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„Darf ich mal halten?“ – warum dein Baby nicht auf jeden Arm muss

„Darf ich mal halten?“ – warum dein Baby nicht auf jeden Arm muss
Warum Eltern gut auf ihr Bauchgefühl hören sollten, ehe sie das Baby in andere Arme übergeben … Bild © Halfpoint, Adobe Stock

Vielleicht hast du das Gefühl, du müsstest dein Baby aus Höflichkeit über verschiedenste Arme wandern lassen. Warum das Gegenteil der Fall ist und was das Ganze mit eurer Bindung zu tun hat, erfährst du hier.

Das Wichtigste in Kürze

  • Da das Baby sich in dieser Entwicklungsphase als Einheit mit den Eltern (Bindungspersonen) erlebt, kann es mitunter große Unsicherheit auslösen, wenn das Kind ständig auf andere Arme wandert.
  • Gelegentlich oder bei Personen, die das Baby bereits regelmäßig sieht, ist das Ganze unbedenklich.
  • Eltern dürfen im Sinne ihres Babys überlegen, wann sie es auf welche Arme übergeben. Auch ein „Nein“ ist völlig legitim. Das elterliche Bauchgefühl ist hier entscheidend.

„Darf ich das Baby mal halten?“

Dass das Neugeborene bei Besuchen von Arm zu Arm wandert, damit die Eltern entlastet werden oder Angehörige ihm nahe sein und es kennenlernen können, scheint völlig normal und wird selten hinterfragt. 

Denn das Ganze hat natürlich auch einige Vorteile …

Sicher ist es bequem für Eltern, mal einige Handgriffe ohne Baby auf dem Arm machen zu können. Obendrein ist es wundervoll anzusehen, wenn etwa die eigenen Eltern das Baby auf dem Arm halten und es liebkosen. Das schafft liebevolle Erinnerungen und verbindende Momente als Familie. 

Und trotzdem, gibt es eben auch gute Gründe dafür, warum das Baby nicht zwingend auf jeden Arm wandern muss. Denn …

Was du über Babys Bindungsverhalten wissen solltest!

… dein Baby braucht für eine ungehemmte Entwicklung in seinen ersten Lebensmonaten insbesondere: verlässliche Bindungspersonen. 

In der Regel sind die Bindungspersonen die Eltern des Kindes, das muss allerdings nicht zwingend der Fall sein. Je nach Familien- und Lebenskonstellation können diejenigen Babys Bindungsperson sein, die es nach der Geburt durch Zuwendung, Aufmerksamkeit, Vertrauen, Respekt und Liebe täglich begleiten. 

In der Bindungstheorie nach Kinderanalytiker John Bowlby wird zudem noch zwischen primärer und sekundärer Bindungsperson unterschieden. Die primäre Bindungsperson ist in der Regel die Person, die das Baby austrägt, also die Mutter. Die sekundäre häufig der Vater. Sie bilden gemeinsam Babys Bindungsgefüge.

Bei alleinerziehenden Müttern kann aber zum Beispiel auch die Oma oder Freundin die sekundäre Bindungsperson sein, je nachdem, wer nach Mama am meisten für das Baby da ist. 

Die Erfahrungen, die das Baby mit diesem Bindungsgefüge macht, bilden die Basis für …

  • sein Urvertrauen in sich, seine Mitmenschen und seine Umwelt
  • seine sozial-emotionale Entwicklung
  • seine Selbstregulation und Ich-Entwicklung 
  • die Art und Weise, wie es später Beziehungen eingeht und halten kann

Die Qualität der Bindung zu Babys Bindungsgefüge bildet deshalb die Basis für all die Erfahrungen und Herausforderungen, die ihm im weiteren Lebensverlauf noch begegnen werden.

Bedenke: Das Baby nimmt sich etwa bis zum 15. bis 18. Lebensmonat als Einheit mit der primären Bindungsperson und häufig auch mit der sekundären Bindungsperson wahr. Es spürt erst danach, dass es eigene Bedürfnisse hat, die sich von denen des Bindungsgefüges unterscheiden können.

