Ob Time-Outs auf dem Stuhl oder „die stille Treppe“: Wenn das Kind durchdreht, hilft manchmal nur eine Auszeit. Wir sagen: Auszeiten sind ein No-Go! Warum sie der Kinderseele sogar schaden können, erfährst du jetzt. Dazu haben wir simple Alternativen für dich!
„Jetzt ist Schluss, Lina!“
Na, hast du beim Titel auch direkt an Szenen aus der ehemals beliebten TV-Show „Die Supernanny“ gedacht? Auch wenn Pädagogin Katia Saalfrank sich mittlerweile von ihren Erziehungstipps distanziert hat, sind „Stille Treppe“ und Co. noch immer beliebte Methoden – sowohl zu Hause als auch in der Kita oder Schule.
Auszeiten zu Hause durchbrechen scheinbar eskalierende Konflikte. Als Elternteil hat man das Gefühl, dass man die Situation wieder im Griff hat, wenn man das Kind in die Auszeit schickt. Das kann der Stuhl in der Ecke, die „stille Treppe“ oder das Kinderzimmer sein. Das Kind kann in Ruhe überlegen, warum es etwas falsch gemacht hat und seine Gefühle herauslassen.
Viele Eltern plagt danach allerdings ein schlechtes Gewissen und die Frage, ob das jetzt wirklich die beste Lösung war …
„Was hat der Jeremy gemacht?“ – Auszeiten in Kita und Schule
Zugegeben, auch mir als Pädagogin ist es schon mal passiert, dass ich ein Kind in die Auszeit geschickt habe. Der kleine Jeremy hat gewütet und andere Kinder mit Spielzeug abgeworfen. Viele Kinder weinten, ich war alleine in der Gruppe und völlig überfordert. Also habe ich nicht lange überlegt, sondern sofort gehandelt. Ich wusste: Jeremy braucht eine Auszeit! Ab auf den Stuhl mit ihm. Schnell kehrte Ruhe im Raum ein, doch Jeremy begann zu schluchzen.
Plötzlich kamen Kinder dazu, beobachteten das weinende Kind und fragten mich, was passiert sei. Das überraschte mich, denn der Stuhl stand eher Abseits im Gruppenraum. Nach ein paar Minuten fragte ich Jeremy, ob er über sein Verhalten nachgedacht hat. Ich erklärte ihm, was er falsch gemacht hat und er wiederholte meine Moralpredigt fast wörtlich. Gut, dachte ich. Das Kind lernt aus seinem Verhalten.
Heute sehe ich es deutlich anders und frage mich: Wer brauchte hier eigentlich die Auszeit? Das Kind oder ich? Und …
Warum denke ich, braucht das Kind eine Auszeit?
Mittlerweile weiß ich: nicht das herausfordernde Verhalten von Jeremy war hier das Problem, sondern eine Mischung aus vielem. Situationen, in denen man dem Kind eine „Auszeit“ gibt, entstehen häufig aus …
- Dem Wunsch, die unangenehmen Stress-Gefühle schnell wegzuschieben und die Situation abzulenken oder zu durchbrechen
- Der Vorstellung, man müsste das Kind für bestimmtes Fehlverhalten „maßregeln“, damit es einem nicht mehr „auf der Nase herumtanzt“
- Dem Glauben, das Kind wäre „Schuld“ und müsse das lernen
- Angst vor der Bewertung anderer Menschen und Eltern, denn: „Man hat das Kind nicht im Griff“
- Generellem Stress und Überforderung des Erwachsenen
Doch stell dir mal vor: Du bist wütend und weißt nicht, wie du die Gefühle herauslassen sollst. Dann beschäftigst du dich mit etwas und dein Verhalten wird als „zu frech“ abgetan. Daraufhin wirst du plötzlich auf einen Stuhl oder die Treppe gesetzt und alle starren dich an. Du fühlst dich schlecht und weißt nicht so recht, wofür du jetzt bestraft wirst. Dazu darfst du nicht aufstehen, es wurde dir verboten. Nach einer gefühlten Ewigkeit sollst du auch noch sagen, was du falsch gemacht hast, aber du weißt gar nicht mehr, was davor überhaupt passiert ist.
Puh … Fühlt sich ganz schön beklemmend an, oder?
