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Burnout durch Kurse: Wann ist es zu viel für unsere Kinder?

Burnout durch Kurse Wann ist es zu viel fuer unsere Kinder - Burnout durch Kurse: Wann ist es zu viel für unsere Kinder?
Auch wenn Eltern es nur gut meinen, können Kinder schnell überfordert sein. / Bild ©mad_production, Adobe Stock

Zwischen Kita, Schule und Nachmittagskursen bleibt unseren Kindern kaum noch Zeit für sich. Kinder brauchen echte Freizeit! Und das schon als Baby. Was ich damit meine, lest ihr hier:

Mein Kind malt so gerne und geht jeden Freitag in einen Malkurs, dann noch zum Kinderturnen und es trainiert schon von klein auf Eislaufen. Das Flöte üben jeden Tag, macht aber auch Spaß. Der Ballettkurs für Kleinkinder fördert das Körpergefühl und frühes Tanzen – so oder so ähnlich argumentieren wir Eltern, wenn es um die (oft von uns) ausgesuchten Freizeitaktivitäten unserer Kinder geht. Schließlich können wir mit der Förderung unseres Nachwuchses nicht früh genug anfangen. Und zugegeben: Musik, Tanz, Sport und Basteln hat viel Gutes. Neben der Motorik, einem guten Gehör, dem Teamgeist und der Kreativität wird damit viel angesprochen und vielleicht sogar gefördert und gefordert. Aber ist das vorgegebene Programm der Kleinen wirklich sinnvoll? Und ist das noch Freizeit? 

Was ich an Kinderkursen problematisch finde

Ich möchte gar nicht anzweifeln, dass die Kursangebote mit ganz viel Liebe, Erfahrung und Expertise erstellt und angeboten werden. Und auch wir Eltern wollen nur das Beste für unsere Kinder und ihnen etwas mitgeben, was sie später weiterbringt. Oder sich vielleicht sogar eine Berufung daraus finden lässt.

Aber bei vielen Kursen gibt es ein vorgegebenes Programm: Spielen, Tanzen, Turnen oder Malen nach detaillierten Vorgaben eines Erwachsenen. Oft noch mit Dresscode und Frisurenvorgabe, wie beim Ballett oder Leistungsturnen. Und das kann laut Experten problematisch sein. Denn schon in der Kita und in der Schule müssen unsere Kinder täglich einfach nur funktionieren. Der Autor Sebastian Purps-Pardigol beschäftigt sich mit moderner Hirnforschung und sagte mir in einem Gespräch zum Thema:

„Wir wissen aus Experimenten, dass erzwungenes Verhalten – ob es nun bei Kindern oder bei Erwachsenen stattfindet – zu ungünstigen neuronalen Entwicklungen führen kann.“

Und das möchte bestimmt niemand für sein eigenes Kind. 

Kinder wollen ihren Eltern gefallen

Einige Familien können sich vielleicht auch nicht davon frei machen, dass es schon immer so war, dass in der Familie Schach, Klavier, Golfspielen oder Segeln gelernt wurde. Zugegebenermaßen ist das nicht nur eine schöne Tradition, es schafft auch Gemeinsamkeiten, eine Verbindung und stolze Momente.

Aber was, wenn sich das Kind davon eher eingeschüchtert fühlt? Es etwas ganz anderes möchte? Nicht in Konkurrenz mit den Eltern im gleichen Sport oder im Vergleich beim Musizieren mit anderen Familienmitgliedern stehen möchte? Was ist, wenn das Kind nur den Eltern zuliebe jeden Sonntag auf dem Fußballplatz oder an der Ballettstange steht? Denn Kinder wollen ihren Eltern gefallen, sie kooperieren und wollen ihr Umfeld glücklich machen, weil der Wunsch nach Verbundenheit stark ist. Diese neurobiologischen Grundbedürfnisse könnten Eltern mit Freude über das Hobby an sich verwechseln. 

