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Geburten damals und heute: Wie sich die Geburtsmedizin in Deutschland verändert hat

Geburten damals und heute

Dass Babys in Krankenhäusern zur Welt kommen, ist noch gar nicht so lange üblich. Vielleicht hat sogar deine Großmutter oder die Urgroßmutter noch zu Hause entbunden. Auch Väter bei der Geburt sind ein recht „neues“ Phänomen. Was sich in der Geburtshilfe im Laufe der Zeit noch geändert hat, erfährst du in diesem Artikel.

Kleine Geschichte der Geburtshilfe

Überlieferungen zur geburtshilflichen Heilkunde gibt es schon aus der Antike. Als Teil der ärztlichen Kunst wurde sie von Ärztinnen und Hebammen praktiziert. Auch im Mittelalter blieb die praktische Geburtshilfe reine Frauensache. Im 12. Jahrhundert kam die Trotula, das erste Lehrbuch auf dem Gebiet der Frauenheilkunde an die medizinischen Fakultäten in Europa. Zu diesem hatten Hebammen allerdings keinen Zugang. Sie wurden weiterhin von anderen Geburtshelferinnen ausgebildet.

Um das 13. Jahrhundert herum begann die Kirche damit, das Hebammenwesen in ihrem Sinne zu organisieren. Die Geburtshelferinnen mussten sich nun unter Eid dem christlichen Glauben verpflichten. Außerdem sollten sie auf die Verwendung abtreibender oder magischer Mittel verzichten. So ganz traute ihnen die Kirche trotzdem nicht über den Weg. Häufig fielen sie Hexenverfolgungen zum Opfer.

Etwa um das 17. Jahrhundert mischten sich nun auch studierte Ärzte in die Geburtshilfe mit ein. Allerdings nur, indem sie die Hebammen um ihr Wissen auf dem Gebiet prüften. Bis im 18. Jahrhundert die ersten Geburtskliniken unter ärztlicher Führung entstanden. Aufgrund mangelnder hygienischer Zustände lag die Sterberate in diesen Kliniken deutlich höher, als bei Hausgeburten und so wurden sie nur von Prostituierten, Ledigen und Schwangeren aufgesucht, die mit Komplikationen zu rechnen hatten. Denn medizinische Hilfsmittel wie die Geburtszange, die gerade erfunden wurde, durften nur von Ärzten angewendet werden.

Klinikgeburten

Etwa um 1950 leisteten immer mehr Ärzte in Krankenhäusern Geburtshilfe. Zunächst war diese Hilfe wohlhabenderen Schwangeren vorbehalten, die sich den „medizinischen Fortschritt“ leisten konnten. Seitdem studierte Ärzte begannen, sich dem Thema anzunehmen, verdienten Hebammen immer weniger. Ab 1968 trugen Krankenkassen die Kosten einer klinischen Geburt. In der Geburtshilfe (damals ein Teilgebiet der Chirurgie) wurde der Geburtsprozess mit medizinischer Hilfe unterstützt und beschleunigt. Hausgeburten wurden nun zur Seltenheit.

Geburt und Trauma

Kuscheln mit den Eltern, Gebärwannen oder Familienzimmer gab es in den meisten Krankenhäusern nicht. Es ging rauer zu in den Kreißsälen. Oft fanden mehrere Geburten im gleichen Raum statt. Die Frauen waren nur durch einen Vorhang voneinander getrennt. Klar, dass da kein Platz für Gebärhocker, Pezzibälle und derlei Annehmlichkeiten war. Hatte die junge Mutter ihr Baby auf dem Rücken liegend geboren, wurde es erst einmal zum Waschen, Wiegen und Anziehen mitgenommen. Der Vater wurde informiert, denn zum Kreißsaal hatten Partner damals keinen Zutritt. Seine ersten Tage verbrachte das Neugeborene auf der Säuglingsstation und wurde den Müttern alle paar Stunden zum Stillen gebracht. Ende der 60er-Jahre wurden die traumatischen Geburtspraktiken öffentlich diskutiert.