Die Gefahr hinter „Auszeiten“
Mit diesem Wissen versuche ich seitdem, eskalative Situationen aus der Perspektive des Kindes zu betrachten. Mir ist jetzt klar: Ich würde nie wieder ein Kind in eine Auszeit schicken!
Denn Auszeiten können viel anrichten:
- Das Kind wird seiner Freiheit beraubt, weil es „sitzen bleiben muss“ (Isolation).
- Es ist verwirrt, weil es über etwas nachdenken soll. Aber es versteht nicht, warum oder womit das zusammenhängt (Ursache-Wirkung, Bestrafung).
- Das Kind fühlt sich schlecht, weil es von Anderen wie auf dem Präsentierteller beobachtet wird und keine Privatsphäre hat. Das kann sehr demütigend sein.
- In dieser Stresssituation ist es nicht in der Lage, das eigene Verhalten zu hinterfragen und es wird überfordert.
- Es fühlt sich nicht verstanden und sein Selbstbewusstsein verringert sich.
- Sein Vertrauen in sich und seine eigenen Gefühle wird geschwächt.
- Das Kind beginnt womöglich, Dinge „heimlich“ zu machen, aus Angst vor der nächsten Auszeit.
- Es lernt auf Dauer, dass die Liebe der Eltern an Bedingungen geknüpft ist.
Also: Meist entstehen Konfliktsituationen, weil verschiedene Bedürfnisse gleichzeitig bestehen und nicht, weil das Kind dich provozieren, herausfordern oder ärgern will. Es kann also aus seiner Perspektive nur schwer verstehen, warum es jetzt für sein Verhalten mit einer Auszeit bestraft wird.
Das Prinzip von „Auszeiten“ liegt natürlich trotzdem nahe: Die Situation soll abgelenkt oder durchbrochen werden. Wir sagen: Das geht auch anders!
„Und was soll ich dann machen?“ – simple Alternativen!
Hier haben wir simple Alternativen für dich, die du anstatt einer „Auszeit“ ausprobieren kannst, um Eskalationen zu lösen.
Beispiel: Ihr sitzt beim Mittagessen. Die kleine Lina ärgert ihren Bruder, spuckt ins Essen und schreit herum. Du bist kurz davor, ihr eine Auszeit zu verpassen.
Simple Alternativen:
- Beobachten + Hinterfragen: Was könnte Lina gerade brauchen? Worauf macht sie mit ihrem Verhalten aufmerksam?
- Gespräche auf Augenhöhe: „Lina, ich habe den Eindruck, dir fällt es gerade schwer, mit uns in Ruhe zu essen. Ich möchte nicht, dass du deinen Bruder ärgerst oder so mit unserem Essen umgehst. Kann es sein, dass du satt bist?“
- Angebote machen: „Ich habe das Gefühl, du möchtest gerade am liebsten rennen und laut sein! Wollen wir, wenn dein Bruder und ich mit dem Essen fertig sind, auf den Spielplatz gehen oder hier ein wenig tanzen? Meinst du, du schaffst es, noch so lange zu warten?“
- Kompromisse bilden – 2 Optionen: „In Ordnung, du schaffst es gerade nicht sitzenzubleiben. Ich kann dir 2 Optionen anbieten: Du kannst in der Spielecke neben uns leise etwas spielen oder malen. Oder aber du holst deinen Teddy und er hilft dir hier am Tisch beim Warten. Was meinst du?“
- Selbstverantwortung: Ist das herausfordernde Verhalten des Kindes das einzige Problem, oder bin ich gerade zusätzlich gestresst und überfordert? Was kann ich tun, um gelassener zu sein und so meinem Kind anders zu begegnen?
Fazit
Auszeiten wie Time-Outs, Stille Treppe und Co. führen weder zum Ziel, noch sind sie empfehlenswert. Im Gegenteil: Auf Dauer schaden sie der Kinderseele!
Beim nächsten Konflikt, der zu eskalieren droht, kannst du versuchen, die Situation anders zu durchbrechen. Optimal funktioniert das über Gespräche auf Augenhöhe, spielerische Angebote und Kompromisse und indem du dich vorher selbst stärkst. Probiere es doch einfach mal aus!
Quellen
- DER SPIEGEL GmbH und Co. KG (2022): „Super Nanny“ hält nichts mehr von „stiller Treppe“. https://www.spiegel.de/panorama/super-nanny-katharina-saalfrank-distanziert-sich-von-stiller-treppe-a-889154.html (abgerufen am 27.01.2023).