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Eine Stillgeburt bewältigen – ein Erfahrungsbericht

Wie verarbeitet man, wenn das eigene Kind tot geboren wird? Ein Erfahrungsbericht
Es braucht Zeit, um das Geschehene zu verarbeiten. / Bild ©LightFalcon, Getty Images

Wie es ist, ein Kind still zur Welt zu bringen, und wie Sterneneltern aus der Leere zurückfinden können, schildert Anna in diesem berührenden Erfahrungsbericht. Danke dafür.

Warum nur, warum ich?

Ich erinnere mich noch an die Momente des Wartens mit dir, meinem toten Baby im Bauch. Zutiefst traurig und einerseits wollte ich, dass die Geburt schnell losgeht, damit ich es hinter mir habe. Gleichzeitig wusste ich, dass die Geburt bedeutet, dich für immer loszulassen. Ich fühlte, dass die Geburt Abschied bedeutet, und es war schwer, dich hinauszulassen, dich gehen zu lassen, deinen Körper, der über ein halbes Jahr in mir gewachsen war, gehen zu lassen.

Ich hatte ein Mittel zum Wehen einleiten bekommen und wartete. Nach vielen Stunden merkte ich plötzlich nachts, wie die Fruchtblase geplatzt war und die Wehen einsetzten. Ich versuchte zu atmen. Ich versuchte loszulassen. Ich wusste, wenn ich dich jetzt auf die Welt bringe, wirst du bald nicht mehr bei mir sein. Die Tränen flossen während der Geburt. Es tat so weh, dich gehen lassen zu müssen. Ich hatte mir doch schon das Leben mit dir vorgestellt. Ich wollte dich halten, stillen und streicheln.

Warum?

Immer wieder diese Frage.

Warum bestraft mich das Leben?

Warum bist du nicht dageblieben?

Eine sehr einfühlsame Ärztin und eine Hebamme standen mir zur Seite. Ich hielt durch ohne PDA.

Und dann warst du da.

Die Hebamme wickelte dich in ein Tuch und legte dich in ein Körbchen direkt neben mir. Dein Papa kam wieder ins Zimmer. Den hatte ich hinausgeschickt, als die Presswehen anfingen.

Zum ersten Mal in 9 Jahren Beziehung sah ich ihn weinen und wie er in diesem Moment realisierte, dass er Vater wurde. Vater von dir, du wunderbarer Schatz, der nicht bei uns bleiben konnte. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir verweilten. Ich war sehr, sehr erschöpft und konnte vor Erschöpfung nicht weinen. Es war der traurigste Moment in meinem Leben und gleichzeitig ein Wunder, dich, meinen Sohn, unseren Sohn, mit den schönen schwarzen Haaren, zu sehen. Du warst in mir gewachsen und durch unsere Liebe entstanden. Du sahst so schön aus, und wir sind in diesem Moment Eltern geworden. Was für ein Schmerz, wenn der erste Moment zugleich der letzte ist.

Dann kam der Moment des Abschieds, und wir verließen das Krankenhaus. Wir gingen nach Hause, und du bliebst da. Es zerriss mein Herz. Unser Baby, das 26 Wochen in mir gewachsen ist, mit dem ich so eine intensive Zeit verbracht hatte, blieb da. Ich war mit meinem schwangeren Bauch und dir ins Krankenhaus hineingegangen und bin ohne dich wieder gegangen. Ich saß im Auto auf dem Weg nach Hause, und die Tränen liefen mir über die Wangen. Ich dachte damals, dieser Schmerz hört nie auf, mein Herz zerreißt. Das Nachhausekommen war schrecklich. Ich wollte einfach nicht mehr sein. Ich wollte diesen Schmerz nicht mehr fühlen. Meine Brust, die bereit war zu stillen, mein Bauch, der fast schon wieder flach war.

Aber wo warst du?

Durch die stille Geburt in der 26. SSW hatte ich acht Wochen Mutterschutz und Zeit für meine Trauer. Ich war sehr zurückgezogen und weinte tagelang. Unser Umfeld war sichtlich überfordert mit unserem Verlust, aber das war mir eigentlich egal. Die Welt stand still, nichts war mehr wichtig. Ich fühlte mich wie gelähmt und einfach nur verzweifelt.

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Mir wurde damals eine Hebamme empfohlen, die auf Trauerbegleitung spezialisiert war. Es half mir sehr, mit ihr zu sprechen, und sie kontrollierte auch meine körperliche Rückbildung. Ich fing an, weiter nach Hilfe zu suchen. Ich machte einen Rückbildungskurs für „verwaiste Mütter“, ich hätte nie gedacht, dass mal so ein Begriff mit mir zu tun haben würde. Es tat mir gut, mit anderen Betroffenen in einem Raum zu sein und gemeinsam etwas für uns zu tun, für die Rückbildung, aber auch für die Beziehung zu unserem Körper.

