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Veraltete Pädagogik: Warum „stille Treppe“ und „Auszeiten“ gar nicht gehen!

Auszeiten für Kinder auf der stillen Treppe
Auch "Super Nanny" Katharina Saalfrank hält das mittlerweile nicht mehr für angebracht / Bild © Wonchalerm, Adobe Stock

Ob Time-Outs auf dem Stuhl oder „die stille Treppe“: Wenn das Kind durchdreht, hilft manchmal nur eine Auszeit. Wir sagen: Auszeiten sind ein No-Go! Warum sie der Kinderseele sogar schaden können, erfährst du jetzt. Dazu haben wir simple Alternativen für dich!

„Jetzt ist Schluss, Lina!“

Na, hast du beim Titel auch direkt an Szenen aus der ehemals beliebten TV-Show „Die Supernanny“ gedacht? Auch wenn Pädagogin Katia Saalfrank sich mittlerweile von ihren Erziehungstipps distanziert hat, sind „Stille Treppe“ und Co. noch immer beliebte Methoden – sowohl zu Hause als auch in der Kita oder Schule.

Auszeiten zu Hause durchbrechen scheinbar eskalierende Konflikte. Als Elternteil hat man das Gefühl, dass man die Situation wieder im Griff hat, wenn man das Kind in die Auszeit schickt. Das kann der Stuhl in der Ecke, die „stille Treppe“ oder das Kinderzimmer sein. Das Kind kann in Ruhe überlegen, warum es etwas falsch gemacht hat und seine Gefühle herauslassen.

Viele Eltern plagt danach allerdings ein schlechtes Gewissen und die Frage, ob das jetzt wirklich die beste Lösung war …

„Was hat der Jeremy gemacht?“ – Auszeiten in Kita und Schule

Zugegeben, auch mir als Pädagogin ist es schon mal passiert, dass ich ein Kind in die Auszeit geschickt habe. Der kleine Jeremy hat gewütet und andere Kinder mit Spielzeug abgeworfen. Viele Kinder weinten, ich war alleine in der Gruppe und völlig überfordert. Also habe ich nicht lange überlegt, sondern sofort gehandelt. Ich wusste: Jeremy braucht eine Auszeit! Ab auf den Stuhl mit ihm. Schnell kehrte Ruhe im Raum ein, doch Jeremy begann zu schluchzen.

Plötzlich kamen Kinder dazu, beobachteten das weinende Kind und fragten mich, was passiert sei. Das überraschte mich, denn der Stuhl stand eher Abseits im Gruppenraum. Nach ein paar Minuten fragte ich Jeremy, ob er über sein Verhalten nachgedacht hat. Ich erklärte ihm, was er falsch gemacht hat und er wiederholte meine Moralpredigt fast wörtlich. Gut, dachte ich. Das Kind lernt aus seinem Verhalten. 

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Heute sehe ich es deutlich anders und frage mich: Wer brauchte hier eigentlich die Auszeit? Das Kind oder ich? Und … 

Warum denke ich, braucht das Kind eine Auszeit?

Mittlerweile weiß ich: nicht das herausfordernde Verhalten von Jeremy war hier das Problem, sondern eine Mischung aus vielem. Situationen, in denen man dem Kind eine „Auszeit“ gibt, entstehen häufig aus …

  • Dem Wunsch, die unangenehmen Stress-Gefühle schnell wegzuschieben und die Situation abzulenken oder zu durchbrechen
  • Der Vorstellung, man müsste das Kind für bestimmtes Fehlverhalten „maßregeln“, damit es einem nicht mehr „auf der Nase herumtanzt“
  • Dem Glauben, das Kind wäre „Schuld“ und müsse das lernen
  • Angst vor der Bewertung anderer Menschen und Eltern, denn: „Man hat das Kind nicht im Griff“
  • Generellem Stress und Überforderung des Erwachsenen

Doch stell dir mal vor: Du bist wütend und weißt nicht, wie du die Gefühle herauslassen sollst. Dann beschäftigst du dich mit etwas und dein Verhalten wird als „zu frech“ abgetan. Daraufhin wirst du plötzlich auf einen Stuhl oder die Treppe gesetzt und alle starren dich an. Du fühlst dich schlecht und weißt nicht so recht, wofür du jetzt bestraft wirst. Dazu darfst du nicht aufstehen, es wurde dir verboten. Nach einer gefühlten Ewigkeit sollst du auch noch sagen, was du falsch gemacht hast, aber du weißt gar nicht mehr, was davor überhaupt passiert ist.

Puh … Fühlt sich ganz schön beklemmend an, oder?