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Förderitis macht krank 

Pädagoge André Frank Zimpel, der über frühkindliche Entwicklung forscht, wird deutlich:

„Es gibt mehrere Wege, Kinder gesund ins Erwachsenenalter zu begleiten, nur etwas sollten Sie unbedingt vermeiden: Förderitis.“

In Zimpels Buch „Lasst unsere Kinder spielen!“ steht auch ein provokantes Vorwort von Professor Gerald Hüther, ehem. Leiter der Zentralstelle für Neurobiologische Präventionsforschung der Universitäten Göttingen und Mannheim/ Heidelberg:

„Wenn Kinder nicht mehr frei und unbekümmert spielen können, so ist das ein untrügliches Anzeichen einer schweren Störung. Zu suchen ist diese Störung allerdings nicht bei den Kindern, sondern bei denjenigen Personen, die den Kindern ihre angeborene Lust am freien, unbekümmerten Spiel geraubt haben. Es wird noch einige Zeit dauern, bis diese Erkenntnis bei allen Eltern und Frühpädagogen angekommen ist. Zu tief und zu fest hat sich die Überzeugung in die Hirnwindungen der meisten Erwachsenen eingefressen, dass Kinder so früh wie möglich und so effizient wie möglich auf die Anforderungen unserer gegenwärtigen Leistungsgesellschaft vorbereitet werden müssen. Aber Kinder funktionieren nicht wie Maschinen. Und das kindliche Gehirn ist auch kein Computer, den es möglichst effizient zu programmieren gilt, oder gar so etwas wie ein leeres Fass, das mit möglichst viel Wissen abzufüllen ist. … Nur dort, wo Kinder frei und unbekümmert spielen können, haben sie Gelegenheit, die in ihnen angelegten Potenziale zu entfalten. Aus sich selbst heraus und mit der damit einhergehenden Begeisterung über sich selbst.“

Frühförderung war übrigens von jeher für Kinder mit Defiziten gedacht. Frühförderung meint pädagogische und therapeutische Maßnahmen für Kindern mit einer Behinderung oder Entwicklungsverzögerungen. Zu viel und zu frühe Förderung kann im schlimmsten Fall ein erfülltes Leben verhindern. 

Kinder brauchen Freiheit für ihre eigene Entwicklung

Und das fängt schon bei den ganz Kleinen an. Es ist wirklich schön, dass es Krabbelgruppen, Eltern-Kind-Yoga, Babyschwimmen, Massagekurse, und PEKiP gibt. Vor allem für die Eltern. Bei den Angeboten, wo Bewegung und Sinne von Säuglingen angeregt werden sollen, sind es vordergründig die Eltern, denen es guttut. Und das spürt am Ende auch das Kind.

Bei planet wissen schreibt der Kollege Ingo Neumayer außerdem zum Thema Entwicklung in den ersten Lebensjahren: 

„Die Wirkung solcher Kurse ist eher gering: Auch ohne PEKiP lernen Kinder krabbeln und laufen. Und durch einen dreiwöchigen Urlaub am Meer kann ein vorher wasserscheues Grundschulkind auf dasselbe Schwimmniveau kommen wie sein Klassenkamerad, der seit dem dritten Lebensmonat jeden Samstagmorgen im Becken verbringt.“

Das regt doch zum Nachdenken an, oder? 

Frühe Selbstbestimmung

Mein Mann und ich haben sehr darauf geachtet, in welchen Kindergarten unser Kind geht. Machen wahrscheinlich alle, denkt ihr jetzt. Wir haben die Kita genommen, die unserem Kind nach dem Schnuppern am besten gefallen hat. Und das war dann tatsächlich die, in der es kein festes Programm und keine (unnötige) Fremdbestimmung gibt. Unser Kind konnte in einem bestimmten Zeitrahmen zum Frühstück oder Mittag gehen, wenn es Hunger hatte. Basteln, toben, Bücher anschauen, rausgehen, sich einkuscheln oder in die Lernwerkstatt, wann und wie es das selbst wollte. Sogar wann wir kommen und von wem es gerade gewickelt oder zur Toilette begleitet werden sollte, konnte es entscheiden.