Dein Kind fühlt deswegen auch ganz genau, ob du es gut in andere Arme übergeben kannst oder nicht.

Eine andere Perspektive

Einige Eltern empfinden es als Druck, sofort eine starke Bindung zu dem Baby aufzubauen oder eine verlässliche Bindungsperson zu sein.

Und auch das ist völlig verständlich, legitim und sollte Raum bekommen.

Denn es betrifft vor allem Familien mit traumatischen Geburtserlebnissen, Wochenbettdepressionen, Frühchen, mehreren Kindern oder Säuglingen mit besonderem Pflegebedarf. 

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Wenn du dich hier wiederfindest, sei ganz besonders milde mit dir und gib dir Zeit, dich zunächst von der letzten Zeit zu erholen und zu sammeln. Vermutlich bist du jetzt sogar dankbar um jeden anderen Arm, auf den dein Baby wandern kann, was absolut verständlich ist. 

In diesen speziellen Fällen können Familienhebammen, Kuschel-Paten oder andere nahestehende Personen dir vielleicht dabei helfen, dem Baby das zu geben, was es jetzt gerade braucht. In der Zwischenzeit kannst du überlegen, was genau du brauchst, damit du dem Baby zukünftig eine verlässliche Bindungsperson sein kannst.

Ein Gedankenspiel: Was Baby für eine sichere Bindung zu Anderen braucht

Sobald ein Kind in die Kita oder zur Tagesmutter geht, gibt es die Eingewöhnungsphase, die gezielt zum Aufbau der Bindung zwischen pädagogischer Fachkraft und Kind dient. 

Bezogen auf die Eltern-Kind-Bindung findet diese „Eingewöhnungsphase“ in der Zeit direkt nach der Geburt statt. 

Deswegen kann das Kind sich gar nicht direkt sicher fühlen, wenn es etwa zum ersten Mal auf Omas oder Onkels Arme übergeben wird. Auch diese Bindungen benötigen Zeit, ehe sich eine wirkliche Bindungsqualität entwickeln kann.

Was passiert, wenn das Baby ständig von Arm zu Arm wechselt …

Sobald das Baby auf einen anderen Arm wandert, spürt es also, dass es sich von seinem Bindungsgefüge (in der Regel Mama und Papa) entfernt. 

Da es sich wie oben beschrieben als untrennbare Einheit mit ihnen sieht, kann diese Situation eine große Unsicherheit im Baby auslösen. Das ist gelegentlich kein Problem, regelmäßig kann es aber massive Folgen für die Entwicklungs- und Bindungserfahrungen haben. 

Achte also etwas darauf, dass das Baby nicht ständig zwischen verschiedenen Armen hin- und herbewegt wird. 

Beispiel: Wenn etwa täglich verschiedenste Menschen zu Besuch kommen, muss das Kind nicht zwingend auf jeden anderen Arm wechseln. Trefft ihr euch alle 3 Tage mit der Oma, die das Baby schon gut kennt, sieht die Sache wieder anders aus. 

Du siehst: Hier gibt es kein richtig oder falsch, sondern das Ganze hängt auch immer wieder von euer individuellen Lebenssituation, euren Bedürfnissen als Familie und in erster Linie von eurem Bauchgefühl als Eltern ab. 

Babys Körpergrenzen wahren 

Eine liebevolle Erinnerung an dieser Stelle:

Der Körper eines anderen Menschen gehört immer nur dem anderen Menschen. Das ist bei einem Baby genauso wie bei einem Erwachsenen.

Insgesamt ist es wichtig zu verstehen, dass die Bedürfnisse von Babys über die reine körperliche Nähe deutlich hinausgehen. Und das Bedürfnis danach, nur von seinen Bindungspersonen gehalten zu werden oder eben nicht über verschiedene Arme gegeben zu werden, gehört mit dazu. 

