Die Kinderarztpraxis oder der Kindergarten hat Psychomotorik für dein Kleinkind empfohlen? Was es mit Psychomotorik auf sich hat, wo du psychomotorische Angebote findest und wie es deinem Kind hilft, erfährst du hier.
Das Wichtigste in Kürze
- Psychomotorik ist ein ganzheitliches, therapeutisches Angebot der Bewegungsförderung. Dabei wird der Ausdruck und die Psyche des Kindes einbezogen.
- Ziele von Psychomotorik sind: die Förderung von Wahrnehmung, Bewegung, Selbstbewusstsein, Eigenständigkeit, Sozialverhalten und Empathie.
- In der Regel finden psychomotorische Angebote in Kleingruppen statt. Die Bewegungen sind nicht vorgegeben und die Freiwilligkeit der Kinder steht im Vordergrund.
- Wir zeigen dir ergänzende, psychomotorische Spielideen für zu Hause.
Was ist Psychomotorik?
Der Begriff „Psychomotorik“ ergibt sich aus den Worten „Psyche“ (menschliches Fühlen und Denken, Seele) und „Motorik“ (Bewegung). Psychomotorik ist ein therapeutisch-pädagogisches, ganzheitliches Bewegungsangebot zur Entwicklungsförderung für Menschen jeden Alters. Bei Kleinkindern und Kindern findet es im Kindergarten, in der Schule, in speziellen Praxen oder der Frühförderstelle statt.
Was ist das Ziel von Psychomotorik?
- Psychomotorik stärkt die Bewegungsfähigkeit, die Kommunikation, die Konzentration und die Empathie des Menschen.
- Die Bewegungsangebote trainieren die bestehenden Fähigkeiten und üben neues Verhalten (körperliche und emotionale Handlungskompetenzen).
- Obendrein stärkt Psychomotorik die Sinne, die Körperwahrnehmung und das selbstständige Denken und Handeln.
- Die Bewegungserfahrungen können eine Verbindung von Körper, Geist und Seele schaffen.
Psychomotorik wird von dafür ausgebildetem Personal als therapeutische Übungsbehandlung angeleitet. Meist sind das psychotherapeutische, sozialpädagogische, heilpädagogische, motopädische oder andere psychosoziale Fachkräfte mit psychomotorischer Ausbildung.
Wie ist der Ablauf von Psychomotorik?
Innerhalb einer psychomotorischen Stunde werden Materialien (wie Tücher, Bälle, Luftballons) und Geräte (etwa für einen Bewegungs-Parcours) vorab aufgebaut und als Bewegungserfahrung angeboten. Eine Kleingruppe an Kindern darf sich an diesen individuell ausprobieren. Die Freiwilligkeit und Selbstständigkeit ist dabei entscheidend. Der Ablauf der Spiele und Übungen ist nicht vorgegeben. Das Fachpersonal gibt lediglich soziale Regeln für den Umgang miteinander und mit dem Material vor.
Psychomotorik ist nicht leistungsorientiert, sondern hat einen therapeutischen Hintergrund. Damit steht sie im Gegensatz zu Sportangeboten. Das individuelle Erleben und die Förderung des Sozialverhaltens, der Motorik und der emotionalen Entwicklung ist über die Auswahl der Angebote und der Begleitung durch die Fachkräfte deutlich erkennbar. Die Kinder haben ein unterschiedliches Alter (im Kleinkindalter etwa zwischen 1,5 bis 3 Jahren) und die Gruppe ist kleiner als etwa bei Sportstunden. Die einzelnen Spiele, Übungen und Angebote enthalten Ansätze der Montessori-Pädagogik, der Rhythmik, der Entspannung, der Ausdrucks-Therapie, der Gymnastik und vom Kinderyoga. Es gibt spezielle Materialien, Bewegungslieder und Geräte, die eingesetzt werden können, aber nicht zwingend müssen.
Der Hintergrund von Psychomotorik
Der Begriff der Psychomotorik wurde durch die Arbeiten und Erfahrungen Jonny Kiphards geprägt (1923-2010). Mittlerweile gibt es zahlreiche Aus- und Weiterbildung in der Psychomotorik und einen Masterstudiengang in der Motologie (Universität Marburg). Kiphard erkannte im Laufe der Jahre, dass gezielte Bewegungsmaßnahmen Kinder mit Entwicklungseinschränkungen langfristig fördern und stärken können. Zahlreiche Studien belegen den großen Erfolg von Psychomotorik als Therapie. Kiphards Ziel war es, dass das Kind sich in der Bewegung selbst spüren kann und gleichzeitig ein soziales Miteinander erlernt.