Jetzt werden viele sagen, das können doch so kleine Kinder noch gar nicht. Doch, das können sie und das Konzept der renommierten großen Kita in Hamburg funktioniert für viele Kinder ganz wunderbar. Es gibt Räume mit offenen Angeboten und Erziehern und Erzieherinnen, die helfen, wenn es gewünscht ist oder das Kind in Ruhe lassen. Unsere Traumkita ist übrigens auch divers und integrativ. In dieser Kita konnte unser Kind sich gut geschützt selbst finden und wunderbar natürlich entwickeln:

Der renommierte Autor und Neurobiologe Gerald Hüther und der Philosoph Christoph Quarch erklären

„Der Mensch ist als Suchender auf dieser Welt unterwegs. In reinster Form lässt sich das bei unseren Kindern beobachten. Sie machen uns vor, wie diese Suche läuft – und zwar beim Spielen. Spielerisch erkunden Sie die Welt und finden schrittweise durch Versuch und Irrtum heraus, was wie funktioniert, was sich auf welche Weise entdecken, gestalten und als neue Erfahrung verankern lässt. Kinderspiele sind immer ambitioniert. Kinder suchen sich aktiv die Anforderungen, die am besten zu ihnen passen. In jeder Lebens- und Entwicklungsphase verfügen Kinder über ein sicheres Gespür dafür, welche Art von Spiel sie jeweils weiter bringen kann: am Anfang sind es eher Spiele mit Gegenständen, später dann Als-ob-Spiele, Rollenspiele und Regelspiele, zuletzt Wettkampfspiele und Gewinn-Spiele. Kein Förderprogramm könnte etwas Vergleichbares leisten. Kinder sind Meister der Spielkunst. Solange man sie ihnen nicht austreibt, was leider häufig geschieht, vor allem durch den Einsatz eines sich ausbreitenden Förderwahns.“

Freiheit statt Freizeitstress

Kinder lernen ganz natürlich und spielerisch, wenn sie dabei frei sind. Meine Mutter hat auch schon immer darauf geachtet, dass wir frei spielen – draußen an der frischen Luft und drinnen. Und uns selbst finden und entfalten können. Mit meiner Hippie-Mutter hatte ich dahingehend also richtig Glück und versuche das auch selbst als Mutter umzusetzen.

Aber auch ich bin nicht frei von Wünschen für unser Kind. Und je kleiner das Kind, desto mehr entscheiden eben die Eltern. Schließlich kann es keine Widerworte geben und wir tun vielleicht automatisch, was wir selbst schön finden. Aber nicht jedes Kind benötigt schon in Kindergarten oder Grundschule ein Hobby. Bis Kinder 10 Jahre alt sind, können diese auch erst mal in Kurse „schnuppern“.

Kinder brauchen Zeit für Spontanität und Erholung

Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass Kinderkurse grundsätzlich nicht schlecht sind. Ganz viele sind auch ganz toll und auch richtig gut. Vor allem, wenn die Kinder den Wunsch danach selbst geäußert haben und mit Zeit und Aufwand glücklich sind. Und es gibt auch immer mehr Angebote für freies Spielen, auch schon für Kleine, wo sich Eltern gemeinsam treffen und die Kids im geschützten Raum einfach machen lassen. 

Die Dosis macht es, denn jedes Kind ist anders und benötigt mehr oder weniger Zeit für sich. Es gibt viel abzuwägen. Experten raten nicht mehr als zwei Nachmittage in der Woche, oder nicht mehr als drei Stunden wöchentlich zu verplanen. Manche Kinder haben auch schon einen langen Kindergarten oder Grundschultag, dem einen können ein Mal die Woche Nachhilfe und ein Hobby bereits zu viel sein. Dann ist es an uns Eltern, das zu erkennen und unser Kind auf seinem ganz eigenen Weg zu begleiten und in seinen Interessen liebevoll und ohne Druck oder Erwartungen zu unterstützen. 

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Quellen

Veröffentlicht von Nina Gaglio

Nina ist Mama eines Grundschulkindes und seit 25 Jahren leidenschaftliche Reporterin und Redakteurin. Angefangen hat alles beim Fernsehen, wo Nina neben ihrem Germanistik, Anglistik und Medienwissenschaften Studium erste Erfahrungen sammeln konnte und dann 12 Jahre blieb. Danach kam viel PR und der Onlinejournalismus dazu. Familien- und Kinderthemen und die Arbeit mit Experten aus diesen Bereichen gehörte auch zum Redaktionsalltag. Und so war es nur logisch, dass Nina nach dem Mutterwerden auch für Parenting-Magazine schrieb.

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