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Stillen in der Öffentlichkeit: Was ist heute ok?

öffentlich stillen
Frau stillt ihr Baby in der Öffentlichkeit

Am Stillen in der Öffentlichkeit scheiden sich die Geister. Für die einen ist es die natürlichste Sache der Welt. Andere empfinden es als unangenehm und unangemessen. Woher kommt diese Scham? Wie sollten stillende Mütter damit umgehen? Gibt es Gesetze, die das Stillen in der Öffentlichkeit regeln? Wir erklären es euch!

Wir leben im 21. Jahrhundert. Nackte Haut zur Primetime im Fernsehen: kein Problem! („Adam sucht Eva“ lässt grüßen.) Musikerinnen, die sich nackt auf einer Abrissbirne räkeln – keine große Sache, vielleicht sogar künstlerisch wertvoll. Aber wehe, eine Mutter stillt ihr Kind in der Öffentlichkeit! Dann hagelt es plötzlich blöde Kommentare und schiefe Blicke.

Stillen: ja! Aber bitte daheim! – So der weit verbreitete Tenor. Weshalb ist das so? Weshalb sind nackte Brüste im TV „normal“, aber wenn es ums Stillen geht plötzlich nicht mehr? Wir haben uns dazu einmal Gedanken gemacht…

Was bedeutet Stillen?

Stillen erfüllt verschiedene Bedürfnisse. Es spendet Wärme, Geborgenheit, Trost und vieles mehr. Und es ernährt ein Baby. Es ist die natürlichste Sache der Welt. Dennoch ist es mit der Akzeptanz nicht weit her, wenn eine Mutter diese grundlegenden Bedürfnisse ihres Babys in der Öffentlichkeit befriedigen möchte.

„Muss sie jetzt hier ihre Brüste auspacken?“
„Kann sie das nicht zu Hause machen?“
„Soll sie das Baby halt mal schreien lassen!“
„Also mir wäre das ja unangenehm…“

Schiefe Blicke und blöde Kommentare – so sieht oft die Realität aus, wenn eine Frau ihr Baby in der Öffentlichkeit stillt. Dass sie das tut, um den Hunger, den Durst und das Nähebedürfnis ihres Babys zu stillen: egal. Dann soll sie die Mahlzeiten eben besser planen und rechtzeitig zum Stillen zu Hause sein. Oder ein Fläschchen einpacken. Aber ist es so einfach?

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Stillen aus evolutionsbiologischer Sicht

Ein Blick auf die Evolutionsbiologie erklärt, weshalb es für Babys so wichtig ist, dass ihre Signale verstanden und ihre Bedürfnisse erfüllt werden – und zwar möglichst unmittelbar. Babys kommen „unreif“ als Traglinge zur Welt. Sie sind auf unsere Hilfe angewiesen. Früher wären Babys erfroren oder wilde Tiere hätten sie gefressen, hätte sich niemand um sie gekümmert. Und sie wären verhungert. Diese Urängste sind auch heute noch tief in unseren Babys verwurzelt. Merken sie, dass niemand auf ihre Bedürfnisse eingeht, löst das ebendiese Urängste aus. Ein Baby schreien und warten lassen, wenn es Hunger oder das Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit hat, ist somit keine gute Idee. Das kann das Urvertrauen nachhaltig schädigen.

Abgesehen davon: Wenn wir unterwegs Hunger haben, essen wir einen Schokoriegel oder holen uns einen Snack beim Bäcker um die Ecke. Wir warten nicht, bis wir zu Hause sind. Wir beißen herzhaft hinein. In der Öffentlichkeit. Schließlich haben wir jetzt Hunger, nicht später. Von unseren Babys wird „verlangt“, dass sie sich gedulden. Ziemlich komische Logik, oder!? Dennoch gibt es genügend Menschen, die Stillen in der Öffentlichkeit als unangemessen und unangenehm betrachten. Leider.