Die Gefahr hinter „Auszeiten“

Mit diesem Wissen versuche ich seitdem, eskalative Situationen aus der Perspektive des Kindes zu betrachten. Mir ist jetzt klar: Ich würde nie wieder ein Kind in eine Auszeit schicken!

Denn Auszeiten können viel anrichten:

  • Das Kind wird seiner Freiheit beraubt, weil es „sitzen bleiben muss“ (Isolation).
  • Es ist verwirrt, weil es über etwas nachdenken soll. Aber es versteht nicht, warum oder womit das zusammenhängt (Ursache-Wirkung, Bestrafung).
  • Das Kind fühlt sich schlecht, weil es von Anderen wie auf dem Präsentierteller beobachtet wird und keine Privatsphäre hat. Das kann sehr demütigend sein.
  • In dieser Stresssituation ist es nicht in der Lage, das eigene Verhalten zu hinterfragen und es wird überfordert.
  • Es fühlt sich nicht verstanden und sein Selbstbewusstsein verringert sich.
  • Sein Vertrauen in sich und seine eigenen Gefühle wird geschwächt.
  • Das Kind beginnt womöglich, Dinge „heimlich“ zu machen, aus Angst vor der nächsten Auszeit.
  • Es lernt auf Dauer, dass die Liebe der Eltern an Bedingungen geknüpft ist. 

Also: Meist entstehen Konfliktsituationen, weil verschiedene Bedürfnisse gleichzeitig bestehen und nicht, weil das Kind dich provozieren, herausfordern oder ärgern will. Es kann also aus seiner Perspektive nur schwer verstehen, warum es jetzt für sein Verhalten mit einer Auszeit bestraft wird. 

Das Prinzip von „Auszeiten“ liegt natürlich trotzdem nahe: Die Situation soll abgelenkt oder durchbrochen werden. Wir sagen: Das geht auch anders!

„Und was soll ich dann machen?“ – simple Alternativen!

Hier haben wir simple Alternativen für dich, die du anstatt einer „Auszeit“ ausprobieren kannst, um Eskalationen zu lösen.

Beispiel: Ihr sitzt beim Mittagessen. Die kleine Lina ärgert ihren Bruder, spuckt ins Essen und schreit herum. Du bist kurz davor, ihr eine Auszeit zu verpassen.

Simple Alternativen:

  • Beobachten + Hinterfragen: Was könnte Lina gerade brauchen? Worauf macht sie mit ihrem Verhalten aufmerksam?
  • Gespräche auf Augenhöhe: „Lina, ich habe den Eindruck, dir fällt es gerade schwer, mit uns in Ruhe zu essen. Ich möchte nicht, dass du deinen Bruder ärgerst oder so mit unserem Essen umgehst. Kann es sein, dass du satt bist?“
  • Angebote machen: „Ich habe das Gefühl, du möchtest gerade am liebsten rennen und laut sein! Wollen wir, wenn dein Bruder und ich mit dem Essen fertig sind, auf den Spielplatz gehen oder hier ein wenig tanzen? Meinst du, du schaffst es, noch so lange zu warten?“
  • Kompromisse bilden – 2 Optionen: „In Ordnung, du schaffst es gerade nicht sitzenzubleiben. Ich kann dir 2 Optionen anbieten: Du kannst in der Spielecke neben uns leise etwas spielen oder malen. Oder aber du holst deinen Teddy und er hilft dir hier am Tisch beim Warten. Was meinst du?“
  • Selbstverantwortung: Ist das herausfordernde Verhalten des Kindes das einzige Problem, oder bin ich gerade zusätzlich gestresst und überfordert? Was kann ich tun, um gelassener zu sein und so meinem Kind anders zu begegnen?
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Fazit

Auszeiten wie Time-Outs, Stille Treppe und Co. führen weder zum Ziel, noch sind sie empfehlenswert. Im Gegenteil: Auf Dauer schaden sie der Kinderseele!

Beim nächsten Konflikt, der zu eskalieren droht, kannst du versuchen, die Situation anders zu durchbrechen. Optimal funktioniert das über Gespräche auf Augenhöhe, spielerische Angebote und Kompromisse und indem du dich vorher selbst stärkst. Probiere es doch einfach mal aus!

2dde2a4bf79c433dbb50b4c7ff52d3cc - Veraltete Pädagogik: Warum "stille Treppe" und "Auszeiten" gar nicht gehen!