Babys auf Säuglingsstation - Geburten damals und heute: Wie sich die Geburtsmedizin in Deutschland verändert hat
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Wochenbett

Dass Frauen nach der Geburt Erholung brauchen, war schon früher klar. Die Betreuung zuhause durch eine Nachsorgehebamme ist eine relativ neue Annehmlichkeit. Vor 30 bis 40 Jahren war es oft üblich, 1 bis 2 Wochen nach der Geburt auf der Station zu bleiben. Erst vor etwa 25 Jahren ist die Betreuung einer Nachsorgehebamme wieder eingeführt und der Klinikaufenthalt deutlich verkürzt worden. Zuvor mussten die Frauen (je nach Bundesland) z.B. zur Amtsärztin aufs Gesundheitsamt.

Stillen im Wandel der Zeit

Dass das Stillen unter den Voraussetzungen eher weniger gut klappt, ist vorstellbar. Allerdings war das Stillen bis in die 70er-Jahre hinein ohnehin verpönt. Wer es sich leisten konnte, fütterte mit „guter“ Flaschenmilch. Stillen – so die landläufige Meinung – ruiniert die Figur, ist unpraktisch und bedenklich für das Baby. Ein langsamer Wandel setzte ein, als sich Organisationen wie „La Leche Liga“ öffentlich für das Stillen aussprachen und neue medizinische Studien die gesundheitlichen Vorteile der Muttermilch nachwiesen. Dennoch waren Mütter sehr unsicher. Intuition und Erfahrung fehlten ihnen, da ihre Mütter selbst kaum gestillt hatten und sie keine Personen im Umfeld hatten, die sie um Rat fragen konnten. Lange galt die Empfehlung, Babys nach der Uhr, alle vier Stunden zu stillen oder nächtliche Stillpausen einzulegen. Mit der Zeit gab es mehr Stillberaterinnen und Hebammen, die die jungen Frauen unterstützten.

Heute gibt es wieder mehr Stillkinder als Flaschenkinder. Immer mehr Entbindungsstationen tragen das Siegel „Stillfreundliches Krankenhaus“. In diesen Kliniken gibt es speziell geschultes Personal und das frühe Stillen wird grundsätzlich gefördert. Mit der Rückbesinnung auf das Stillen fühlen sich allerdings heute immer mehr Mütter unterdrückt, die nicht stillen können oder wollen.

Rooming-in

Schon in den 20ern gab es einige Frauenkliniken, die Wöchnerinnen und ihre Babys im gleichen Zimmer unterbrachten. Im Nationalsozialismus fand diese Praxis allerdings keinen Anklang. Erst ab Ende der Sechziger begannen Kliniken damit, Müttern und Babys das sogenannte Rooming-in zu ermöglichen.

1984 bieten schon 80 Prozent der Entbindungsstationen Rooming-in an, heute ist es gängige Praxis und bietet viele Vorteile für Mutter und Kind. So wird die frühe Bindung gestärkt und das Stillen gefördert.

Etwa zur gleichen Zeit wurde es Usus, dass auch die werdenden Väter der Geburt beiwohnen. Im Zuge der „sexuellen Revolution“ wurde der Ruf nach Selbstbestimmung der Frau lauter. Nicht nur die Sexualität betraf beide Partner, sondern auch die Schwangerschaft und das Kinderkriegen.

Die Pathologisierung der Geburt

99 Prozent der Geburten in Deutschland finden heute im Krankenhaus statt. Frauen und Neugeborene werden dadurch vermehrt als Patienten behandelt und die Geburt wird quasi zu einem planbaren medizinischen Ereignis. Umfangreiche Risikokonzepte erklären Schwangerschaft und Geburt zu einem organmedizinisch riskanten Ereignis. Schwangere Frauen werden engmaschig überwacht, vermessen und getestet. Wehenfördernde und wehenhemmende Mittel finden genauso regelmäßig Anwendung in den Kreißsälen wie die PDA.

Der medizinische Fortschritt bringt Sicherheit und Gewissheit in den Prozess der Schwangerschaft. Heute sterben kaum noch Mütter an den Folgen einer Geburt und Schädigungen am Baby können frühzeitig erkannt oder sogar behandelt werden.