Die Folge: Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov aus dem Jahr 2020 zufolge fühlen sich 77 Prozent der Frauen unwohl, wenn sie ihre Kinder in der Öffentlichkeit stillen. Ein traurig hoher Wert…

Weshalb ist Stillen in der Öffentlichkeit immer noch verpönt?

Beim Stillen geht es darum, die Bedürfnisse des Babys zu befriedigen. Es geht um Ernährung, um Nähe. Es geht aber auch um Intimität, um Körperlichkeit. Es ist ein intimer Vorgang zwischen Mutter und Kind. Auch wenn diese Intimität nichts mit Sexualität zu tun hat, ist es manchen Menschen unangenehm, Zeuge davon zu sein. Denn leider wird die weibliche Brust in unserer Gesellschaft eben doch oft sexualisiert. Sie wird nicht mehr als das betrachtet, was sie von Natur aus ist: die natürliche Nahrungsquelle für Babys.

Aus dieser Sexualisierung entsteht bei vielen Menschen ein Schamgefühl. Teils ist dieses Schamgefühl angeboren, teils kulturell geprägt. So oder so führt dieses Schamgefühl dazu, dass sich manche Menschen durch den Anblick einer stillenden Frau gestört fühlen.

Sind wir also zu verklemmt?

Die Zeitschriften und Werbeplakate mit nackten Frauen, die uns im Alltag begegnen, zeugen vom Gegenteil. Dieser Anblick ist für uns inzwischen normal. Der Anblick einer stillenden Mutter scheinbar nicht. Der bereits erwähnten YouGov-Umfrage zufolge ist es 48 Prozent der Bundesbürger unangenehm, Mütter beim Stillen zu sehen. Obwohl der Brustanteil, den man beim Stillen sieht, wesentlich geringer ist als bei vielen Werbeanzeigen…

Immerhin: Eine Befragung der Nationalen Stillkommission Deutschlands lässt hoffen, dass wir endlich auch hierzulande in puncto öffentliches Stillen auf einem guten Weg sind. Die Befragung ergab, dass nahezu die Hälfte der Bevölkerung öffentlich stillende Mütter gar nicht wahrnimmt. Lediglich sechs Prozent der Befragten störten sich tatsächlich an dem Anblick.

Gibt es Gesetze, die das Stillen in der Öffentlichkeit regeln?

In Ländern wie Großbritannien oder Australien haben Mütter per Gesetz das Recht, an jedem Ort in der Öffentlichkeit zu stillen. Sie können sogar Anzeige erstatten, wenn ihnen beispielsweise ein Cafébesitzer das Stillen untersagt.

In Deutschland gibt es keine Gesetze, die das Stillen in der Öffentlichkeit regeln. Eine entsprechende Petition des Deutschen Hebammenverbandes, der seit Jahren ein Gesetz zum Schutz des Stillens in der Öffentlichkeit fordert, fand im Bundestag kaum Beachtung. In Cafés, Museen, Tierparks et cetera darf daher der Besitzer sein Hausrecht ausüben. Er kann das Stillen erlauben oder untersagen – ganz wie er möchte.

Besser gleich eine stillfreundliche Location auswählen

Zum Glück gibt es auch viele familien- und stillfreundliche Cafés, Restaurants et cetera, die mit gutem Beispiel vorangehen und Stillende mit offenen Armen empfangen. Bestimmt auch in deiner Stadt! Nutze diese Örtlichkeiten und lasse dich von Blicken nicht „einschüchtern“. Je mehr Frauen öffentlich stillen, desto selbstverständlicher wird es.

In manchen Regionen (etwa in der Metropolregion Rhein-Neckar) gibt es sogar Initiativen, im Rahmen derer stillfreundliche Orte mittels Aufklebern in (Schau-)Fenstern von Restaurants, Geschäften und anderen Einrichtungen gekennzeichnet werden. Außerdem setzen sich immer mehr Frauen weltweit für die Enttabuisierung des öffentlichen Stillens ein, indem sie mit einem Breastfeeding-Selfie (kurz Brelfie) ein Statement setzen. Es tut sich also etwas. Wenn auch nur langsam.

