Heutige Eltern sind gut informiert. Sie möchten „alles richtig machen“. Ihre Kinder sollen gesund aufwachsen, ihnen sollen beruflich alle Türen offen stehen, und natürlich sollen sie glücklich werden und sich verwirklichen. Ganz schön hohe Ansprüche, die wir da an uns und unseren Nachwuchs stellen. Aber die Rasenmäher-Eltern hält das nicht ab. Sie räumen jedes Hindernis aus dem Weg, damit ihre Kinder es mal ganz toll haben. Dabei vergessen sie manchmal sich selbst.
Gehörst du zu den Rasenmäher-Eltern?
Kannst du diese Fragen mit „Ja“ beantworten?
- Mischst du dich regelmäßig in Spielzeugstreitigkeiten ein?
- Verzichtest du aufs Duschen, damit dein Kind nicht weint?
- Erledigst du Dinge lieber selbst, bevor dein Kind unruhig wird?
- Hört dein Kind ständig „Vorsicht, pass auf!“?
Keine Panik, alles ganz normal für die Generation Rasenmäher-Eltern 😉 Warum schießen wir so oft über das Ziel hinaus und sind wir wirklich so schlimme Eltern?
Was sind Rasenmäher-Eltern?
Der Begriff Rasenmäher-Eltern beschreibt einen neuartigen Elterntyp, der seinen Kindern jedes Hindernis sprichwörtlich wegmäht, also aus dem Weg räumt. Somit sind Rasenmäher- oder auch Curlingeltern eine neue Stufe der Helikopter-Eltern, die immer kontrollierend um ihre Kinder kreisen. Man vermutet, dass Kinder von diesen Eltern nicht lernen, Probleme eigenständig zu lösen.
Typisch Rasenmäher-Eltern: Ich mach das für dich!
In grauen Vorzeiten (vor Corona) besuchte ich mit meiner Kleinfamilie eine Veranstaltung für junge Kinder hier in Berlin. Unter dem Motto „Ich kann das schon alleine“ gab es eine ganze Reihe wirklich cooler Spielmöglichkeiten. Es gab riesige magnetische Schaumstoffbausteine zum Bauen von Höhlen und Verstecken, einen Kugelbahnbereich mit großen geschwungenen Holzkugelbahnen, Riesenlego, Malstation, Basteltische und vieles mehr.
Doch wer jetzt denkt, dass die Kleinen sich dort, getreu dem Motto der Veranstaltung mal ganz selbstständig ausprobieren konnten, der irrt. Die Einmischung der Erwachsenen war nicht zu übersehen. Da waren Eltern, die eifrig immer wieder die Kugeln für ihr Kind vom Ende der Kugelbahn holten, andere die pausenlos kommentierten, wo die Kugel hingehöre und welche Bahn das Kind als Nächstes ausprobieren könnte.
Die Erwachsenen bewiesen außerdem, dass sie schneller und effizienter einsturzsichere Höhlen bauen konnten. „So fertig Kinder, jetzt könnt ihr darin spielen.“ Eine Mutter hortete Bausteine, um sie für ihre Tochter vor anderen Kindern (die damit spielen wollten) zu verteidigen.
Klingt krass? Ist aber ganz normal. Auch ich erwische mich regelmäßig bei Mach-doch-mal-so und Soll-ich-das-für-dich-machen Sätzen. Ich gehöre ja schließlich auch zur Generation Rasenmäher.
Ein paar Rasenmäher-Situationen, aus meinem Familienalltag…
Wenn bis vor Kurzem nachts das Babyphone anging, sprang ich voller Panik hechtartig ins Schlafzimmer, um innerhalb einer Millisekunde bei meinem armen Kind zu sein, das ganz allein im großen Bett saß.
Mein Sohn ist 3 Jahre alt, kann laufen und Türen öffnen. Es brauchte offenbar ein bisschen, bis mir das wirklich bewusst wurde und ich meinem Sohn endlich die Chance gab, selbst eine Lösung für sein Problem zu finden. Und siehe da: Klappt wunderbar.
Inzwischen kommt mein Sohn zu uns, wenn er nachts aufwacht und ich sage freudig „Du bist ganz alleine zu uns gekommen.“ und er sagt dann „Ja, ich bin ein großer Mann.“
Letztens hörte ich in unserer Familie den Satz „Vorsicht, an dem Papier könntest du dich schneiden.“ Das spricht Bände 😀
Warum ich den Begriff Rasenmäher-Eltern ablehne
Im Grunde beschreibt der Begriff Rasenmäher-Eltern einen überfürsorglichen Erziehungsstil. Damit kann ich mich schon eher anfreunden, denn da steckt ja erstmal das Wort „fürsorglich“ darin. Unbestritten eine positive und wichtige Eigenschaft für Eltern. Und das Bemühen um Fürsorge ist auch das, was ich immer wieder sehe und spüre, wenn Eltern über bindungsorientierte und beziehungsorientierte Erziehung sprechen.
