser kann deinem Kind geholfen und eine Essstörung womöglich abgewendet werden.

Falls tatsächlich eine Essstörung oder Tendenz dazu bei deinem Kind vermutet wird, wirst du von der Kinderarztpraxis in der Regel (zusätzlich) an eine Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie-Praxis weitergeleitet. Hier wird mit fachlichen Methoden nach der möglichen Ursache gesucht. Obendrein werden ungesunde Glaubens- und Verhaltensmuster erkannt und begleitet. Auch ihr als Familie werdet beraten und unterstützt. 

Was bei diesem Thema deutlich wird …

Insgesamt ist das Thema „Essstörung“ sehr komplex. Ob dein Kind im Verlauf seines Lebens eine Essstörung entwickelt oder nicht, kannst du nicht wissen. 

Sofern du dir deiner eigenen Glaubenssätze über das Essen bewusst wirst und diese veränderst – falls sie ungesund sind – schaffst du eine optimale Basis für ein ausgewogenes Essverhalten. Achte ansonsten auch auf die Art der Medien, die dein Kind konsumiert und vor allem, welches Bild über Essen und den Körper hier vermittelt wird. Wenn dir etwas zu einseitig vorkommt, sprich mit deinem Kind über die dort vermittelten Ideale und hinterfrage sie mit ihm gemeinsam. 

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Quellen

  • Bürgin, Dieter (1993). Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter. Stuttgart: Gustav Fischer Verlag.
  • Caby, Filip und Andrea (2011). Die kleine psychotherapeutische Schatzkiste. Tipps und Tricks für kleine und große Probleme vom Kindes- bis zum Erwachsenenalter. (2. Auflage). Dortmund: Borgmann Media.
  • Dilling, Horst, Freyberger, Harald J. (2016): ICD-10. Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen. (8. Auflage). Hogrefe Verlagsgruppe.
    Greving, Prof. Dr. Heinrich, Ondracek, Prof. Dr. Petr (2010): Handbuch Heilpädagogik. (2. Auflage) Troisdorf: Bildungsverlag EINS GmbH.
  • Lück, Sabine (2023). Vererbtes Schicksal. Wie wir belastende Familienmuster überwinden und unser wahres Potenzial befreien. München: Kailash Verlag.
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Ref. Q5 – Kinder und Heranwachsende, Schule und Kita, Laienreanimation (2023): Wie häufig sind Essstörungen? https://www.bzga-essstoerungen.de/was-sind-essstoerungen/wie-haeufig-sind-essstoerungen/ (abgerufen am 15.05.2024).
  • DAK-Gesundheit Zentrale (2023): DAK-Kinder- und Jugendreport 2023. Gesundheit und Gesundheitsversorgung während und nach der Pandemie. Datenzeitraum: 2017-2022. https://caas.content.dak.de/caas/v1/media/45534/data/b14be3b0db47242833904ba75c5239cb/dak-kinder-und-jugendreport-2023-report.pdf (abgerufen am 15.05.2024).
  • Deutscher Ärtzeverlag GmbH (2023): Essstörungen nehmen zu. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/142915/Essstoerungen-nehmen-zu. (abgerufen am 15.05.2024).
Veröffentlicht von Leonie Illerhues

Leonie war nach ihrem Studium der Heilpädagogik lange im Schulhort-, Kita- und Krippenbereich tätig. Erziehungs- und Entwicklungsthemen im Baby- und Kleinkindalter sind deshalb ihr Steckenpferd. Seit 2022 ergänzt Leonie unser Team mit diesem Schwerpunkt.

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