Für welche Kinder ist Psychomotorik sinnvoll?
Im Grunde ist Psychomotorik für alle Menschen sinnvoll, um dem Körper neue Bewegungserfahrungen in einem sozialen Miteinander zu ermöglichen.
Psychomotorische Angebote im Kleinkind- oder Kindesalter richtet sich aber größtenteils an Kinder, mit …
- Entwicklungsverzögerungen
- ADHS oder Autismus
- Hochbegabung, Inselbegabung oder Hochsensibilität
- Behinderungen wie Trisomie 21
- Schwierigkeiten mit dem Essen, der Konzentration, Gleichgewicht oder Aufmerksamkeit
- eingeschränktem Sozialverhalten
- Geringem oder fehlendem Selbstbewusstsein oder starken Ängsten
- Psychischen Erkrankungen oder Belastungen (Kinder, die bereits Kinder- und Jugendpsychotherapie bekommen)
- Anderen Verhaltensauffälligkeiten der Psyche oder der Bewegungsabläufe
Meist stehen die psychischen Belastungen der Kinder im Zusammenhang mit körperlichen Auffälligkeiten.
Was tun, wenn ich glaube, dass mein Kind Psychomotorik braucht?
Wenn du das Gefühl hast, psychomotorisches Turnen könnte deinem Kind guttun, kannst du mit deinem Kind zur Kinderarztpraxis und das ärztlich abklären lassen. Wenn dein Kind schon eine Diagnose hat, hinterfrage das Ganze bei dem psychotherapeutischen Personal der Kinder- und Jugendpsychotherapie-Praxis, in der Kita oder direkt in den Frühförderstellen.
Psychomotorik in der Praxis
Psychomotorische Angebote gibt es in verschiedenen pädagogischen und therapeutischen Feldern. Wir geben einen Überblick.
Kindergarten
In manchen Kindergärten haben ausgewählte Fachkräfte eine psychomotorische oder motopädische Weiterbildung und die Angebote finden wöchentlich in einem Bewegungsraum oder der Turnhalle statt. In wieder anderen Einrichtungen kommen etwa Motopäden von einem externen Träger. Die Stunden nennen sich häufig „Motopädie“ oder „psychomotorisches Turnen“.
Der Vorteil von Psychomotorik oder Motopädie im Kindergarten:
- Das Kind wird nicht aus seiner täglichen Struktur gerissen.
- Gerade im U3-Bereich spielen Kinder größtenteils eher „nebeneinander“, als „miteinander“, da die sozial-emotionale Entwicklung sich noch aufbaut. Psychomotorik kann diese Entwicklung positiv unterstützen.
- Das Kind lernt im besten Fall: „Mein Körper, meine Kontrolle. Aber ich muss auch auf die anderen achtgeben.“
Frühförderung, Praxis oder SPZ
Häufig wird Kindern mit bereits diagnostizierter Entwicklungsverzögerung Psychomotorik in einer Frühförderstelle, einer psychotherapeutisch-pädagogischen Praxis oder einem sozialpädiatrischem Zentrum verschrieben. Das Kleinkind kann sich mithilfe vom psychomotorischen Konzept ausprobieren, erleben und experimentieren. Gleichzeitig lernt es, dass es in der Kleingruppe soziale Regeln gibt, an die es sich halten muss. Dadurch wird es an seine Grenzen stoßen. Die Möglichkeit, etwas zu lernen ist also genauso groß wie die Förderung der Bewegung.
Kinder- und Jugendpsychiatrie
Für Kinder mit psychischen Belastungen oder Erkrankungen findet Psychomotorik innerhalb von stationären Einrichtungen (kinder- und jugendpsychologische Kliniken oder Ambulanzen) oder in Praxen für Kinder- und Jugendpsychotherapie statt. Das Ziel der psychotherapeutischen Übungsbehandlung ist die Verbesserung der Wahrnehmung, Entwicklung, Lebensqualität und Bewegung. Gerade ältere Kinder und Jugendliche mit Auffälligkeiten erwerben dadurch eigenständige und stabile Handlungskompetenzen.
Schule
Auch in Schulen finden sich psychomotorische Angebote zur Entwicklungsförderung. Gerade in Förderschulen oder inklusiven Schulen ist das der Fall. Durch den psychomotorischen Ansatz kann die Konzentration auf bestimmte Arbeiten und das Lernen gefördert werden. Obendrein entwickelt das Kind oder der Jugendliche weitere Kompetenzen der Bewegung und des Handelns. Im besten Fall wird es in seiner Persönlichkeit so gestärkt, dass es möglichen Herausforderungen in seiner Umwelt selbstbewusst begegnen kann.
