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„Dann gehe ich ohne dich!“ – warum dieser Erziehungstrick gefährlich ist!

"Dann gehe ich eben ohne dich!"
Was fühlt ein Kind, wenn der scheinbar harmlose Erziehungstrick "Dann gehe ich ohne dich!" ausgesprochen wird? / Bild © candy1812, Adobe Stock

“Dann gehe ich ohne dich!” – Hättest du gewusst, dass dieser Satz eine Urangst im Kind auslösen und eure Bindung beeinflussen kann? Was es damit auf sich hat, erfährst du jetzt …

Wenn auch der längste Geduldsfaden reißt

Viele Eltern kennen diese Szene nur zu gut: Nach einem langen Nachmittag auf dem Spielplatz möchtest du nach Hause gehen. Du bittest dein Kind mehrmals mitzukommen, woraufhin es protestiert oder dich ignoriert. Als du es erneut bittest, will es von dir getragen werden. Das lässt du nicht zu, denn schließlich kann dein Kind auch alleine laufen.

Je mehr Zeit vergeht und je weniger dein Kind auf dich reagiert, desto ungeduldiger wirst du. Bis zu dem Punkt, wo dein Geduldsfaden reißt. “Dann gehe ich eben ohne dich!”, sagst du und läufst los, mit der heimlichen Hoffnung, dass es dir folgt.

Doch dein Kind fängt an Ort und Stelle bitterlich an zu weinen und streckt die Hände flehend und panisch in deine Richtung, wodurch ihr alle Blicke auf euch zieht. Also gehst du zurück, nimmst es auf den Arm und trägst es schließlich nach Hause. Oder dein Kind kommt dann eben doch unter Tränen mit. Ihr seid beide völlig fertig, du mit den Nerven und dein Kind vor Angst.

Hättest du gewusst, dass diese Angst deines Kindes sogar evolutionär bedingt ist? …

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Die Urangst in uns allen

Nicola Schmidt, die erfolgreiche Bestsellerautorin und Journalistin von Büchern wie “Artgerecht” und “Erziehen ohne Schimpfen”, hat durch ihre Arbeiten herausgefunden, dass wir alle eine vererbte Urangst des “Zurück gelassen Werdens” in uns tragen.

Unsere Vorfahren, die Jäger- und Sammlervölker, zogen regelmäßig über weite Strecken von Ort zu Ort. Deswegen mussten sie manchmal Kinder, die diese Strecke gar nicht alleine schaffen konnten, durchaus auch mal zurücklassen.

Die Folge? Die Kinder waren darauf angewiesen, auf den Arm eines Erwachsenen zu kommen, um eben nicht zurückgelassen zu werden und um mit der Gruppe mithalten zu können. Nur so konnten sie überleben.

Wahnsinn, oder?

Das zeigt einmal mehr, dass in solchen – scheinbar harmlosen – Momenten zwischen Eltern und Kind der Ur-Überlebenswille des Kindes zum Vorschein kommt. Sein Überleben hängt in diesem Moment (unbewusst und in Form starker Angst) davon ab, dass die Eltern es auf dem Arm mitnehmen und eben nicht zurücklassen.

Das Weinen, Schreien und Flehen nach dem “Getragen/Mitgenommen werden” ist also eine erblich bedingte und natürliche Reaktion deines Kindes.

Laut der Bestsellerautorin sind wir alle Nachfahr:innen von Menschen, die es geschafft haben, auf einen Erwachsenen-Arm zu kommen, um so nicht von der Gruppe zurückgelassen zu werden.

Vielleicht hilft dir dieses Wissen, diese Drohung in Zukunft nicht mehr auszusprechen, damit du deinem Kind nicht schadest, denn …

Warum Eltern diesen Satz nicht mehr sagen sollten

Die Drohung des “Zurück gelassen Werdens” löst in deinem Kind einen massiven inneren Stress aus. Und unter Stress kann das Gehirn deines Kindes weder reagieren noch aktiv zuhören, was Mama oder Papa gerade eigentlich genau von ihm wollen. Es ist wie blockiert. 

Obendrein ist der Satz “Dann gehe ich ohne dich!” ein Spiel mit deiner eigenen Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit, weil du das Kind am Ende natürlich nicht zurücklässt. 

Das Gefährlichste an dieser Drohung ist allerdings, dass durch sie eure Beziehung geschwächt wird. Dein Kind lernt nämlich – vor allem, wenn diese Situationen regelmäßig vorkommen – dass seine Grundbedürfnisse nach Nähe und Zuwendung von den eigenen Eltern nicht erfüllt und sogar abgelehnt werden. 