Langes Stillen, Tragen, Schlafen im Familienbett – all das sind ja starke Signale dafür, dass wir unseren Kindern eine wohlige Nestwärme schenken möchten und uns ganz intensiv um das Wohl unserer Kinder kümmern. Mag sein, dass wir da mitunter über das Ziel hinausschießen. Wir sind es schon so sehr gewohnt, unsere eigenen Bedürfnisse denen unserer Kinder unterzuordnen, dass wir es kaum noch wahrnehmen.
Gemein sein hilft nicht
Wir machen unsere eigenen Fehler, so wie alle Eltern vor uns. Dennoch wäre niemand auf die Idee gekommen, die Generation unserer Großeltern Schläger-Eltern zu nennen, weil damals teilweise die Auffassung galt, dass ein Klaps auf den Hintern die kindliche Disziplin verbessert. Eltern die ihre Babys schreien ließen, um sie daran zu gewöhnen, allein zu schlafen, taten dies mit bestem Wissen und Gewissen. Es stand ja so in den Ratgebern. Nennen wir die nun Generation Vernachlässigung? Nein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendeinen Nutzen hat, junge Eltern in den breiten Medien mit solch negativ assoziierten Begriffen zu belegen. Wozu soll das gut sein? Es verunsichert betroffene Eltern noch mehr oder es führt zu einer Abwehrhaltung, denn niemand will sich so betiteln lassen. Es füttert Kritiker mit gemeinen Begriffen, mit denen sie uns diffamieren können, wenn die Kinder nicht so funktionieren, wie sie das ihrer Meinung nach sollen.
Unkonstruktives Elternbashing hin und her. Ich denke an der Kritik der Rasenmäher-Eltern (oder schöner: einer fürsorglichen Elterngeneration) ist schon etwas dran.
Wir googeln jeden Pups unseres Sprösslings im Internet, überwachen unsere Babys im Schlaf mit Kameras und kleben jede Tischkante ab, damit der kleine Lauflerner sich ja nicht das empfindliche Köpfchen stößt. Wir zeigen, wo die Puzzleteile hingehören, damit unser Kind das nicht lange selbst herausfinden muss und ziehen lieber selbst Jacke und Stiefel des Kindes an, weil es uns sonst viel zu lange dauert.
Ob das wirklich nur eine Eigenart unserer Elterngeneration ist, wage ich zu bezweifeln. Denn genau diese Dinge macht meine 65-jährige Mutter aber auch. Da wird der Enkel umsorgt, betüdelt und definitiv nicht zur Selbstständigkeit angeleitet.
Was passiert mit Kindern von Rasenmäher-Eltern?
Kinder brauchen unsere Unterstützung und Hilfe in vielen Lebensbereichen. Und das umso mehr, je kleiner sie sind. Doch nicht umsonst heißt es schon seit Goethes Zeiten „Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.“ Diese metaphorischen Flügel, die sie in die Welt hinaustragen, die wachsen Tag für Tag ein wenig mehr schon ab dem ersten Tag. Es sind unter anderem die Fähigkeiten, die unser Kind sich aneignet, um sich selbst in der Welt zurechtzufinden.
Dafür braucht es unser Vertrauen darin, dass sie das meistern werden – und zwar auch, wenn es mal schwierig wird. Kinder zeigen uns ja schon ganz früh, dass sie Dinge „alleine machen“ wollen. Und je mehr wir das unterbinden, desto mehr lernt unser Kind, dass es das gar nicht kann und auf unsere Hilfe angewiesen ist. Vielleicht lernt es auch, dass Herausforderungen nichts Gutes sind. Jedenfalls wenn wir immer sofort zur Hilfe eilen, sowie sich nur die kleinste Herausforderung anbahnt.