Quellen

Veröffentlicht von Leonie Illerhues

Leonie war nach ihrem Studium der Heilpädagogik lange im Schulhort-, Kita- und Krippenbereich tätig. Erziehungs- und Entwicklungsthemen im Baby- und Kleinkindalter sind deshalb ihr Steckenpferd. Seit 2022 ergänzt Leonie unser Team mit diesem Schwerpunkt.

4 Kommentare anderer Nutzer

  1. Ich finde es nicht schlimm wenn ein Kind lernt das es Grenzen gibt und bei Fehlverhalten Strafen drohen. Ist doch im erwachsenen alter auch so. Überschreite ich gesellschaftliche Grenzen indem ich anderen schaden zufüge, egal ob körperlich oder finanziell, werde ich ich auch ausgegrenzt, in Form von Gefängnis in ganz schlimmen fällen , oder muss eine andere Strafe ableisten. Warum soll man das als Kind nicht gleich lernen? Verstehe die heutige Erziehung nicht. Das Ergebnis ist dann, das Restaurants Kinder nicht mehr ins Restaurant lassen , da sie ihre Grenzen nicht gesetzt bekommen und sogar in solchen fällen auffällig sind und evtl. Mobiliar kaputt machen, herum schreien oder sonstiges benehmen an den Tag legen die für die Gesellschaft die dann dort ißt nicht erträglich ist. man sollte Mal die Kehrseite solcher Erziehungen betrachten. Meine Kinder sitzen im übrigen auch nicht auf der stillen Treppe/Stuhl und werden auch nicht geschlagen , bekommen aber ganz klar Grenzen gesetzt.

    1. Hallo Elleth,
      herzlichen Dank für deinen Kommentar!

      Auf jeden Fall sollten Kinder lernen, mit Grenzen und eigenen Fehlern umzugehen. Das beschreiben wir ja auch ganz klar in diesem Artikel. Allerdings hat sich mittlerweile gezeigt, dass Strafen nicht zum Ziel führen und der Kinderseele schaden. Deshalb sind wir der Auffassung, dass eine gesunde Fehlerkultur viel wertvoller ist, als eine Erziehung mit Bestrafungen.

      Zu deinem Beispiel mit dem Restaurant: Es ist verständlich, was du damit sagen willst. Allerdings glauben wir nicht, dass Kinder plötzlich zerstörerisch handeln oder Grenzen überschreiten könnten, wenn sie von ihren Eltern in der Erziehung nicht bestraft werden. Ganz im Gegenteil. Sicher ist es für Eltern ganz schön herausfordernd, die Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen und ihm gleichzeitig Einfühlungsvermögen und Rücksichtnahme (als Teil der Gesellschaft) in gleichen Anteilen zu vermitteln. Wie so oft ist der goldene Mittelweg hier der Schlüssel zum Glück.

      Zu deinem letzten Satz: Wie wunderbar, dass du es so handhabst! So sehen wir es auch. Kommunikation auf Augenhöhe schließt Grenzen setzen nicht aus. In unserem Artikel beleuchten wir lediglich das Konzept „stille Treppe/Auszeit auf dem Stuhl“ kritisch.

  2. Ich bin mit vielen Punkten im Artikel einverstanden, aber manchmal gibt es die Auszeit bei uns trotzdem – und zwar, wenn die Reizüberflutung oder Aggressivität zu groß ist. Bei Reizüberflutung gehen wir auch eine Pause auf der Treppe oder im Zimmer machen. Aber zum einen gibt es dort dann eine Kiste mit Spielsachen (z.B. eine Kuh an der man sich auslassen darf, oder beruhigende Spiele), zum anderen begleite ich mein Kind. Beim Schlagen, Beißen etc. sehe ich mich ehrlich gesagt auch in der Verantwortung, die anderen Kinder und vielleicht auch mich zu schützen. Dann geht es in die Auszeit und da wird man vielleicht auch kurz alleine gelassen, denn das geschlagene Kind zu trösten, hat in diesem Moment Vorrang und das kommuniziere ich auch so. Und dann gehe ich zurück und wir schauen, was wir für das Kind in der Auszeit tun können, damit es ihm besser geht.

    1. Hallo Jeanette,
      herzlichen Dank für deinen Kommentar!

      Ja, Reizüberflutung ist auch ein Thema, was hier wichtig ist. Aus unserer Sicht liegt der Unterschied auch ganz klar darin, dass eine Pause (in der das Kind sich im Raum frei bewegen kann) anders ist, als eine Auszeit auf einem Möbelstück, wo es sitzen bleiben muss (Zwang).

      Es hört sich ganz toll an, wie du diese Pausen nach Aggressivität und Reizüberflutung begleitest. Danke für den Austausch und deinen Kommentar!

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