Close Babelli.deBabelli.de

Klischeefrei: Wie Eltern mit geschlechtsneutraler Erziehung die Welt verändern

Geschlechtsneutrale Erziehung
Ein geschlechtersensibler Umgang mit dem Kind kann so einiges bewirken ... / Bild © Rawpixel.com, Adobe Stock

Vielleicht ist dir in letzter Zeit immer mal wieder die „geschlechtsneutrale Erziehung“ begegnet – wenn du erfahren möchtest, was das ist, wie sie realistisch aussehen kann und warum du damit die Welt verändern kannst, solltest du jetzt unbedingt weiterlesen …

Die Zweigeschlechtlichkeit

Um zu verstehen, was es mit geschlechtsneutraler Erziehung auf sich hat, schauen wir kurz auf die Hintergründe der Bewegung: 

Unsere Welt ist geprägt vom Gedanken der Zweigeschlechtlichkeit. Das bedeutet, dass zum Zeitpunkt der Geburt anhand des biologischen Geschlechts, mit dem das Kind geboren wird, festgelegt wird, ob es sich bei dem Neugeborenen um einen Jungen oder ein Mädchen handelt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom “bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht”, das sich am körperlichen Geschlechtsmerkmal orientiert. 

Was mit dieser Zweigeschlechtlichkeit einhergeht:

Dem 2-jährigen Kim etwa, der mit dem biologischen Geschlecht eines Jungen auf die Welt kam, werden im Verlauf seiner Entwicklung sehr wahrscheinlich ganz automatisch männliche Merkmale zugeschrieben – also Erwartungen an sein Aussehen, sein Verhalten oder seine Entwicklung, die mit dem “Junge-Sein” oder “Mann-Sein” in Verbindung gebracht werden. 

In der Regel geschehen diese Zuschreibungen unbewusst, also ohne Absicht oder bösen Hintergedanken. Der Grund dafür sind schlichtweg die eigenen, inneren Prägungen der erwachsenen Menschen, die das Kind im Laufe seines Aufwachsens umgeben. 

<span style="align:center; font-size: 18px">Video-Empfehlung:</span> <style> native-player { aspect-ratio: 16/9; display: block; } </style> <script type="text/javascript" src="//syndication.target-video.com/native-player.js" async=""></script> <native-player></native-player>

Wie wir Klischees & stereotype Gedanken in der Erziehung erkennen

Am Beispiel von Kim:

Kim hat eine Kiste mit alten Röcken seiner Mama entdeckt. Er liebt es, damit zu spielen, sie anzuziehen und sich damit vor dem Spiegel auszuprobieren. 

  • Oma sagt daraufhin zu Kim: “Oh, Röcke sind aber doch nur was für Mädchen, Kim.”
  • Papa meint zu Mama: “Kann er nicht wie jeder andere Junge mit seinen Baggern spielen?”
  • Onkel Timo kommt zu Besuch, als Kim einen Rock trägt und sagt: “Kim, du siehst ja aus wie ein Mädchen!”

Ursprünglich handelt es sich hier um ein 2-jähriges Kind, was sich für ein bestimmtes Kleidungsstück interessiert, sich darin ausprobieren und damit spielen möchte. 

Die Zuschreibungen und Interpretationen (“Ist nur was für Mädchen”) kommen nicht vom Kind selbst, sondern wurden von den Erwachsenen, die das Kind umgeben, durch ihre eigenen Annahmen über das “Mädchen-/Junge-Sein” kommentiert und bewertet. 

Dieses Beispiel zeigt: Es gibt Klischees und Stereotype – also dem Geschlecht zugeschriebene – äußere Merkmale (“Nur Mädchen tragen Röcke”) und Verhaltensweisen (“Kann er nicht wie jeder andere Junge spielen?”), die wir Erwachsene in dieser zweigeschlechtlichen Welt alle in uns tragen und die wie ein Computerprogramm im Hintergrund in unseren Köpfen ablaufen. 

Sie erzeugen bereits auf sehr junge Kinder einen Rollendruck und reduzieren das Kind allein auf sein biologisches Geschlecht.