Kinder brauchen Herausforderungen
Ein anderes Sprichwort sagt „Der Weg ist das Ziel“. Ich sehe da ganz klar vor meinem inneren Auge ein Kind, das immer wieder versucht, sich eine Fähigkeit anzueignen, zum Beispiel die Hose anzuziehen. Für ein Kind, das das zum ersten Mal versucht, geht es ja nicht nur darum, dass am Ende eine Hose an den Beinen ist. Es geht darum Schritt für Schritt zu lernen, wie das geht. Dafür braucht es Neugier, einen Tüftlergeist, Geduld und Durchhaltevermögen. Und Kinder haben meist auch noch gar keinen Anspruch, dass das jetzt sofort funktionieren muss. Diesen Anspruch haben wir und dann helfen wir und stellen uns in diesen schönen Weg des Lernens. Wir vermitteln unserem Kind, dass es immer sofort klappen muss und nehmen ihm die Möglichkeit, Frustrationstoleranz – also die Fähigkeit dranzubleiben, auch wenn es nicht sofort klappt – zu entwickeln.
Ein Kind, das immer wieder die Erfahrung machen durfte, dass es allein dazu in der Lage ist, Herausforderungen zu meistern, entwickelt im Idealfall die Grundhaltung „Ich kann alles schaffen, was ich mir in den Kopf setze“. Und das wollen wir doch erreichen.
Zwischen Fürsorge und Überfürsorge: Die richtige Balance finden
Mein Sohn ist inzwischen drei Jahre alt und entsprechend schwer. Trotzdem wäre er am liebsten immer auf Mamas Arm. Und wenn ich mich fit fühle, dann darf er da auch sein. Er kann sich alleine anziehen, aber manchmal spielt er Baby und dann soll ich das für ihn machen. Und das mache ich auch, weil er es genießt und sich geliebt fühlt. Und das ist etwas, das wir unseren Kindern mit auf den Weg geben dürfen. Dass wir für sie da sind, sie lieben und unterstützen. Überfürsorge ist für mich etwas anderes.
Überfürsorge ist für mich das ständige Einmischen in Dinge, die Angelegenheiten meines Kindes. Das hängt für mich stark zusammen mit fehlendem Vertrauen darin, dass mein Kind eben diese Dinge meistern wird. Das fängt schon ganz klein an, indem wir auf dem Spielplatz ständig Vorschläge machen wie „Rutsch doch mal diese Rutsche runter und danach kannst du ja zum Trampolin“ und endet dann womöglich darin, dass wir für unsere Kinder die Hausaufgaben erledigen, damit sie keine schlechten Noten bekommen.
Wenn wir unseren Kindern jeden Stein aus dem Weg räumen und ihnen womöglich noch das eigene Denken abnehmen, dann überschätzen wir maßlos unsere Rolle als Eltern. Wir fühlen uns verantwortlich für die Erfolge und Misserfolge unseres Kindes. Und wir unterschätzen eben auch unsere Kinder. Und das hat natürlich auch einen Einfluss darauf, wie sie sich selbst sehen.
Fazit
Es gibt viele Situationen, denen ein Kleinkind nicht gewachsen ist und bei denen du es unterstützen darfst. Ein Kleinkind braucht deine Hilfe beim Regulieren seiner Emotionen. Es braucht deine volle Aufmerksamkeit und Vorsicht im Straßenverkehr. Dein Kind braucht auch deine Hilfe im Umgang mit digitalen Medien, die – ohne kompetente Anleitung – eine Gefahr darstellen können, die es früher gar nicht gab.
Aber dein Kind braucht auch dein Vertrauen. Nach und nach solltest du ihm zeigen „Mama und Papa glauben an dich. Du wirst es schaffen. Vielleicht nicht immer sofort und das ist völlig ok. Aber auf deine Weise.“ Und das Schöne ist, dass das Vertrauen auf beiden Seiten wächst. Je mehr du beobachtest, wie sich dein Kind in der Welt zurechtfindet, wächst dein Vertrauen in seine Eigenständigkeit.
Dein Kind lernt aus seinen Misserfolgen mindestens genauso viel, wie aus seinen Erfolgen: Frustrationstoleranz, Geduld, Selbstvertrauen, Hartnäckigkeit.
Übrigens gibt es Studien, die belegen, dass überfürsorgliche Eltern durchaus erfolgreiche Kinder großziehen. Sie haben bessere Schulnoten, nehmen weniger Drogen, warten länger, bis sie sexuelle Beziehungen eingehen und schlagen häufiger eine akademische Laufbahn ein. Es ist eben nicht immer alles nur schwarz und weiß.
Quellen
- Wikipedia: Helikopter Eltern
https://de.wikipedia.org/wiki/Helikopter-Eltern (abgerufen am 11. August 2020) - FAZ: Schluss mit dem Elternbashing, Lob der Helikopter-Eltern
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/schluss-mit-dem-eltern-bashing-lob-der-helikopter-eltern-12536105.html (abgerufen am 11. August 2020)
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