Psychomotorische Spielideen für zu Hause
Wichtig: Psychomotorik als ganzheitliche, therapeutische Maßnahme sollte immer von ausgebildetem Personal angeleitet werden! Wenn dein Kind allerdings schon psychomotorisches Turnen in Therapieeinrichtungen oder im Kindergarten macht, es Freunde eingeladen hat und du ein paar fördernde Spielideen anbieten willst, können wir dir diese empfehlen:
Die Kinder dürfen sich überlegen, welches Tier sie gerne sein wollen. Vielleicht kannst du hierfür Material bereitlegen. Dann können die Kinder versuchen, sich wie ihre Tier-Rolle durch den Raum zu bewegen. Ein Kind macht eine Bewegung vor und die anderen machen das nach. Das macht Spaß!
Baue einen Bewegungs-Parcours aus unterschiedlichen Materialien auf. Die Regel: Keiner wird überholt. So kann jeder in seinem Tempo vorangehen. Aufgabe: Vielleicht können die Kinder den Parcours in der Rolle eines Tieres durchlaufen?
Blase einige Luftballons auf und biete etwa das hier an: 1. Du legst sie in leere Kopfkissenbezüge. Jetzt können die Kinder ausprobieren, wie es sich anfühlt, wenn man sich darauf legt. 2. Ihr könnt mit den Luftballons tanzen oder toben. 3. Die Luftballons werden wie Bälle zugeworfen.
Hierfür kannst du ein leeres Planschbecken vorbereiten, oder du klebst etwa das Bad mit dickem Papier aus, wie hier abgebildet. Jetzt kannst du entweder Rasierschaum, Farben oder andere Sachen zum Matschen anbieten. Die Regel: Es wird jeweils nur der eigene Körper und das Papier bemalt.
Quellen
- Bürgin, Dieter (1993). Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter. Stuttgart: Gustav Fischer Verlag.
- Caby, Filip und Andrea (2011). Die kleine psychotherapeutische Schatzkiste. Tipps und Tricks für kleine und große Probleme vom Kindes- bis zum Erwachsenenalter. (2. Auflage). Dortmund: Borgmann Media.
- Dilling, Horst, Freyberger, Harald J. (2016): ICD-10. Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen. (8. Auflage). Hogrefe Verlagsgruppe.
- Greving, Prof. Dr. Heinrich, Ondracek, Prof. Dr. Petr (2010): Handbuch Heilpädagogik. (2. Auflage) Troisdorf: Bildungsverlag EINS GmbH.
- Perls, Frederick S., Hefferline, Ralph F., Goodman, Paul (2015). Gestalttherapie. Grundlagen der Lebensfreude und Persönlichkeitsentfaltung. (9. Auflage). Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.
- Siegel, Elaine V. (1997): Tanztherapie. Seelische und körperliche Entwicklung im Spiegel der Bewegung. Ein psychoanalytisches Konzept. (4. Auflage) Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.
- Deutsche Akademie – Aktionskreis Psychomotorik e.V. (2022): Psychomotorik. Was ist Psychomotorik? https://psychomotorik.com/ueber-uns/psychomotorik/ (abgerufen am 05.01.2023).
- Förderverein Psychomotorik e.V. Bonn (2022): Was ist Psychomotorik? https://www.psychomotorik-bonn.de/foerderverein-psychomotorik-e-v/lexikon/was-ist-psychomotorik/ (abgerufen am 30.12.2022).
- Kita Medien GmbH (2022): Psychomotorik im Kindergarten – Definition, Ziele und Informationen zur Ausbildung. https://www.erzieherin-ausbildung.de/praxis/fachpraktische-hilfe/psychomotorik-im-kindergarten-definition-ziele-und-informationen-zur (abgerufen am 30.12.2022).
- Redaktion kindergarten heute. Verlag Herder GmbH (2022): Psychomotorik im Kindergarten. https://www.herder.de/kiga-heute/fachbegriffe/psychomotorik/ (abgerufen am 05.01.2023).
- Bild Rollenspiel: 267377313 Oksana Kuzmina / stock.adobe.com
- Bild Luftballon: 528702361 PoppyPix / stock.adobe.com
- Bild Hindernis: 300812669 Oksana Kuzmina / stock.adobe.com
- Bild Matschen: 412482483 Joaquin Daban / stock.adobe.com
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