Die rasante Zunahme der Kaiserschnitte

1991 lag die Kaiserschnittrate in Deutschland bei 15,3 Prozent. Innerhalb von nur 20 Jahren, hat sie sich auf über 30 Prozent verdoppelt. Auch dies scheint eine Folge des „medizinischen Fortschritts“ und der gewachsenen Anzahl der Krankenhausgeburten zu sein. Die unterschiedliche Bewertung der medizinischen Indikationen scheint dazu zu führen, dass die Kaiserschnittraten teilweise erheblich variieren. 2017 lag die Kaiserschnittquote im Bundesland Sachsen bei 24 Prozent am niedrigsten im deutschlandweiten Vergleich. Das Saarland hatte mit einer Quote von 37,2 Prozent die meisten Entbindungen per Kaiserschnitt.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hält eine Kaiserschnittrate von 15 Prozent für medizinisch notwendig.

Wie viel Sicherheit ist zu viel?

Ärzte wie Grantly Dick-Read, Frédérick Leboyer, Michel Odent sowie viele Hebammen setzen sich schon seit Jahrzehnten für einen Stimmungswandel ein. Sie argumentieren, dass diese Sicht auf die Geburt und die umfangreichen medizinischen Maßnahmen sich selbst verstärken. Unbekannte Krankenhausumgebungen, die Anwesenheit fremder Ärzte, das Einsetzen von allerlei medizinischen Hilfsmitteln erschweren ihrer Meinung nach die natürliche Geburt. Medizinische Hilfsmittel sind gerade in Krankenhäusern notwendig, weil die Umgebung und die Umstände keine guten Voraussetzungen für eine spontane Geburt bieten.

Selbstbestimmt und natürlich gebären

Zeitgleich zeichnet sich ein Trend zur sanften Geburt ab. Mehr Einrichtungen entsprechen dem Wunsch von Frauen nach einer Geburt ohne technische Hilfsmittel mit entsprechender Geburtsvorbereitung und Entspannungstechniken. Gebärhocker, Gebärwannen und andere Hilfen, die eine natürliche Gebärposition ermöglichen, sind inzwischen Standard in vielen Krankenhäusern. Zur seelischen Unterstützung dürfen Väter grundsätzlich am Geburtsgeschehen teilhaben.

Heute ist es in vielen Krankenhäusern möglich, selbstbestimmt und sanft zu gebären. Dabei profitieren Frauen dennoch von den notwendigen medizinischen Voraussetzungen, die sie gegen auftretende Probleme absichern.

Die Rolle der Väter bei der Geburt

Obwohl die Geburt seit jeher Frauensache war, trugen Väter meist einen wichtigen Teil bei. Sie hielten sich in der Nähe der werdenden Mutter auf und übernahmen organisatorische Aufgaben rund um die Geburt. So riefen und bezahlten sie die Hebamme oder besorgten Essen, Getränke oder Utensilien für die Geburt. Nach der Geburt waren Väter in verschiedene Rituale eingebunden, mit denen sie das Kind begrüßten und als Vater annahmen. Als symbolischen Beistand trugen werdende Mütter häufig Dinge aus dem Besitz des Mannes bei sich, die ihr Kraft, Schutz und Trost spenden sollten.

Heute erleben laut Schätzungen etwa neun von zehn Vätern die Geburt ihrer Kinder.

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Quellen

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✔ Inhaltlich geprüft am 17.05.2023
Dieser Artikel wurde von Christine Müller geprüft. Wir nutzen für unsere Recherche nur vertrauenswürdige Quellen und legen diese auch offen. Mehr über unsere redaktionellen Grundsätze, wie wir unsere Inhalte regelmäßig prüfen und aktuell halten, erfährst du hier.

Veröffentlicht von Sibylle Grenz

Als Mutter eines quirligen Kleinkindes schreibt Sibylle leidenschaftlich gern über Erziehungsthemen, aber auch Themen aus der Schwangerschaft. Gemeinsam mit unserem Hebammen- und Pädagoginnen-Team arbeitet sie Fragen der babelli-Community auf und beantwortet sie fundiert und praxisnah.

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