Ich besuchte Selbsthilfegruppen von Sterneneltern. Der Austausch mit Betroffenen, die ähnliche Gefühle durchlebten wie ich, half mir sehr. Da fühlte ich mich verstanden. Es tat gut, von der Geburt unseres Sohnes zu erzählen. Eine Geburt ist eine überwältigende Erfahrung und wird in den meisten Fällen mit dem Kind im Arm „belohnt“, doch für mich war es wichtig, über die Geburt zu sprechen, auch wenn unser Sohn nicht gelebt hat. Ich begann damals mit Yoga, und dies half mir wieder, eine liebevolle Beziehung zu meinem Körper herzustellen und ihn so anzunehmen, wie er ist.

Für meinen Mann war es eine herausfordernde Zeit, mich so leiden zu sehen. Er trauerte auch, aber anders. Er stürzte sich in seine Arbeit und sprach mit vielen Menschen über unser Schicksal, während ich mich nur verkriechen wollte. Gemeinsame Rituale wie das Anzünden einer Kerze abends oder der Besuch am Grab unseres Sohnes halfen uns immer wieder, über das Erlebte und die damit verbundenen Emotionen zu sprechen. Er half mir, aus meinem Schneckenhaus herauszukommen. Mehr denn je wünschten wir uns eine Familie zu gründen, und so kam es auch: Nach 3 Monaten war ich wieder schwanger. Aber zerrissen zwischen Hoffnung, Ängsten um das Regenbogenbaby und der Trauer um unser Sternenkind.

Durch diese zutiefst schmerzhafte Erfahrung fing ich an, über mich und das Leben nachzudenken. Wie wollte ich weiterleben? Was wollte ich verändern? Ich merkte, wie sehr ich durch meine Arbeit damals unter Druck war und wie gut es mir tat, einmal „nichts“ tun zu müssen, nichts leisten zu müssen. Es war heilsam für mich, dieses Innehalten, auch wenn es eine sehr schmerzhafte Zeit war.

Was ich jeder Frau raten kann

  • Nimm dir die Zeit, die du brauchst.
    Für deine seelische und körperliche Verarbeitung. Wir denken immer, wir müssen, müssen, müssen und vergessen dabei auf unsere Seele und unseren Körper zu achten. Diese Botschaft gebe ich heute an viele Frauen weiter: Es geht um Selbstfürsorge, Selbstannahme und Selbstliebe. Kümmere dich um dich. Niemand kann das für dich tun! Und auch wenn du keinen Anspruch auf Mutterschutz hast, kann jede Ärztin eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen.
  • Suche und erlaube dir Hilfe!
    Du musst das nicht alleine schaffen! Es gibt die Möglichkeit, Unterstützung von einer Psychotherapeutin oder einem Coach zu bekommen, jemandem, der dich im Trauerprozess begleitet. Es kann auch hilfreich sein, eine Osteopathin aufzusuchen, um die natürliche Rückbildung des Gewebes zu unterstützen sowie die Verschiebung von Kreuzbein und Schambein zu regulieren. Das Gebären eines toten Babys kann ein Geburtstrauma hinterlassen, das sich auch auf körperlicher Ebene festsetzt.
  • Gehe in den Austausch mit anderen Betroffenen.
    Es gibt tolle Selbsthilfegruppen, wo es möglich ist, sich mit anderen Frauen auszutauschen, die Ähnliches erlebt haben. Dies kann dir helfen, deine Gefühle zu verarbeiten und anzunehmen und zu sehen, dass du mit deinen Gefühlen nicht alleine bist.

Meine Filmempfehlung 

Durch den Austausch meines Mannes mit vielen Menschen, kam es dann auch dazu, dass wir von der Regisseurin Anne Zohra Berrached angesprochen wurden, die einen Kinofilm zu einem Thema machen wollte, das unserer Geschichte sehr ähnlich war. So wurde ich Beraterin ihres Kinofilms „24 Wochen“, der später viele Preise wie den Deutschen Filmpreis gewann. Den Film findet ihr in der ZDF Mediathek. (Trailer)

Es geht um ein Paar (Julia Jentsch und Bjarne Mädel), das im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft erfährt, dass ihr Kind schwer krank ist. Sie stehen vor der Entscheidung, ob sie die Schwangerschaft fortsetzen werden oder nicht, und schließlich wird ihr Baby still geboren. 

Anne Zohra Berrached erzählt diese Geschichte sehr einfühlsam. Sie hat den Film unserem Sternenkind gewidmet. In der Entwicklungsphase des Drehbuchs sprachen wir viel über unsere Erfahrungen und wie es mir dabei ging. Es half mir sehr, dies mehr zu begreifen und in Worte zu fassen. Nicht zuletzt hilft mir auch das Schreiben darüber, den Verlust meines Kindes Stück für Stück zu verarbeiten.

Wenn du deine Gedanken dazu mit uns teilen möchtest, hinterlasse gern einen Kommentar.

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Veröffentlicht von Mag. Anna Thayenthal

Anna Thayenthal ist Schwangerschaftscoach und studierte Psychologie und Soziologie an der Universität Hamburg. Sie begleitet Frauen nach einer Verlusterfahrung in der Schwangerschaft im Trauerprozess und in der Folgeschwangerschaft. Auf ihrer Webseite, in den sozialen Medien und in Podcasts schreibt und spricht sie regelmäßig zu Themen rund um Schwangerschaftsverlust und Folgeschwangerschaft, kleine Geburt, stille Geburt, Abbruch nach medizinischer Indikation und Regenbogenschwangerschaft.

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