Tipps für das Stillen in der Öffentlichkeit

Ganz wichtig: Trete selbstbewusst auf. Lass dich nicht dazu überreden, zum Stillen die Toilette aufzusuchen. Schließlich käme auch kein Erwachsener auf die Idee, das Mittagessen auf einer öffentlichen Toilette einzunehmen! Weiterhin solltest du…

  • stilltaugliche Kleidung wählen. Es gibt (Still-)Shirts, Blusen und Kleider, die das Stillen unkompliziert möglich machen. Ein dünner Schal schützt dich und dein Baby vor neugierigen Blicken.
  • von vornherein eine ruhige Ecke suchen. Setze dich im Restaurant, Café et cetera von vornherein in eine ruhige Ecke. Dann bist du vor neugierigen Blicken geschützt und dein Baby hat mehr Ruhe beim Trinken.
  • bei ersten Anzeichen von Hunger stillen. Wenn du merkst, dass dein Baby hungrig wird, solltest du es direkt stillen. Bevor es vor Hunger unruhig wird und schreit. Wenn du gleich auf die ersten Hungeranzeichen reagierst, kannst du dein Kind ganz entspannt stillen – ohne Stress und genervte Blicke.

Fazit

Eigentlich traurig, dass es im 21. Jahrhundert notwendig ist, einen solchen Artikel zu schreiben! Stillen ist die natürlichste Sache der Welt. Auch in der Öffentlichkeit. Je mehr Mamas selbstbewusst öffentlich stillen, desto normaler wird es. Nur so lässt sich eine Akzeptanz in der Gesellschaft aufbauen, wie das beispielsweise in Großbritannien oder Australien der Fall ist. Sei selbstbewusst! Du stillst ein Bedürfnis deines Babys. Was sollte daran verwerflich sein!?

Sag uns, was du denkst

Wie findest du Stillen in der Öffentlichkeit?

🎧 Podcast: Warum ich mein Kind lange gestillt habe

Langes Stillen kommt gar nicht so selten vor. Und ist trotzdem ein Tabuthema. Doch warum eigentlich? Warum stillen einige Mütter ab einem bestimmten Alter nur noch heimlich weiter? Und was steckt wirklich hinter negativen Reaktionen aus dem Umfeld und Klischees rund ums Langzeitstillen?

All diese Fragen beantwortet Expertin Kathrin Burri in dieser Folge. Außerdem gibt sie einen Einblick in die vielseitigen Erfahrungen lange stillender Mütter, erklärt die Beweggründe für langes Stillen und die Vorteile. Wir tauschen uns aber auch ehrlich über schwierige Momente und unsere eigenen Erfahrungen aus. Dabei ist Kathrin wunderbar undogmatisch und bestärkend.

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Welche Erfahrungen habt ihr mit dem Stillen in der Öffentlichkeit gemacht? Wir freuen uns über eure Kommentare!

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Quellen

✔ Inhaltlich geprüft am 26.09.2022
Dieser Artikel wurde von Emely Hoppe geprüft. Wir nutzen für unsere Recherche nur vertrauenswürdige Quellen und legen diese auch offen. Mehr über unsere redaktionellen Grundsätze, wie wir unsere Inhalte regelmäßig prüfen und aktuell halten, erfährst du hier.

Veröffentlicht von Patricia Schlösser-Christ

Patricia widmet sich als Kulturanthropologin mit Leidenschaft der Kindheits- und Familienforschung. Ihre liebsten (und herausforderndsten) „Studienobjekte“ sind ihre beiden kleinen Töchter. Wenn sie nicht gerade Feldforschung im Kinderzimmer ihrer kleinen Rasselbande betreibt, powert sie sich beim Handball aus.

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