Wie unsere eigene Erziehung unser Denken beeinflusst

Der Ursprung für dieses Computerprogramm – also diese unbewusste Prägung – liegt häufig in der eigenen Erziehung und im eigenen Aufwachsen, mitsamt aller Meinungen, Erwartungen und Beobachtungen, die wir über das eigene Frau-Sein/Mann-Sein gelernt und gesammelt haben. 

Denn unsere inneren Prägungen bestimmten die Art, wie wir diese Welt sehen und über sie denken. 

Die Chance dahinter?

Wenn wir uns als Erwachsene genau das bewusst machen, ist das bereits der erste Schritt zur Veränderung. Sobald wir erkennen, ob und inwiefern wir selbst mit einem bestimmten Rollendruck aufgewachsen sind, können wir noch heute entscheiden, ob wir das an unser Kind weitergeben möchten oder nicht.

Das Bewusstsein für unsere eigene Prägung kann uns helfen, sensibel und bewusst mit dem Thema umzugehen und eben genau diese Stereotype (“Röcke sind nur was für Mädchen”) regelmäßig zu hinterfragen. 

Es geht bei der geschlechtsneutralen Erziehung also vielmehr um einen geschlechtersensiblen oder geschlechterbewussten Umgang mit sich selbst und dem eigenen Kind. 

Denn so wie du über dein Frau-Sein/Mann-Sein denkst, wird es sehr wahrscheinlich auch dein Kind eines Tages tun. 

Wusstest du, dass für Kinder das Geschlecht bis zu ihrem 4. Lebensjahr etwas völlig Veränderbares und Freies ist? Erst im Vorschulalter hat ein Kind ein inneres Bild (durch Prägung, Erziehung und Vorleben) der sogenannten Geschlechterkonstanz

Deswegen ist es auch ein Irrglaube, dass bestimmte “typisch weiblich/typisch männliche” Verhaltensweisen des Kindes rein genetisch bedingt sind, weil sie in der Regel unbewusst angelernt und vorgelebt werden. Schon kleinste Bemerkungen wie: “Onkel Timo mag die Farbe Pink gar nicht, das ist ihm zu mädchenhaft.” können hier eine Rolle spielen. 

Der Vor- und Nachteil von geschlechtersensibler Erziehung

Der Vorteil:

  • Die geschlechtersensible Erziehung kann uns dabei helfen, Stereotype und Klischees (in uns selbst und im Außen) zu erkennen und diese eben nicht mehr an unsere Kinder weiterzugeben.
  • So tragen wir als Eltern dazu bei, dass sich diese Welt – Stück für Stück – von einengenden „typisch Mädchen“ und „typisch Jungen“-Gedanken und Verhaltensweisen befreien kann.
  • Für eine Welt, in der unser biologisches Geschlecht nur ein kleiner Teil unserer Identität ist und in der unsere Kinder ihre individuelle Persönlichkeit ungehemmt entfalten können.

Der Nachteil:

  • Die große Herausforderung der geschlechtersensiblen Erziehung ist, sie als Erwachsener nicht aktiv in ein geschlechterneutrales Extrem zu lenken, indem wir die Interessen oder Spiele des Kindes bewerten oder versuchen, sie zu kontrollieren.

Beispiel: „Linus, jetzt spiel doch auch mal mit den Puppen und Röcken! Pink ist doch eine tolle Farbe, oder?“ oder „Warum probiert Lina denn schon wieder die Schminke aus und nimmt nicht auch mal das neue Auto, was ich ihr gekauft habe?“

  • Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen: Der Rollendruck, der seit Jahrhunderten vorherrscht, lässt sich in unserer Gesellschaft nicht vom ein auf den anderen Tag auflösen. Er benötigt Zeit, Ruhe und regelmäßiges Reflektieren.

Die geschlechtsneutrale Erziehung im Alltag ohne Druck und realistisch umzusetzen, kann ganz schön herausfordernd sein. Deswegen gilt, wie so oft: Der goldene Mittelweg ist der Schlüssel zum Glück.