Durch diese Erziehung mit der Angst wird auch sein Urvertrauen und damit sein Vertrauen in andere Menschen, sein Umfeld und das Leben selbst verletzt. Das beeinflusst und verringert letztlich auch sein Selbstvertrauen.

Du siehst, dieser Satz kann gravierende Folgen für dich und dein Kind haben. 

“Ja, aber warum hört das Kind dann nicht einfach auf mich, dann müsste ich ihm gar nicht erst drohen?”

Um das zu erklären, machen wir einen kleinen Ausflug in den Kopf deines Kindes: Denn auch wenn du manchmal vielleicht das Gefühl hast, dein Kind hört extra nicht oder provoziert dich, ist eigentlich das genaue Gegenteil der Fall: Das Gehirn eines Kindes im Kleinkindalter ist noch gar nicht dazu ausgereift, dich mit seinem Verhalten absichtsvoll herauszufordern. 

In diesen Momenten, wie oben beschrieben, hat es schlichtweg ein anderes Bedürfnis als du.

Wenn ihr eine gute Beziehung zueinander habt und du dir bewusst Zeit dafür nimmst, wirst du die Bedürfnisse deines Kindes mit ein wenig Übung in solchen Situationen beobachten und erkennen können. Da du aber eben ein Mensch und keine Maschine bist, wird es natürlich auch mal andere Tage geben. 

Deswegen ist es vollkommen natürlich, dass diese und ähnliche Situationen immer mal wieder vorkommen können. Mach dir das gerne bewusst und sei hier milde mit dir. 

Dennoch gibt es Dinge, die du alternativ tun kannst, damit diese Situationen eben nicht mehr eskalieren und du deinem Kind nicht mehr drohen musst. 

Die Alternativen!

Was wir dir empfehlen:

  • Plane bewusst mehr Überbrückungszeit zwischen zwei Stationen oder Terminen am Tag ein. So nimmst du automatisch den Druck raus, für dich und für dein Kind. 
  • Manche Kinder benötigen eine oder mehrere Erinnerungen, ehe sie ihre Aufmerksamkeit auf etwas Anderes wechseln können. Beispiel: “Luca, in 10 Minuten müssen wir nach Hause. Ich sage dir rechtzeitig Bescheid, wann das ist. Dann können wir gemeinsam aufräumen und uns auf den Weg machen.”
  • Wenn dein Kind auf deine Aufforderung “Wir gehen jetzt nach Hause.” nicht sofort reagiert: Mach dir noch mal klar, dass es gerade schlichtweg ein anderes Bedürfnis hat als du. 
  • Frage dich: Ist dein Kind gerade offen für eine weitere Aufforderung? Vielleicht erkennst du in manchen Fällen allein schon durch die Beobachtung, ob es müde, hungrig oder überreizt ist. 
  • Jetzt kannst du es fragen, ob du richtig liegst und ihm einen Vorschlag machen: “Du bist richtig müde, kann das sein? Soll ich dich in den Kinderwagen setzen und wir fahren nach Hause?”
  • Falls dir sein Bedürfnis unklar ist, es aber weiterhin nicht auf die Aufforderung “Wir gehen jetzt nach Hause.” reagiert, begib dich auf Augenhöhe und versuche, seine natürliche Kooperationsfähigkeit mit Liebe und Klarheit anzusprechen. Nutze das 2-Optionen-Prinzip, damit dein Kind mitbestimmen kann. Beispiel: “Luca, wir müssen jetzt nach Hause und können nicht mehr hier bleiben. Ich kann dir zwei Optionen anbieten: Entweder du läufst jetzt noch eine Runde um den Spielplatz und wir machen uns dann auf den Weg oder du rutschst noch einmal den Rutschturm herunter. Danach gehen wir dann direkt los. Was ist dir lieber?”

Da jedes Kind individuell ist, wirst du hier deinen ganz eigenen Weg finden, seine natürliche Kooperationsfähigkeit in Zukunft anzusprechen. Manchmal müssen sich diese und ähnliche Situationen wiederholen, bis ihr zusammen einen Weg findet, der deine Bedürfnisse und die deines Kindes erfüllt. 

Solange du den Satz “Dann gehe ich ohne dich!” in Zukunft nicht mehr als Drohung nutzt, bist du hier auf jeden Fall auf der sicheren Seite. 

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Quellen

Veröffentlicht von Leonie Illerhues

Leonie war nach ihrem Studium der Heilpädagogik lange im Schulhort-, Kita- und Krippenbereich tätig. Erziehungs- und Entwicklungsthemen im Baby- und Kleinkindalter sind deshalb ihr Steckenpferd. Seit 2022 ergänzt Leonie unser Team mit diesem Schwerpunkt.

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