Da Babys dieses Bedürfnis nicht selbst äußern können, liegt diese Entscheidung bei dir als Elternteil.

Du musst dein Baby nicht abgeben, wenn du das nicht möchtest!

Damit das Wohlbefinden des Babys gesichert ist, darfst du also ganz genau deinem elterlichen Bauchgefühl lauschen.

Ob, wie, wo, wann und in welche Arme du das Baby übergeben möchtest, ist ausschließlich deine bzw. eure Entscheidung als Eltern. Das darfst du ganz ihn Ruhe abwägen, immer wieder überdenken, anpassen und genau so nach Außen kommunizieren oder Alternativen zum Kennenlernen des Babys anbieten.

Die Alternativen zum „Baby-halten“

Lade Verwandte und Freunde dazu ein, sich direkt neben dich zu setzen, wenn du das Baby auf dem Arm hast. Wenn sich das für dich gut anfühlt, kann die jeweilige Person auch beim Stillen, Anziehen, oder Wickeln unterstützen.

Auch das gemeinsame Spielen auf der Krabbeldecke ist eine wundervolle Alternative für Angehörige, sich mehr mit dem Baby zu beschäftigen und eine Bindung zu ihm aufzubauen. 

Denn um einem Menschen nahe zu sein, braucht es nicht zwingend Körperkontakt.

Fazit

Häufig haben wir den Eindruck, wir müssten als Eltern bestimmte Dinge zulassen, um anderen ein gutes Gefühl zu geben. Doch das Einzige, was wir in diesem Moment tun, ist, über unsere eigenen Grenzen und Bedürfnisse zu gehen. 

Wir handeln als Elternteile vielmehr für das Wohlbefinden unseres Babys, wenn wir unsere eigenen Grenzen und die unseres Babys eben nicht überschreiten lassen. 

So leben wir dem Kind ganz nebenbei übrigens auch von Anfang an vor, dass es im Leben in Ordnung ist, „Nein“ zu sagen, wenn sich etwas nicht stimmig anfühlt …

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Quellen

  • Davies, Uzodike, van Loon, Wirth (2022). Das Montessori Baby. Geborgen und mit offenen Sinnen ins Leben starten. Weinheim: Verlagsgruppe Beltz.
  • Largo, Remo H. (2016). Babyjahre. Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren (18. Auflage). München/Berlin: Piper Verlag GmbH.
  • ManuEla Ritz, Simbi Schwarz (2022). Adultismus und kritisches Erwachsensein. Hinter (auf-)geschlossenen Türen. Münster: Unrast Verlag.
  • Perls, Frederick S., Hefferline, Ralph F., Goodman, Paul (2015). Gestalttherapie. Grundlagen der Lebensfreude und Persönlichkeitsentfaltung. (9. Auflage). Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2023): Bindung. Streben nach Sicherheit und Geborgenheit. https://www.kindergesundheit-info.de/themen/entwicklung/0-12-monate/bindung/ (abgerufen am 16.11.2023).
  • Kindergartenpädagogik.de (2023): Grundlagen der Bindungstheorie. https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/psychologie/1722/ (abgerufen am 15.11.2023).

✔ Inhaltlich geprüft am 06.12.2023
Dieser Artikel wurde von Emely Hoppe geprüft. Wir nutzen für unsere Recherche nur vertrauenswürdige Quellen und legen diese auch offen. Mehr über unsere redaktionellen Grundsätze, wie wir unsere Inhalte regelmäßig prüfen und aktuell halten, erfährst du hier.

Veröffentlicht von Leonie Illerhues

Leonie war nach ihrem Studium der Heilpädagogik lange im Schulhort-, Kita- und Krippenbereich tätig. Erziehungs- und Entwicklungsthemen im Baby- und Kleinkindalter sind deshalb ihr Steckenpferd. Seit 2022 ergänzt Leonie unser Team mit diesem Schwerpunkt.

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