Wie Eltern geschlechtersensibel erziehen können – 4 Schritte

Wenn du dir wünschst, mit deinem Kind geschlechtersensibel umzugehen, haben wir 4 Schritte zur Reflexion für dich zusammengefasst, die dir vielleicht dabei helfen können.

Frage dich gerne einmal selbst …

  1. Wie haben deine Eltern, Großeltern, Lehrkräfte usw. über das “Mädchen-/Frau-Sein” und “Junge-/Mann-Sein” gesprochen? Welche Erwartungen hatten sie damals an dich, aufgrund deines biologischen Geschlechts? Und die wichtigste Frage: Wie siehst du es denn eigentlich?
  2. Welche Rolle lebst du heute in eurer Familie und wieso? Beispiele: Bist du als Papa automatisch für die Reparatur von Dingen zuständig? Bist du die Frau und putzt du deshalb bei euch zu Hause alleine, ohne dass es jemals besprochen oder hinterfragt wurde? 
  3. Wie sprichst du mit deinem Kind über Spiele, Farben und Kleidung? Wenn ihr Kleidung für deine Tochter kauft, zu welchen Farben greifst du dann? Wenn du mit deinem Sohn spielst, welche Spiele schlägst du ihm vor?
  4. Welche Kinderbücher und Spielzeuge habt und kauf ihr? Wie sehen die Figuren darin aus? Gibt es auf der Baustelle im Kinderbuch auch weiblich gelesene Personen oder bleibt im Buch über eine Familie auch mal der Papa zu Hause, während die Mama arbeiten geht? Wie ist es beim Spielzeug? Ist es vielfältig und divers? Mit welchen äußeren Merkmalen sind einzelne Spielfiguren dargestellt? 

Bedenke: Es gibt bei diesen 4. Schritten zur Reflexion kein gut oder schlecht, kein richtig oder falsch, kein Schwarz oder Weiß. Die Frage ist immer, ob sich die Rollen, Dinge und Zustände, die du oder ihr als Familie aktuell (vor)lebt, für dich stimmig anfühlen oder ob du sie verändern möchtest.

Falls du tiefer in das Thema “geschlechtersensible Erziehung” eintauchen möchtest, höre dir dazu gerne unsere Podcastfolge mit Kindheitspädagogin Johanna Wiemeyer an:

<iframe style="border-radius:12px" src="https://open.spotify.com/embed/episode/3XB4VnmzXvZBNagTs2Tzqt?utm_source=generator" width="100%" height="152" frameBorder="0" allowfullscreen="" allow="autoplay; clipboard-write; encrypted-media; fullscreen; picture-in-picture" loading="lazy"></iframe>

Fazit

Das biologische Geschlecht eines Kindes wird bei einer geschlechtersensiblen Erziehung nicht ignoriert, sondern als eine von vielen Facetten seiner Identität gesehen. Ein geschlechterbewusster Umgang mit der eigenen Prägung sowie dem eigenen Denken und Verhalten ist der erste Schritt, Geschlechter-Stereotype und Rollendruck zu durchbrechen. 

Dadurch ermöglichst du deinem Kind, sich nach seinen individuellen Fähigkeiten und Interessen zu entfalten, damit es zu einem selbstsicheren und selbstbestimmten Menschen heranwachsen kann. Ein gendersensibler Umgang ist also sowohl für dich selbst, als auch für dein Kind ein Geschenk und trägt dazu bei, diese Welt Stück für Stück zu verändern. 

Denn die Zukunft beginnt jetzt. 

ce8de7c8617542c28c687737c446eb0a - Klischeefrei: Wie Eltern mit geschlechtsneutraler Erziehung die Welt verändern

Quellen

Veröffentlicht von Leonie Illerhues

Leonie war nach ihrem Studium der Heilpädagogik lange im Schulhort-, Kita- und Krippenbereich tätig. Erziehungs- und Entwicklungsthemen im Baby- und Kleinkindalter sind deshalb ihr Steckenpferd. Seit 2022 ergänzt Leonie unser Team mit diesem Schwerpunkt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert